Stuttgart.
Mit der Theaterfassung von Daniel Glattauers Liebesgeschichte „Gut gegen Nordwind“ ist der Walter Sittler auf Tournee. Daneben ist der Schauspieler aber auch das Gesicht des Widerstandes rund um den neuen Stuttgarter Bahnhof.
Er bestellt Fliedersaft! In Blickweite der Hotel-Lobby entfernt sitzen die Stuttgarter auf dem Rasen ihres Schlossparks, blinzeln in die herbstliche Sonne. Und Richtung Bahnhof, über den Ferdinand Leitner Steig und die darunter liegende Straßenflucht hinweg, protesteln sie in dem provisorischen Camp aus Plastikplanen und Schirmburg. S 21, das Bahnhofs-Projekt, ist auf dem besten Weg, das schwäbische Pendant zum in den 70ern bekämpften Atomstandort Brokdorf zu werden und er, der Schauspieler Walter Sittler, ist das Gesicht des Widerstandes.
Verliebt per Mail
Den Fliedersaft gab es nicht, also steht nun eine Johannisbeer-Schorle vor ihm. In den nächsten Wochen wird er nicht mehr viel Zeit haben, hier vorbeizuschauen, beim Widerstand gegen und rund um den Stuttgarter Bahnhof. Er ist auf Tournee, mit der Theaterfassung von Daniel Glattauers amüsanter Liebesgeschichte „Gut gegen Nordwind“. Und man kann ihn sich gut vorstellen in der Rolle des Leo Leike, der sich per Mail hoffnungslos in die unbekannte Emmi verliebt. Dreitagebart, braune Jeans, gestreiftes Hemd und nicht so glatt-attraktiv wie im Fernsehen erscheint er zu diesem Treffen. Er tut, was er seit Wochen, seit Monaten macht. Er nutzt seine Popularität, er argumentiert, macht Werbung für die Sache der Gegner. „Ich bin der sichtbare Bürger!”, sagt er.
Wie er will ein Großteil der Stuttgarter, wollen auch viele Menschen im Ländle diesen neuen Bahnhof nicht. Sie fürchten nicht kalkulierbare Kosten, die Zerstörung eines Teils ihres Schlossparks im Herzen der Stadt, sie trauen schlicht dem Projekt nicht und jenen Politikern, die es beschlossen haben. Vor etwas mehr als einem Jahr trat er auf diese bürgerbewegte Bühne. Tauchte auf bei den so genannten Montagsdemos, pflanzte mit dem Bund für Umwelt und Naturschutz ein Widerstandsbäumchen und zog bald die Kameras auf sich. Schließlich kann er nicht nur gut reden, mit dieser sanften, charmanten Stimme, nein, er ist eben nicht irgendwer. Er ist der Womanizer aus Fernseh-Serien wie „girl friends“ und „Nikola“, er ist der Prototyp des Good Guys, wie er es nennt, der Mann, dem man vertraut, dem man Glaubwürdigkeit zubilligt. Die Idealbesetzung also. Kämpft doch der Stuttgarter Widerstand auch gegen den Vorwurf, sich zu spät erhoben zu haben, nämlich erst als das Projekt bereits demokratisch legitimiert war.
Die Gegner wollen Pläne und Zahlen sehen
„Das stimmt nicht. Es wurde immer opponiert”, sagt der 57-Jährige, „nur nicht so wie jetzt. Tatsächlich ist S 21 durch alle Gremien gegangen, aber die Politiker, die darüber entschieden haben, hatten nicht das komplette Wissen.“ Bislang habe die Bahn AG nicht die genauen Pläne, nicht die Zahlen auf den Tisch gelegt. Und genau das erhofft sich Sittler durch den Vermittlungsprozess, in dem nun CDU-Mann Heiner Geißler die Moderation übernimmt. Erst wenn alle Pläne einsehbar seien, könne man abschätzen, wie teuer der Bahnhof wird und „ob wir ihn wirklich wollen!“.
Seit 22 Jahren schon lebt er in Stuttgart. Verheiratet, Vater dreier Kinder, die inzwischen studieren. Dass er in dieser Stadt hängengeblieben ist, hat er wohl selbst nicht erwartet. Als Kind eines US-Literaturprofessors und einer deutschen Lehrerin wurde er in Chicago geboren und war alles andere als sesshaft. „Die Familie zog ständig um, meine Mutter 40mal, und ich, als jüngstes von acht Kindern, bin einfach so mitgelaufen“, erzählt Sittler. Er besuchte viele Schulen, Internate, unter anderem das berühmte Schloss Salem, wo seine Mutter unterrichtete.
„Ich war Klassensprecher, auch Schulsprecher, aber politisch bislang noch nie aktiv“, sagt Sittler. Nun buhlen die Parteien um ihn. Auf Vorschlag der SPD war er Mitglied der Bundesversammlung, die den Bundespräsidenten wählte. Die Linke lud ihn just in den Verkehrsausschuss des Bundestages. Und die Grünen, „die sind sehr freundlich zu mir“, sagt der Schauspieler vielsagend lächelnd. In die Politik zu gehen, wie es ihm manche antragen, käme ihm nicht in den Sinn: „Ich brauch als Schauspieler die Unabhängigkeit des Beobachters!“
Dabei kann er ausgiebig räsonieren über den Staat, wie er ist und wie er sein sollte, über den Bürger, den Souverän, der duldsam sei, lange, aber nicht endlos. Bei diesem Widerstand, sagt Sittler, gehe es nicht mehr nur um den Bahnhof, sondern darum, wie die gewählten Vertreter mit den Bürgern umgingen, wie sie ihre Macht benutzten. Der vernünftige Weg aus der Sackgasse, aus dem Pro und Contra S 21, sei ein Volksentscheid. So verliere niemand das Gesicht. „Und ich gehe davon aus: Wir gewinnen!”