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Wenn die Liebe durch den Handschuh geht . . .

Wenn die Liebe durch den Handschuh geht . . .

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Foto: IKZ

Nils Bergauer ist ein junger, wilder Handschuh-Macher, der sein Handwerk liebt und dessen alte Traditionen lebt.

Schneeberg. 

„Es ist schändlich, dass vollkommen gesunde Personen ihre Hände und Füße mit weichen, haarigen Bedeckungen bekleiden.“ Da kann die Menschheit, können modebewusste und/oder kälteempfindliche Damen wie Herren – vor allem aber auch der Schneeberger Nils Bergauer – aber mal von Glück sagen, dass sich damals, irgendwann ziemlich kurz nach Christi Geburt, der römische Philosoph Gaius Musonius Rufus mit seiner ganz persönlichen, eher ablehnenden Meinung zu Handschuhen jeder Art nicht durchgesetzt hat. Nils Bergauer ist nämlich Handschuhmacher, einer der noch ganz wenigen seiner Zunft. Einer Zunft, die aber unter Umständen im Wiedererstarken begriffen ist. Eigentlich hat der 32Jährige ja ursächlich mal Wirtschaftspädagogik studiert, was ja einer erfolgreichen Geschäftsmann-Karriere auch nicht abträglich sein muss, aber ein ganz besonderer Geruch hat ihn vor einigen Jahren schließlich dann doch auf eine ganz andere berufliche Fährte gelockt: der verführerische und eben auch so typische Duft von Leder. Erstmals kennengelernt und eingesogen im Haus seiner Großeltern (Oma war selbst Näherin) und danach irgendwie wohl nie wieder aus den Nasenflügeln bekommen.

Bis zum dem Tag, an dem der junge Mann Geld bekam, um sich beim Meister Frank Zahor im nicht weit entfernten Johanngeorgenstadt, einer einstmaligen Europa-Hochburgburg der Handschuhmacherkunst mit über 2000 Machern und Stepperinnen, ein paar eigene Handschuhe zu kaufen. Frank Zahor (Jahrgang 1939) galt damals wie heute im Erzgebirge und weit über dessen Grenzen wohl als der unumstrittene Meister aller Handschuhklassen. Der junge Kunde Bergauer nahm also sofort diesen offenbar abhängig machenden Ledergeruch in der kleinen Werkstatt wahr, rückte dem Meister fragend und wissbegierig auf’s Fell und kam schließlich zu dem Entschluss: „So etwas möchte ich auch können.“

Reparatur der alten Maschinen immer nur ohne Zeugen

Mit der Hilfe von unterschiedlichen hölzernen Futter-Einzügen kann zum Beispiel das wärmende Kaschmir in den Lederhandschuh praktiziert werden.
Mit der Hilfe von unterschiedlichen hölzernen Futter-Einzügen kann zum Beispiel das wärmende Kaschmir in den Lederhandschuh praktiziert werden.
Foto: IKZ

Meister Zahor, durchaus auf der Suche nach einem geeigneten Nachfolger, witterte offenbar bei dem Jungen Talent, nahm ihn in die Lehre, gab bereitwillig Auskunft, vermittelte ihm Wissen und handwerkliches Können und gab dem so gestählten Schüler schließlich auch das Recht, sich mit dem Markennamen N.B. Zahor in Schneeberg selbstständig zu machen. So geschehen vor rund vier Jahren.

So viel zu dieser kleinen Bergauer-Lebens-Geschichte im Zeitraffer. Werkstattbesuch in Schneeberg, einer 15 000 Einwohner-Stadt an der Silberstraße. Eigentlich ist ihre 500-jährige Geschichte in dieser Gegend geprägt vom Bergbau. Ging es ursprünglich um Silber, wurde später auf Kobalt und Uran umgestellt. Und während die Männer in den Minen schufteten, konnten die Frauen per Heimarbeit mit Klöppeln oder eben auch Handschuh-Näherei zum kargen Unterhalt beitragen. Und noch ein Nebenaspekt: Kühe gab es in der Gegend nicht so viele, eher die genügsamen Schafe und Ziegen, beste Lieferanten für gefragtes, weil samtweiches Handschuhleder.

Nils Bergauer also steht an diesem Juli-Samstag in seiner kleinen Knusper-Werkstatt. In der Luft der schwere Atem des Holzes und des Leders. Er selbst in Jeans, weißer Schürze, T-Shirt aus der Jetzt-Zeit, das Drumherum ist aus einem anderen Jahrhundert, wenn nicht aus einer anderen Welt. Da sind funktionierende, mattschwarz schimmernde Maschinen, von denen weltweit nur noch ein Hand voll Männer überhaupt weiß, warum und wie sie funktionieren und was man unter Umständen tun könnte, wenn sie es plötzlich nicht mehr tun. Bergauer berichtet am Rande von einem ihm bekannten lebensälteren Experten irgendwo drüben in Tschechien, der immer nur dann was repariert, wenn keiner zuguckt.

Ein Beispiel für aufwändige Hand-Lasch-Naht-Arbeit und eine modische Farbkomposition. Längst geht es nicht mehr ausschließlich um warme Hände.
Ein Beispiel für aufwändige Hand-Lasch-Naht-Arbeit und eine modische Farbkomposition. Längst geht es nicht mehr ausschließlich um warme Hände.
Foto: IKZ

Zurück zur Werkstatt: Da sind hölzerne Zuschneidetische, die offensichtlich noch aus den Zeiten stammen, in denen die Damenwelt von Niveau es einfach nicht übers Herz bringen konnte und wollte, mit ungeschützten Händen in den Dreck der Straße zu treten. Da stehen auf einem Regal beheizbare Blechhände mit Steckern, die man selbst nur noch von Uromas Waffeleisen kennt. Diese Hände, so erfahren wir später, brauchte oder braucht man, um die fertigen Handschuhe am Ende noch einmal von innen zu dämpfen. Und der Holzschemel vor der Nähmaschine würde heute wahrscheinlich jeden ergonomisch vorgebildeten Arbeitsplatz-Kontrolleur von selbigem fallen lassen. Hier passt er hin. Und genau der und genau nur hier hin.

Nils Bergauer doziert. Mit der Stimme und mit dem Herzen. Er kann nicht verstehen, dass das Handschuhmachen kein wirklich anerkannter Lehrberuf mehr ist, auch wenn die Handwerkskammer Magdeburg auf einer Ausbildungsmesse sogar mit dem Thema wirbt. Oder dass die wenigen Meister, die es überhaupt noch gibt, nicht offiziell ihr Wissen weitergeben dürfen bzw. dass man also auch nicht den Meisterbrief erwerben kann.

Beim Pekari kann schon mal der Mückenstich stören

Bergauer hat die ganze Geschichte seiner Zunft drauf. Wahrscheinlich muss man sie kennen, um diese Leidenschaft zu entwickeln. Er berichtet von den Hugenotten, die die Kunst noch ganz anders, vielleicht ausgefeilter, beherrschten als die Böhmen, Erzgebirgler oder heute vielleicht auch die Ungarn. Darum geht es übrigens bei den ganzen Fachbegriffen auch noch ziemlich französisch zu.

Wir reden über Leder. Lamm ist gut, Ziege ist besser. Aber am besten ist nur mal südamerikanisches Nabelschwein, auch bekannt als Pekari. „Derzeit schwer zu kriegen und dann auch kaum zu bezahlen“, raunt Bergauer und zuppelt eine kleine Probe aus einer Schrankschublade. Er wolle natürlich nur beste Qualität verarbeiten und da brauche er eben auch nur ausgesuchte Qualität: „So etwas hier gar geht nicht.“ Er zeigt auf eine Stelle des Pekari-Lederstückchens, wo das Tier vermutlich von einer Mücke gestochen worden sei. Der Laie sieht gar nichts, kann die Qualitätseinschränkung also nur staunend zur Kenntnis nehmen.

Es folgt ein Handschuhmacher-Grund-Schnellkurs. Nils Bergauer dehnt als Grundübung ein Stück Leder, weil es hinterher ja nur noch in die dafür vorgesehen Richtungen tatsächlich nachgeben soll. Er zeichnet Schnittformen auf, pappt die Einzelteile mit Spucke zusammen. „Damit hält es nun mal am besten und darum hatten früher die Handschuhmacher auch immer so einen Durst.“ Die nächsten der über 20 Arbeitsschritte: Nun gibt es erst einmal einen kleinen Ausflug in die spannende Welt der Nähte. Sie können nämlich zum Beispiel bei einem Handschuh spürbar innen liegen. Oder außen. Gesteppt werden oder genäht. Wie zum Beispiel die Handlaschnaht. Sie ist mit rund 700 Stichen natürlich etwas ganz Feines. Da sitzt die Oma schon mal gut sechs, acht Stunden dran. „Ich kann das inzwischen zwar auch, aber längst nicht so gut wie die Oma.“

Ein Besucher-Paar unterbricht die Vorführung. Vermutlich Erzgebirgs-Urlauber. Vom Dialekt her vielleicht aus NRW. Man sei ja auf dem Rückweg und wolle eben die bestellten Cabrio-Fahrer-Handschuhe abholen, sagen sie. Kurze Anprobe. Dass sie passen, ist nicht wirklich eine Überraschung, denn Nils Bergauer arbeitet schließlich im Wesentlichen nach Maß. Natürlich hat er für Messen und eilige Kunden auch schon mal Handschuhe in klassischen Größen vorrätig, aber der Individualfall mit den eigens ermittelten Fingerlängen und Handumfängen ist nun in seinen Augen nun mal der sinnhaftere. „Eigentlich soll so ein Handschuh ja was fürs Leben sein‘, sagt er, plädiert dabei natürlich zwinkernd auch durchaus für das Zweitpaar.

„Im Sommer kein Geldund im Winter keine Zeit!“

„Wir sind wieder im Kommen‘, sagt der junge Handschuhmacher und will damit sagen, dass die Zeiten oder „das Dreiviertel-Jahrhundert, in dem der Handschuh nur Winterschutz war“ nach seiner Einschätzung vorbei sind. Frauen aber auch Männer haben ihn wieder als modisches Accessoire erkannt. Nils Bergauer ist dafür gerüstet. Er kombiniert inzwischen bei Eigen-Designs ungewöhnliche Formen und Farben, veredelt mit geklöppelter Spitze oder macht mit gewiefter Nahttechnik sogar den Arbeitshandschuh zum echten Hingucker. Nun freut er sich aber erst mal auf Herbst und Winter. Seine Erkenntnis: „Ein Handschuhmacher hat im Sommer kein Geld und im Winter keine Zeit.“ Aber – bei aller Tradition – hat er natürlich inzwischen auch eine Internetseite. Da muss man sich den Duft von Holz und Leder allerdings erst einmal vorstellen.