Sie sind wahlweise „Freund und Helfer“, oder „verlängerter Arm des Gesetzes“: Polizisten, das würden die meisten unterschreiben, erfüllen eine wichtige Aufgabe. Doch viele Bürger wissen nicht, welche Rechte sie gegenüber der Staatsmacht haben. Wir klären zehn Irrtümer auf.
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Beamtenbeleidigung, Festnahme, Pusten: Viele Bürger haben nur selten Umgang mit der Polizei – und sind dementsprechend unsicher, welche Rechte sie gegenüber der Staatsmacht haben – und an welche Vorschriften sich Polizisten halten müssen. Zusammen mit Stefan Kahl, Kriminalrat und Dozent an der Fachhochschule für Öffentliche Verwaltung NRW, räumen wir mit den zehn größten Irrtümern auf.
1) Wer „Blöder Bulle“ zu einem Polizisten sagt, macht sich der Beamtenbeleidigung schuldig.
Das ist zwar nicht nett, „Beamtenbeleidigung“ ist es aber nicht. Denn diesen Straftatbestand gibt es in Deutschland nicht. Das heißt aber nicht, dass man Polizisten deswegen ungestraft beschimpfen kann. „Wer einen Polizisten beleidigt verstößt gegen §185 Strafgesetzbuch“, sagt Rechtsexperte Stefan Kahl.
Aus entsprechenden Urteilen lässt sich sogar eine Art Bußgeldkatalog für Beleidigungen gegen Polizisten ableiten. Demnach wird für „Trottel in Uniform“ 1500 Euro fällig, einen Polizisten zu duzen kostet 600 Euro.
2) Wenn Polizisten meine Wohnung gegen meinen Willen betreten wollen, brauchen sie einen Durchsuchungsbeschluss.
Das stimmt nicht, sagt Stefan Kahl. Wenn sie einen guten Grund haben, könnten sich Polizisten auch ohne Durchsuchungsbeschluss Zutritt zu einer Wohnung verschaffen. „Das kann eine Gefahrenlage sein oder erheblicher Lärm, der aus der Wohnung zu hören ist“, erklärt Kahl.
Anders sieht es aus, wenn die Polizisten die Wohnung tatsächlich durchsuchen wollen: „Dafür brauchen Polizisten im Normalfall die Zustimmung eines Richters, die aber auch mündlich gegeben werden kann.“ Nur wenn die Beamten fürchten, dass gerade Beweismittel vernichtet werden, dürfen sie auch ohne richterliche Erlaubnis eine Wohnung durchsuchen.
„Sie haben das Recht zu schweigen“ gibt’s nur im Kino
3) Nur Polizisten dürfen Tatverdächtige festnehmen.
Falsch, klärt der Experte auf. Wer beispielsweise einen Dieb auf frischer Tat ertappe, der dürfe ihn festhalten, bis die Polizei eintrifft. „Festnahme-Recht durch Jedermann“ heißt das im Juristendeutsch. Versucht der Täter zu flüchten, dürfe er auch gegen seinen Willen festgehalten werden.
„Allerdings“, warnt Kahl, „muss dabei der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gewahrt werden.“ Das bedeutet: Niemand darf dem Dieb eines Apfels die Beine brechen, um ihn an der Flucht zu hindern.
4) Polizisten müssen einen Festgenommenen mit der „Sie haben das Recht zu schweigen“-Formel über seine Rechte aufklären.
Irrtum. Die aus Krimis bekannte „Miranda“-Formel gebe es in Deutschland nicht, erklärt Kahl. Zwar müssen Polizisten auch hierzulande Festgenommene über ihre Rechte aufklären, dafür gebe es aber keinen festgelegten Wortlaut.
Zu den Rechten eines Festgenommenen gehört: das Recht, sich zu der Beschuldigung zu äußern oder zu schweigen, das Recht auf einen Verteidiger, das Recht auf einen Dolmetscher und das Recht, Zeugen zu benennen. Zudem dürften Festgenommene einen Verwandten oder eine Vertrauensperson anrufen.
Die Polizei bringt Jugendliche nachts nach Hause?
5) Minderjährige, die nach Mitternacht auf der Straße sind, müssen von der Polizei nach Hause gebracht werden.
Quatsch, sagt Stefan Kahl, es gebe keinen Paragrafen, der Jugendlichen vorschreibe, wann sie zuhause zu sein hätten. Auch im Jugendschutzgesetz seien lediglich Orte genannt, an denen Jugendliche sich nach Mitternacht nicht mehr aufhalten dürfen, ein generelles Ausgehverbot gebe es nicht.
Polizisten würden Jugendliche deshalb auch nur dann nach Hause bringen, wenn diese in Gefahr seien. „Die Polizei hat keinen Erziehungsauftrag“, betont Kahl.
6) Jeder Deutsche muss seinen Personalausweis dabeihaben.
„Ein klassischer Rechtsirrtum“, sagt Kahl. Jeder Deutsche muss ab seinem 16. Lebensjahr einen Personalausweis oder Reisepass haben, es gebe aber keinen Paragrafen, der verfüge, dass man das Dokument immer dabeihaben müsse.
„Es ist allerdings günstiger, ihn dabeizuhaben“, rät Kahl. Denn hat man keinen Ausweis dabei und gerät in eine Kontrolle, müsse man mit auf die Wache kommen oder die Polizisten mit nach Hause nehmen, damit sie die Personalien aufnehmen könnten.
Muss ich pusten, wenn die Polizei mich dazu auffordert?
7) Wenn Polizisten einen Autofahrer zum Pusten auffordern, muss der Autofahrer der Forderung nachkommen.
Nein, sagt Rechtsexperte Kahl. Diese Pflicht kann es nicht geben, denn in unserem Rechtssystem könne niemand gezwungen werden, sich selbst zu belasten. Genau das könne aber durch die Atem-Alkoholkontrolle geschehen.
Haben die Polizisten Grund zu der Annahme, dass ein Autofahrer betrunken ist, weil er beispielsweise nach Alkohol riecht oder in Schlangenlinien fährt, können sie eine Blutprobe anordnen lassen. Haben sie keinen Grund, müssen sie den Autofahrer weiterfahren lassen. „Die Tatsache, dass jemand das Pusten verweigert, begründet keinen Anfangsverdacht“, erklärt Kahl.
8) Polizisten müssen gegenüber Bürgern ihren Namen nicht nennen, die Dienstnummer reicht aus.
Das ist Quatsch, sagt Stefan Kahl. Im Polizeigesetz sei festgeschrieben, dass Polizisten sich „vor der Anwendung unmittelbaren Zwangs“ ausweisen müssten. Er nennt ein Beispiel: „Ein Polizist fordert Sie auf, in den Streifenwagen zu steigen, doch Sie weigern sich. Wenn der Polizist Sie dann mittels Zwang ins Polizeiauto befördern will, haben Sie das Recht, seinen Dienstausweis zu sehen.“
Außerhalb dieser speziellen Situation gelte das, was ein Erlass des Innenministeriums vorschreibe: „Polizisten in Uniform müssen auf Verlangen ihren Dienstausweis zeigen, Polizisten in Zivil auch unaufgefordert.“ Ausnahme von diesem Grundsatz: Gefährdet das Zeigen des Dienstausweises eine Polizeioperation, muss der Polizist sich nicht ausweisen. Kahl: „Bilden Polizisten bei einer Demo eine Menschenkette, um verfeindete Gruppen zu trennen, würde das Vorzeigen des Ausweises die Sicherheit gefährden. Dann kann der Polizist sagen: ‚Sorry, geht grad nicht. Ich zeig Ihnen meinen Ausweis später.'“
Polizisten sind immer im Dienst? – Quatsch!
9) Wenn Sie eine Straftat beobachten, müssen Polizisten einschreiten – auch wenn sie nicht im Dienst sind.
In diesem Fall kommt es laut Experte Stefan Kahl auf die Straftat an. „Bei schweren Straftaten, also beispielsweise Mord, Raub oder Brandstiftung, müssen Polizisten immer tätig werden, auch wenn sie nicht im Dienst sind“, sagt er und nennt dies eine „eingeschränkte Verfolgungspflicht“.
Bei anderen Straftaten müssten Polizisten außerhalb ihrer Dienstzeiten aber genauso wenig einschreiten wie jeder gewöhnliche Bürger. „Sonst wären die Beamten ziemlich schnell gesellschaftlich isoliert“, erklärt Kahl die Rechtsprechung.
10) Wer einer Vorladung aufs Polizeipräsidium nicht folgt, muss mit einer Strafe rechnen.
Das ist ein Irrtum, sagt Kahl, mit einer Strafe müsse man auf keinen Fall rechnen. Wer aber beispielsweise als Zeuge aufs Revier geladen werde, um eine Aussage zu einem Autodiebstahl zu machen, aber diese Einladung ignoriert, der könne später Post von der Staatsanwaltschaft bekommen – mit der Aufforderung als Zeuge auszusagen. Diese Aufforderung könne man nicht mehr ungestraft ignorieren.
Anders sehe es aus, wenn die Polizei jemanden zur Gefahrenabwehr vorlade. Kahl gibt ein Beispiel: „Ein Kind ist entführt worden und die Polizei vermutet, dass Sie Hinweise auf den Aufenthaltsort haben. Werden Sie in dem Fall vorgeladen und kommen nicht, müssen Sie damit rechnen, dass die Polizei Sie zuhause abholt.“