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Vom Ex-Freund entstellt – Säureopfer Vanessa kämpft sich zurück ins Leben

Vom Ex-Freund entstellt – Säureopfer Vanessa kämpft sich zurück ins Leben

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dpatopbilder - Das Säureopfer Vanessa Münstermann steht am 10.02.2017 in einem Fotostudio in Hannover (Niedersachsen). Vor genau einem Jahr wurde Vanessa Münstermann von ihrem Ex-Freund mit Schwefelsäure verätzt. Anders als andere Brandopfer versteckt sich die 28-Jährige nicht, sondern gründet den Verein „AusGezeichnet“, um anderen Entstellten Mut zu machen. (zu dpa-Story - Säureopfer Vanessa zeigt Gesicht vom 15.02.2017) Foto: Julian Stratenschulte/dpa +++(c) dpa - Bildfunk+++ Foto: dpa
  • Die 28-jährige Vanessa Münstermann wurde von ihrem Ex-Freund mit Schwefelsäure angegriffen
  • Sie wird ihr Leben lang entstellt bleiben
  • Doch sie versteckt sich nicht – und hilft anderen Säureopfern

Hannover. 

Vanessa Münstermann versteckt sich nicht, obwohl sie seit einem Säureangriff von Narben gezeichnet ist. „Two Face“ hat sie sich vor kurzem in ihr Dekolleté tätowieren lassen, der Name eines Bösewichts aus den „Batman“-Filmen, das passte irgendwie. „Ich verkrafte es für meine Psyche besser, wenn ich mein Gesicht in zwei Hälften teile“, sagt die 28-Jährige.

Vor einem Jahr hatte der Ex-Freund die Kosmetikerin in Hannover mit Säure übergossen. Ihre linke Gesichtshälfte war eine einzige Fleischwunde. Doch schon schnell hatte Vanessa ihr Kämpferherz wiederentdeckt.

Noch im Krankenhaus ließ sie sich fotografieren

Nach dem Aufwachen aus einem künstlichen Koma im Krankenhaus ließ sie sich für Zeitungen fotografieren. Das war als Botschaft zu verstehen: Mich kriegst du nicht klein!

Und heute, ein Jahr nach der Tat, wie bewältigt sie den Alltag?

Treffen mit Vanessa in einer Büroetage in Hannover. Hier plant sie ein Zukunftsprojekt: Mit einem Verein will sie Menschen mit ähnlichem Schicksal helfen. Der Name „AusGezeichnet“ steht für ihre hochfliegende Idee: Auch wenn sie nach der Attacke für immer entstellt ist, möchte sie die Narben ins Positive umkehren.

Vanessa steckt voller Energie

Die Frau mit dem grau gefärbten Haar steckt voller Energie. Knallroter Lippenstift. Sie trägt einen kleinen Ring in der Nase und einen Ohrring. Ihr zweites Ohr wurde fast weggeätzt. Das linke Auge ist trübe, das Lid hängt herunter. Die Säure war über das Gesicht geflossen und hat bis zum Oberkörper wulstige Narben und Rötungen hinterlassen.

Häufig haben Opfer nach einem Unfall oder einem Verbrechen wie diesem einen Filmriss – das ist auch ein psychologischer Schutzmechanismus. Vanessa dagegen kann sich an alle Einzelheiten erinnern.

Zwölf Tage Koma

Es war Montag, 15. Februar, gegen 5.30 Uhr, in Hannover-Leinhausen: Wie jeden Morgen geht die junge Frau früh mit ihrem Hund aus dem Haus. Die Routine kennt ihr Ex-Freund Daniel, der ihr im Dunkeln auflauert. In seiner Jackentasche hält er in einem Glas abgefüllten industriellen Rohrreiniger mit Schwefelsäure griffbereit.

Die Attacke kommt für die Frau unvermittelt, alles geht ganz schnell. „Er kam aus dem Gebüsch, ich hatte keine Chance wegzurennen“, erinnert sich Vanessa. Im Krankenwagen fällt sie in Ohnmacht. Zwölf Tage lang liegt sie im Koma. Ihr Gedanke beim ersten Blick in den Spiegel: „Oh Scheiße!“

Täter wollen Opfern ihre Zukunft verbauen

Die Medikamente, mit denen sie vollgepumpt ist, lindern die Schmerzen und dämpfen die Gefühle. Ein Auge ist fast komplett zerstört, der Mund hängt schief.

Nach Einschätzung der Frauenrechtsorganisation „Terre des Femmes“ ist ein solches Säureattentat in Deutschland eine Seltenheit. Es komme eher in Bangladesch und Indien vor, sagt Referentin Birte Rohles, die Attentate würden vor allem von zurückgewiesenen Männern begangen.

Ex-Freund war wegen Gewalt- und Drogendelikten vorbestraft

„Die Täter wollen die Frauen damit ihr Leben lang zeichnen, ihnen eine Zukunft verbauen. Auch wollen sie damit häufig verhindern, dass die Frau eine neue Beziehung eingehen wird.“

Und wie denkt Vanessa über den Täter? „Er ist ein traumhaft schöner Mann“, sagt die 28-Jährige über Daniel F. „Wenn ich das Aussehen mal weglasse, hätte ich viel früher sehen müssen, dass der total bekloppt ist.“ Er war wegen Gewalt- und Drogendelikten vorbestraft.

Freund muss zwölf Jahre ins Gefängnis

Sie hatten sich im Chat kennengelernt, erst lief alles gut. Eine „Bilderbuchbeziehung“, sagt Vanessa vor Gericht. Beide waren Adoptivkinder, das verband die zwei. Doch bald häuften sich Streit und Spannungen.

Die Situation eskalierte. Er terrorisierte sie telefonisch, beleidigte sie über soziale Medien. Sie zeigte ihn bei der Polizei wegen Stalkings und Gewalt an. Kurz danach geschah der Überfall. Am 25. August wurde der 33-Jährige im Landgericht Hannover zu zwölf Jahren Haft wegen gefährlicher Körperverletzung verurteilt.

Vanessa hat Angst vor der Entlassung des Täters

Seit dem Angriff musste Vanessa Dutzende Eingriffe und Behandlungen über sich ergehen lassen. Bis ans Lebensende wird sie körperlich und seelisch unter den Folgen leiden. Und sie hat Angst um ihr Leben, sollte sie ihrem Peiniger irgendwann wieder begegnen.

„Mir graut es davor, wenn er aus dem Gefängnis rauskommt“, sagt sie. Ein solches Gefühl der Bedrohung kann ein Opfer in tiefe Depressionen stürzen. Vanessa jedoch war schon immer eine Kämpferin.

Verein soll entstellten Menschen helfen

Deshalb hat sie den Jahrestag des Anschlags gewählt, um ihren Verein zu starten. Um es deutlich zu machen, dass sie schnell vorwärts gehen möchte. Sie will Opfern in ähnlichen Situationen am liebsten schon auf der Intensivstation helfen. Auch für Menschen, die von Geburt an entstellt sind, möchte sie Ansprechpartnerin sein.

Pro Jahr erleiden in Deutschland nach Angaben des Selbsthilfeverbandes Cicatrix rund 700.000 Menschen eine Verbrennung, dazu zählen auch Opfer von Strom und Säure. Etwa 18.000 von ihnen müssen im Krankenhaus, 3000 in einem Brandverletztenzentrum behandelt werden.

Brandopfer verstecken sich oft

Viele Verletzte ziehen sich zunächst zurück, sagt die Präsidentin von Cicatrix, Eva Aumann. „Man fühlt sich so, als ob man der einzige Betroffene sei.“ Vanessa Münstermanns Botschaft ist dagegen: „Seht her, sprecht mich an!“

Vor dem Anschlag arbeitete Vanessa Münstermann als Angestellte in der Tankstelle ihres Stiefvaters und ihrer Mutter. Im Moment lebt sie noch von Krankengeld und setzt sich mit der Rentenversicherung auseinander. „Natürlich ist die Existenzangst da“, sagt sie. „Ich bin wirtschaftlich wertlos.“

Täter empfindet vor allem Selbstmitleid

Zwölf Jahre lang müsse sie sich wahrscheinlich noch immer wieder operieren lassen. Im Moment hat sie massive Probleme mit dem fast komplett zerstörten Auge: Sie sieht nur noch etwa 15 Prozent, die Wimpern wachsen nach innen.

Und der Täter, zeigt er Reue? Im Prozess war dies kaum der Fall, eher stellte er sich selbst als Opfer dar. Der Richter bescheinigte ihm in der Urteilsbegründung großes Selbstmitleid.

Täter schreibt Briefe – ohne Entschuldigung

Daniel F. sitzt im Gefängnis in Hannover. Sein Verteidiger Max Marc Malpricht hat ein Revisionsgesuch eingereicht. Er möchte, dass die Haftzeit kürzer ausfällt. Der Bundesgerichtshof hat darüber noch nicht entschieden.

„Er schreibt mir Briefe, von wegen er liebt mich noch“, sagt Vanessa über ihren Ex-Freund. „Er schreibt die Briefe nicht in dem Sinn, es tut mir leid, dass ich dir das angetan habe, sondern als ob wir einen Autounfall hatten. Nach dem Motto: „Wir müssen da jetzt durch“. Der Anwalt sagt, von den Briefen wisse er nichts.

Vanessa bekommt vor Operationen Hassgefühle

Vanessas größter Wunsch ist, dass ihr Ex-Freund sie vergisst. Besonders vor Operationen, deren Narkosen sie schlecht verträgt, kommen Hassgefühle in ihr auf.

„Ich sitze dann in meinem Zimmer und denke, er hat zwar Gitter davor, aber ich kann jetzt auch nicht einfach rausstiefeln und sagen, ich gehe jetzt shoppen. Er hat mich mit eingesperrt – und wenn es nur in meiner eigenen Haut ist.“

Ängste vor der Zukunft

Im Krankenhaus plagte Vanessa die Angst, nie wieder einen Mann abzukriegen, alleine zu sterben. Doch dann lernte sie schon in der Reha einen jungen Mann kennen, weitere Flirts folgten.

„Natürlich kann ich auch wieder Gewalt in der Beziehung erleben. Aber wenn ich mich einschränken würde, hätte Daniel das geschafft, was er wollte“, sagt die 28-Jährige.

Vanessa wünscht sich Mann und Kinder

Im Moment sei der Verein ihr Baby. Aber in fünf Jahren würde sie gerne wieder bei ihren Eltern ausgezogen sein, die ihr nach dem Anschlag das Dachgeschoss des Hauses zur Verfügung stellten.

„Vielleicht ein Partner, der mich so akzeptiert wie ich bin, vielleicht auch mal Familie gründen, so schwierig sich das auch anhört mit mir – das wäre schön!“

• Freunde und Familie haben für Vanessa eine Spendenkampagne ins Leben gerufen, um ihr bei den zahlreichen Operationen in den nächsten Jahren die beste medizinische Versorgung ermöglichen zu können. HIER findest du den Facebook-Auftritt der Spendenkampagne.

(dpa)