Europas letzte Sherpas arbeiten in der Hohen Tatra
In den Alpen und anderen Gebirgen in Europa wurden sie längst durch Hubschrauber und Seilbahnen ersetzt, doch in der Hohen Tatra, dem kleinsten Hochgebirge Europas, in der Slowakei gibt es sie noch – Sherpas.
Hrebienok.
Unter einem Bierfass, Wasserflaschen und Säcken voller Kohle ist Edo Liptak kaum noch zu sehen. Der Slowake ist einer von Europas letzten Sherpas. In den Alpen und anderen europäischen Gebirgsregionen wurden die starken Männer schon lange von Hubschraubern und Seilbahnen ersetzt. Nur in der Hohen Tatra, Europas kleinstem Hochgebirge, sind die robusten Träger noch zu finden. „Entscheidend ist, nicht zu viel nachzudenken beim Aufstieg. Man muss den Kopf frei haben, alles andere ergibt sich von selbst“, sagt Liptak und lacht, während er sich auf einen Aufstieg von 2,5 Kilometern vorbereitet.
Ausgangspunkt der Tour ist der Skiort Hrebienok auf 1285 Meter Höhe – in der Wildnis der Hohen Tatra der letzte Außenposten der Zivilisation. Das Gepäck wiegt oft mehr als der 82-Kilogramm-Mann selbst. „Es ist ein toller Job, er gibt mir Freiheit, Energie und Ausdauer“, sagt er und schwingt sich geschickt ein leiterähnliches Tragegestell mit einer 106 Kilogramm schweren Last auf den Rücken.
„Meine Sherpas kommen bei jedem Wetter“
Mit 37 Jahren feiert Liptak bald sein 20-jähriges Jubiläum als Sherpa. Seit zwei Jahrzehnten trägt er Essen, Getränke, Wäsche, Brennmaterial und alle anderen lebenswichtigen Vorräte zu entlegenen Hütten in diesem Hochgebirgszug der Karpaten. Die Berghütten liegen in streng geschützten Naturreservaten, in denen Bergbahnen oder Straßen verboten sind. Meist haben sie nur begrenzten Stauraum und keinen Strom, kein fließendes Wasser und kaum Kühlgeräte. Liptaks Ziel, die Zamkovsky-Hütte, wurde 1943 erbaut und beschäftigt das ganze Jahr über vier Träger. Sie steigen etwa drei Mal pro Tag auf, mit mindestens 60 Kilogramm Gepäck, wie Verwalterin Jana Kalincikova berichtet.
„Es wäre sinnvoller, für den Transport der Vorräte einen Hubschrauber zu mieten, aber wir haben nur drei Kühlschränke, die von einer Wasserturbine angetrieben werden, deshalb brauchen wir Sherpas, die häufiger kleine Pakete hochschaffen“, sagt sie. Ihr ältester Sherpa ist 58 Jahre alt. „Es ist ein harter Job für harte Männer, die die Natur lieben.“ Neben dem Transport der Vorräte erledigen die Männer auch die Wäsche der Hütte, spülen das Geschirr und kochen. „Ein Hubschrauber würde nur bei gutem Wetter fliegen, aber meine Sherpas kommen bei jedem Wetter“, betont Kalincikova.
„Es ist wie eine Sucht“
Obwohl es noch immer ein Knochenjob ist, brachte die Modernisierung der Hütten den Sherpas Erleichterungen. „Wir müssen keine Kohlebriketts mehr schleppen, und die Holzfässer wurden durch leichtere Alufässer ersetzt“, sagt Peter Petras, mit 65 Jahren einer der ältesten Sherpas der Slowakei. „Es ist wie eine Sucht, wenn ich eine Weile nicht marschiere, werde ich nervös.“
Seit 48 Jahren ist er im Geschäft – und glaubt, dass es in der Tatra auch in 20 Jahren noch Sherpas gibt. Jedes Jahr treffen sich die Träger bei der Zamkovsky-Hütte zum Wettbewerb um den schnellsten Aufstieg. Etwa 25 Männer und einige Frauen konkurrieren dieses Jahr um den Titel. Mit 100 Kilogramm auf dem Rücken laufen die Träger etwa 200 Meter bergauf – eine Strecke, für die ein normaler Wanderer ohne schweres Gepäck bis zu 80 Minuten braucht. Zwölf der Sherpas schaffen es in 45 Minuten. (AFP)