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Zu viel klebrige Heile-Welt-Soße im WDR-Film über Essen

Zu viel klebrige Heile-Welt-Soße im WDR-Film über Essen

Das „Heimatabend“-Stadtporträt des WDR über Essen zeigt schöne Bilder, hat aber leider einen seichten Text, der auch bei den Fakten nicht immer sattelfest ist. Und die Schauspielerin Marie-Luise Marjan war als Sprecherin keine gute Wahl.

Essen. 

Die Bilder im WDR-Porträt über Essen sind großartig und bewegend: Der Blick auf die Häusergerippe, die nach dem Krieg von Essen blieben, eine Stadt und ihr Stolz in Trümmern, Menschen, die mit einer Schaufel gegen Schuttgebirge kämpfen. Wiederaufbau? – als Wunder müssen es die Essener empfunden haben, als die Gruga wieder erblühte, die Häuser heilten, als mit dem Bergbau der Mut in die Stadt zurückkehrte.

Mit einem beherzten Griff ins Archiv beschwört der WDR-„Heimatabend“ jene große Zeit unbegrenzter Zukunftsgläubigkeit. Manches filmische Dokument sorgt heute allerdings für leisen Schrecken, etwa wenn zu Bildern gesichtsloser Betonblöcke von überlegenen, modernen Wohnformen geschwärmt wird. Doch solche Irritationen werden im Heimatabend mit einer klebrigen Heile-Welt-Soße übergossen: Völlig ungefiltert gibt Marie-Luise Marjans Off-Kommentar das „Da waren wir wieder wer“-Gefühl der 1960er Jahre wieder. Das liegt nicht allein am eher seichten Textbuch, sondern auch an Marjans Modulation – Mutter Beimers allzu salbungsvolle Stimme kennt weder Brüche noch Ironie.

Eine Profi-Sprecherin hätte dem Film gut getan

Alleinige Qualifikation für diesen Job ist offenbar, dass Marjan 1940 in Essen geboren wurde. Eine Profi-Sprecherin hätte dem Beitrag gut getan. Da hatte es beispielsweise Gelsenkirchen im Rahmen der Heimatabend-Reihe entschieden besser. Sportjournalist Manni Breuckmann, der der Nachbarstadt seine Stimme lieh, mag auch die besten Jahre hinter sich haben, wenigstens kann er an den richtigen Stellen die Stimme variieren.

Eine weitere Schwäche: Die im Film interviewten Essener blieben fast alle allzu sehr im Anekdotischen verhaftet, was gewiss in Maßen unterhaltsam sein kann. Doch hätte man sich auch mal einen Zeitzeugen gewünscht, der aus der historischen Distanz ein wenig differenzierter über seine Heimatstadt spricht. Der Dank gilt Fotografen-Legende Hennes Multhaup, der zwar auch reichlich Dönekes lieferte, immerhin aber ein erfrischend unkorrektes Urteil über das heutige Zollverein-Konzept fällte.

Im Textbuch wimmelt es vor Fehlern und Halbwahrheiten

Wenn jedoch Kiosk-König Willy Göken darüber schwadroniert, dass es im Süden Essens angeblich überhaupt keine Zechen gab (es gab viele, darunter die große Zeche Carl Funke direkt am Baldeneysee) und dass man am See früher immer lecker Schnitzel essen konnte, fragt man sich schon, ob der öffentlich-rechtliche Bildungsauftrag eigentlich jede noch so banale Dampfplauderei umfassen muss.

Vor Fehlern und Halbwahrheiten wimmelt das Textbuch leider sowieso. Weder war die Margarethenhöhe jemals eine „Arbeitersiedlung“ noch war Krupp im Zweiten Weltkrieg die „größte deutsche Waffenschmiede“, und die Zerstörung der Innenstadt war auch keineswegs eine Art Kollateralschaden der Angriffe auf Krupp – das geschah schon – wie überall sonst auch – mit voller Absicht.

Verwirrend der Hinweis, heute sei das Baden im See „wegen der schlechten Wasserqualität“ nicht mehr erlaubt, während hier in den 50er und 60er Jahren „ein Schwimmparadies“ war. Nun, wie jeder weiß, war das Wasser früher weit schmutziger, nur hat es keine Behörde groß geschert. Und die Badenden haben es übrigens auch – soweit bekannt – alle überlebt.

Schade um diesen eher misslungenen „Heimatabend“. Etwas weniger Huldigung, dafür mehr Reibung und vor allem mehr Intelligenz hätte der WDR den Essenern im Jahr 2013 ruhig zumuten dürfen.