In Deutschland spüren die Bürger die hohe Inflation vor allem durch gestiegene Energiekosten, teurere Lebensmittel und gerade in der Vorweihnachtszeit beim Kaufen von Geschenken.
Auch die Hans-Böckler-Stiftung kommt durch eine Befragung zu dem Schluss, dass nach Beginn des Kriegs in der Ukraine „die finanziellen Belastungen, die Erwerbstätige und Arbeitsuchende in Deutschland verzeichnen, höher als zu jedem Zeitpunkt während der Corona-Pandemie“ seien. Rund die Hälfte der Einkommensärmsten berichten über eine starke Last. Auch Janina Lütt spürt das gerade in diesem Jahr ganz extrem. Die Sozialleistungs-Empfängerin berichtet über das Weihnachtsfest in diesem Jahr!
Hartz 4: „Armut hat viele Gesichter. Ich bin eines davon!“
Janina Lütt wohnt mit ihrer neunjährigen Tochter gemeinsam in einer Eineinhalb Zimmer Wohnung in Elmshorn, in Schleswig-Hollstein. Die 46-Jährige hat Abitur, eine abgeschlossene Berufsausbildung im Sozialen Bereich und ist seit 23 Jahren „arm“. Auf Twitter schreibt sie: „Armut hat viele Gesichter. Ich bin eines davon!“
Lütt ist Teil der #IchBinArmutsbetroffen-Bewegung. Unter dem Hashtag versammeln sich Menschen, die von ihren Erfahrungen mit Armut erzählen. Die 46-Jährige macht das nicht nur auf Twitter, sondern berichtet auch dieser Redaktion davon. Gerade in der Zeit kurz vor Weihnachten sei die Bezieherin von Erwerbsminderungsrente „nah am Wasser gebaut“.
Auf die Frage, ob sie sich dieses Jahr auf Weihnachten freue, antwortet sie: „Gar nicht, für mich ist das wirklich ganz schlimm.“ Sie habe eine gewisse Verzweiflung, eine gewisse Wut und auch eine große Frustration. Vor allem falle es ihr schwer, Menschen zu sehen, die Weihnachtsgeschenke kaufen. „Eine Frau hat vor mir an der Kasse für 99 Euro Bücher gekauft, ich dachte mir nur, wie viel Lebensmittel man dafür hätte kaufen können“, erzählt sie dieser Redaktion.
Aufgrund einer chronischen Erkrankung kann Janina Lütt keiner Arbeit mehr nachgehen. Da sie erwerbsunfähig ist, bekomme sie den Hartz-4-Satz vom Sozialamt überwiesen. Die Rentnerin hat im Monat gemeinsam mit dem Regelsatz ihrer Tochter und mit Abzug aller Fixkosten (Strom, Internet, Fitnessstudio, Versicherung) rund 550 Euro für Lebensmittel, Kleidung und Bildung zur Verfügung.
„Weihnachten ist auch Konsumfest“, stellt Lütt klar. „Man sieht Leute Geschenke kaufen und ich kann nicht mal meine Lebensmittel bezahlen“, berichtet die gelernte Erzieherin. Dadurch fühle sie sich erst recht abgehängt, erst recht nicht dazu gehörig. „Ich habe dieses Jahr kein Geld für Geschenke ausgegeben, bis auf das Geschenk für meine Tochter.“
Hartz 4: „Ich weiß nicht, warum ich das überhaupt verdient habe“
Um ihrer Tochter ein neues iPad zu schenken – das alte ist kaputt gegangen – habe sie seit rund sechs Monaten versucht, Geld zu sparen. „50 Euro habe ich knapp zusammenbekommen“, so Lütt. Der Rest komme von Onkel, Patenonkel, Papa und Oma.
„Letztes Jahr konnte ich mehr Geschenke schenken, zum Beispiel Flohmarkt-Schnäppchen für meine Freunde, das musste ich für dieses Jahr leider ausfallen lassen“, resümiert die 46-Jährige. „Ich bin kein Otto-Normalbürger, der Geld verdient“. Ihre Armut sei Fakt, sie lebe damit und wolle das auch nicht mehr verbergen. In Deutschland sind rund 13,8 Millionen Menschen armutsgefährdet.
Die alleinerziehende Mutter erwarte selbst keine Geschenke, manchmal sei auch ein gewisser Druck dahinter, dass man dann auch was zurück schenken möchte. „Eine Fahrt zum Supermarkt oder zum Flohmarkt sind aber Geschenke, womit mir geholfen wird.“
Manchmal bekomme sie Geschenke, die sie emotional überfordern, weil diese viel Geld gekostet haben. „Ich weiß nicht, warum ich das überhaupt verdient habe“. Die 46-Jährige erzählt: „Gerade, wenn man armutsbetroffen ist, hat man große Schwierigkeiten, seine Wünsche zu artikulieren oder Forderungen zu stellen, weil man sich abgewöhnt hat, zu wünschen.“
Hartz 4: So verbringt Familie Lütt das Weihnachtsfest
Auch der Papa der neunjährigen Tochter ist armutsbetroffen. „Wenn alles gut läuft, verbringt meine Tochter Weihnachten dieses Jahr mit ihrem Papa bei ihrem Onkel in einem großen Haus. Da gibt es dann einen zwei Meter hohen Weihnachtsbaum“, so Lütt.
Zuhause habe die Alleinerziehende nichts für Weihnachten vorbereitet. Denn in der Regel verbringt die Tochter Weihnachten nur alle zwei Jahre bei ihr. Dann wird der 40 Zentimeter große Plastikbaum aus dem Keller geholt und die Geschenke darunter verteilt. Den Weihnachtsbaum besitze sie schon seit rund neun Jahren.
„Normalerweise versuche ich einen Adventskranz selber zu basteln und mache meiner Tochter einen Adventskalender. Da sind Zettel drin, nicht nur materielle Dinge.“ Doch dieses Jahr werde Weihnachten ein wenig deprimierender.
Weitere Themen:
Ein traditionelles Festessen gibt es bei Familie Lütt nicht an Heiligabend. „Meistens frage ich mein Kind, was sie sich zu Essen wünscht, ich bin nicht so der traditionelle Typ.“ Im Normalfall gebe es nach der Kirche gegen 17 Uhr Bescherung. „Meine Tochter darf Geschenke auspacken und danach kuscheln wir zusammen oder schauen irgendwas schönes“, erzählt Lütt dieser Redaktion.
Wenn die Tochter dieses Jahr bei ihrem Papa ist, werde die 46-Jährige „wahrscheinlich vom Fernseher versumpfen“. Morgens wolle sie nochmal zum Sport gehen und eventuell noch frische Lebensmittel für die Feiertage kaufen. „Ansonsten hoffe ich, dass Weihnachten schnell vorbeigeht“, so die Alleinerziehende.