Islamisierung des Abendlandes? Pegida-Thesen im Faktencheck
Die Anhänger von Pegida fürchten sich vor Islamisierung und Überfremdung. Wir unterziehen die wichtigsten Thesen der Bewegung einem Fakten-Check.
Essen.
Pegida steht für „Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes“. Die Anhänger fürchten sich vor allem einem zunehmenden Einfluss des Islam, kritisieren aber auch die Flüchtlingspolitik der Bundesregierung.
NRW-Innenminister Ralf Jäger (SPD) bezeichnete die Organisatoren der Proteste bereits als „Neonazis in Nadelstreifen“. Was ist dran an den Pegida-Thesen? Wir machen den Fakten-Check:
1. Deutschland wird zunehmend islamisiert. Ich möchte nicht, dass meine Enkel im Islam aufwachsen
In der Tat hat die der Zahl der in Deutschland lebenden Muslime in den vergangenen Jahrzehnten zugenommen. 1995 lebten 2,7 Millionen Muslime in Deutschland, 2009 waren es etwa 4,3 Millionen. Das entspricht in etwa fünf Prozent der deutschen Bevölkerung.
Wegen anhaltender Einwanderung aus muslimisch geprägten Ländern und der höheren Geburtenrate der islamischen Bevölkerung wird dieser Anteil allerdings in den kommenden Jahren weiter steigen. Trotzdem werden Muslime auch in den kommenden Jahrzehnten wohl kaum die Bevölkerungsmehrheit stellen. Die Studie „The Future of the Global Muslim Population“ vom US-amerikanischen Institut „Pew Research Center“ hat errechnet, dass 2030 etwa 5,5 Millionen Muslime in Deutschland leben werden. Das entspräche lediglich einem Bevölkerungsanteil von etwa sieben Prozent. Dass dieser Anteil nicht stärker steigt, liegt auch daran, dass die Geburtenrate der muslimischen und nicht-muslimischen Bevölkerung sich immer weiter angleicht.
2. Radikale Salafisten bedrohen unsere Gesellschaft
Die Zahl der Salafisten ist zuletzt tatsächlich stark gestiegen. Der Verfassungsschutz geht davon aus, dass etwa 7000 Salafisten in Deutschland leben, vor wenigen Jahren waren es nur etwa 2300. Unter diesen 7000 Salafisten sind laut Verfassungsschutz-Präsident Hans-Georg Maaßen mindestens 450 Dschihadisten, die sich in Syrien dem IS (Islamischer Staat) oder anderen islamistischen Kampfverbänden angeschlossen hätten. Natürlich geht gerade von diesen Syrien-Rückkehrern eine Gefahr aus.
Schon 2013 ließ der damalige Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) deshalb mehrere Salafisten-Vereine verbieten. Wohnungen wurden durchsucht, Handys, Laptops und Vereinsvermögen beschlagnahmt.
Allerdings ist nicht jeder Salafist gewaltbereit. Laut Bundesinnenministerium ist „die Mehrzahl der salafistischen Einrichtungen in Deutschland dem nicht gewaltbereiten Salafismus zuzurechnen“. Und selbst innerhalb der muslimischen Gemeinschaft sind die 7000 Salafisten eine verschwindend geringe Minderheit.
3. Während Flüchtlinge in hotelähnlichen Heimen mit „Vollversorgung“ untergebracht werden, müssen deutsche Rentner an Heiligabend hungern
Richtig ist, dass die Altersarmut in Deutschland zugenommen hat. Immer mehr Menschen im Rentenalter sind auf Sozialhilfe angewiesen. 2013 lag ihre Zahl laut Statistischem Bundesamt bei 499.000 – ein Plus von 7,4 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Ihre Grundsicherung entspricht dem Niveau von Hartz IV. Neben den Kosten für Miete und Heizung werden zusätzlich 391 Euro im Monat ausgezahlt.
Flüchtlingen geht es allerdings keinesfalls besser, im Gegenteil. Ihre Unterkünfte sind wenig komfortabel, die meisten verfügen lediglich über ein Bett, eine Toilette sowie Tische und Stühle. Einzelzimmer sind selten, die meisten Flüchtlinge müssen deshalb in Gemeinschaftszimmern übernachten. Manchen ist nicht einmal das möglich. In München mussten Asylsuchende Mitte Oktober sogar draußen schlafen, weil die als Flüchtlingsheim vorgesehene Bayernkaserne restlos überfüllt war.
4. Das deutsche Recht ist straffälligen Ausländern und Asylbewerbern gegenüber zu lasch
In ihrem Positionspapier fordert Pegida eine “ Null-Toleranz-Politik gegenüber straffällig gewordenen Asylbewerbern und Migranten“. Doch sind diese wirklich häufiger straffällig als Deutsche?
In der Tat hatte 2013 laut der Polizeilichen Kriminalstatistik mehr als jeder vierte Tatverdächtige keinen deutschen Pass. Dass diese Zahl wirklich aussagekräftig ist, zweifelt der Münsteraner Kriminologe Christian Walburg allerdings an. In einem Gutachten kommt er zu dem Schluss, dass zumindest erwachsene Einwanderer „insgesamt eher nicht vermehrt durch Straftaten“ auffallen.
Die Aussagekraft der offiziellen Kriminalitätsstatistiken sei begrenzt, glaubt Walburg. Denn sie unterscheide nicht, ob Ausländer ihren Wohnsitz in Deutschland oder im Ausland haben. Und insbesondere Einbrüche wurden in den letzten Jahren oft von reisenden Banden aus Südosteuropa verübt.
Ausländische Jugendliche fielen zuletzt außerdem deutlich seltener als schwere Straftäter auf. Bei den Gewaltdelikten hat sich die Zahl der tatverdächtigen ausländischen Jugendlichen laut Polizeilicher Kriminalitätsstatistik zwischen 2005 und 2013 sogar fast halbiert. Eine Ausnahme sind jedoch die Intensivtäter. Jugendliche aus Migrantenfamilien werden häufiger in Intensivtäterprogrammen erfasst, sowie öfter inhaftiert als Jugendliche ohne Migrationshintergrund – vor allem, wenn sie in großen Städten leben.
Als Straftäter ist übrigens auch Pegida-Gründer Lutz Bachmann schon aufgefallen. Laut MDR soll er 16 Firmeneinbrüche im Großraum Dresden begangen haben. Vor der knapp vierjährigen Haftstrafe floh er 1998 nach Südafrika, wurde zwei Jahre später erwischt und abgeschoben.
5. Scharia-Recht und Friedensrichter sorgen zunehmend für das Entstehen einer Paralleljustiz
Einige Vorfälle scheinen diese Sorge zu bestätigen, etwa die selbst ernannte „Scharia-Polizei“ in Wuppertal, angeführt vom bekennenden Salafisten Sven Lau. Und 2007 gestand eine Frankfurter Familienrichterin mit Hinweis auf den Koran einem prügelnden Marokkaner gar ein „Züchtigungsrecht“ zu und lehnte den Wunsch seiner Frau nach vorzeitiger Scheidung deshalb ab.
Der rheinland-pfälzische Justizminister Jochen Hartloff (SPD) erklärte 2012 im Interview mit „Bild“ sogar, außergerichtliche Schlichtungen“ auf Basis der Scharia seien „sinnvoll“. Obwohl Hartloff später sagte, er sei missverstanden worden, brach ein Proteststurm los.
Doch dabei handelt es sicher eher um Einzelfälle als um einen Trend. So erteilt der Koalitionsvertrag von CDU/CSU und SPD jeder Art von Paralleljustiz eine klare Absage: „Wir wollen das Rechtssprechungsmonopol des Staates stärken. Illegale Paralleljustiz werden wir nicht dulden.“ Und eine Studie des Bundesjustizministeriums kommt zu dem Schluss, dass es keine „muslimisch geprägten Justizstrukturen“ gibt.
6. Wir sind keine Nazis, wir sind nur besorgte Bürger
Ohne Frage ist nicht jeder Pegida-Anhänger fremdenfeindlich. So sagte Frank Richter, Direktor der Sächsischen Landeszentrale für politische Bildung, im Interview mit „tagesschau.de“, dass neben Hooligans und NDP-Anhängern tatsächlich auch viele besorgte Bürger unter den Anhängern sind. Es seien Menschen, „die sich um ihre Kultur und Tradition sorgen“
Auch „Verlierer der Gesellschaft“ seien unter den Demonstranten. Man solle „diese Menschen nicht von vornherein abkanzeln“ oder sie „sofort in eine Schublade mit Rechtsextremisten stecken“.
Fakt ist aber, dass sich bisher kaum sagen lässt, wer eigentlich bei Pegida mitläuft. Und im Gegensatz zu Veranstaltungen in Dresden hat Pegida sich in anderen Städten bisher nicht als Massenbewegung etablieren können.