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In vielen Partnerschaften macht sich schon in relativ jungem Alter Unzufriedenheit breit und nicht erst im „klassischen“ Midlife-Crisis-Alter. Wenn der Partner plötzlich Freiheit sucht, können bewusste Freiräume im Alltagsstress helfen.
Eigentlich war doch alles in Ordnung. Dachte sie. Die beiden waren seit einigen Jahren zusammen, unternahmen viel, pflegten Freundschaften und Hobbys. Doch plötzlich sagt er, er könne nicht so weitermachen. Er brauche mehr – vor allem mehr Freiheit. Und sie versteht die Welt nicht mehr.
Solche fundamentalen Krisen waren noch nie auf die Zeit der klassischen Midlife-Crisis beschränkt, aber heute sind sie es weniger denn je: In vielen Partnerschaften macht sich schon in relativ jungem Alter Unzufriedenheit breit und nicht erst im „klassischen“ Midlife-Crisis-Alter. Das beobachtet auch der Aachener Psychotherapeut Volker van den Boom in seinem Arbeitsalltag als Paar- und Sexualtherapeut. Diese Unzufriedenheit der jüngeren Generation könne unterschiedliche Gründe haben: das Unvermögen sich festzulegen, zu hohe Ansprüche oder Stress im Alltag.
Ersteres habe viel mit den langen Ausbildungszeiten zu tun, sagt die Diplom-Pädagogin und Gesprächstherapeutin Gisela Weiß, die in Ludwigsburg als Paarberaterin arbeitet. Wer bis Ende 30 promoviere, bleibe oft auch in seinem Beziehungsverhalten studentisch und sei schneller bereit, Beziehungen aufzugeben. Die Tendenz, im Beruflichen wie im Privaten dauerhaft flexibel und jung zu bleiben, komme vermehrt in Großstädten, gerade in Kreativberufen vor, meint Volker van den Boom. „Diese Menschen werden nie den richtigen Partner finden – nicht weil es ihn nicht gibt, sondern weil sie ihn vielleicht schon mal hatten und es gar nicht gemerkt haben.“
Einen anderen Hintergrund, aber ähnliche Beziehungsprobleme haben jene, die zu hohe Ansprüche haben: „Die hat inzwischen jeder Dritte, der zu mir kommt“, sagt van den Boom – zu hohe Ansprüche zum einen an den Partner, zum anderen an die eigenen Pläne, in die der Partner hineinpassen muss. „Die Leute sind heute wesentlich genauer in ihren Plänen, aber weniger bereit, etwas dafür zu tun.“
Eine wichtige Quelle von Unzufriedenheit bei Paaren mit Familie in dieser Altersgruppe sei, Kinder, Job, Haus und Partnerschaft unter einen Hut bringen zu müssen. „Immer nur arbeiten, sich um die Kinder kümmern und dann müde auf die Couch und Beine hoch – da denkt man irgendwann: Das war“s? Das reicht mir doch nicht.“
Zweifel und Frustration in der Mitte des Lebens
Die „klassische“ Midlife-Crisis als Kulminationspunkt einer Lebenskrise werde immer seltener, meint der Aachener Paartherapeut: „Heute kommen die Wenigsten irgendwann beruflich an einem Ruhepunkt an, an dem sie es sich leisten können, alles infrage zu stellen.“ In einem gewissen Ausmaß beträfen diese Zweifel aber fast jeden: Je älter man werde, desto mehr reflektiere man. Wenn einem klar werde, dass die Hälfte des Lebens vorbei ist, beginne das Gefühl, dass in dem, was man bisher geschafft und erlebt hat, etwas fehle, und die Angst, dass nichts Neues mehr kommt.
Man habe alles schon einmal erlebt, alle Bereiche des Lebens beginnen einen deshalb anzuöden, bringt Gisela Weiß eine weitere Dimension der „klassischen“ Midlife-Crisis auf den Punkt. Da entstehe das „einfache Bedürfnis“, noch einmal etwas Neues erfahren zu wollen. Die Verlockung, noch einmal ganz von vorne anzufangen, sei groß, gerade bei Männern, die mit 50 noch einmal eine Familie gründen können.
Die Kunst sei, sagt Weiß, auszuloten, wie man das Bedürfnis nach Neuem in dem Rahmen, in dem man sich befindet, befriedigen kann – unabhängig davon, ob man 30 oder 50 ist. Das Neue kann mit dem Partner gestaltet werden oder ohne ihn. Wichtig ist nach Ansicht von Volker van den Boom das Gefühl, Freiräume vom Alltagsstress zu haben: Kleine Momente, die man sich ganz individuell gestaltet, oder auch Freiraum für den anderen und mit dem anderen – schließlich krankten viele Beziehungen daran, dass man im Alltag zu wenig echte Zeit miteinander verbringe. „Das bedeutet nicht einfach, mal zusammen ins Kino zu gehen, sondern sich wirklich Zeit zu nehmen, sich auf den anderen einzulassen.“
Welchen Preis ist man zu zahlen bereit?
Wenn ein Partner mit dem Gedanken spielt, Schluss zu machen, ein neues Leben zu beginnen, solle er oder sie sich die Frage stellen, welche Entscheidung welchen Preis kostet, rät Gisela Weiß – denn einen Preis müsse man zahlen: Will man Kontinuität und Geborgenheit zugunsten von uneingeschränkter Freiheit und Abenteuer aufgeben oder umgekehrt?
Laut Gisela Weiß besteht die Tendenz, sich eher für Freiheit und Abenteuer zu entscheiden, vor allem bei Großstädtern. „Auf dem Dorf gibt es die Familie, die Nachbarn, den Verein – das alles gibt einer Beziehung Halt und macht zudem die Frage wichtig, was die anderen denken.“ Je städtischer ein Paar lebe, desto weniger Verbindlichkeiten gebe es.
In einem solchen Umfeld werde zudem der Wunsch nach Freiheit ständig genährt von den Verführungen des „freien Marktes“: „Gelegenheit macht Liebe, könnte man sagen.“ Auch habe es einen großen Einfluss auf die Stabilität einer Beziehung, ob im sozialen Umfeld die Beziehungen stabil sind, oft auseinandergehen oder oft neue Partner auftauchen. Gerade die „Neuverliebung“ von Bekannten wirke quasi ansteckend. Und eine dritte Person, weiß die Therapeutin, sei schließlich der häufigste Trennungsgrund.
Der erste Weg in solch einer Krise – sei sie mit 30, 40 oder 50 – sollte zum Partner führen, sagt Volker van den Boom. Darüber zu reden, sei auf jeden Fall gut, meint auch Gisela Weiß – zu zweit oder auch im „schützenden“ Rahmen einer Moderation. Die empfehle sich, wenn die Angst vor einem offenen Gespräch zu groß ist, etwa wenn den einen Partner Schuldgefühle plagen wegen seines Bedürfnisses, sich abzunabeln. Generell sei der Leidensdruck aber meist bei dem Partner größer, der gerne mehr Nähe hätte und sich zurückgewiesen fühlt.
Doch wie kann man diese unterschiedlichen Bedürfnisse an Nähe unter einen Hut bringen? „Meistens geht es um Verhandlungen“, sagt Gisela Weiß: Das Minimum, das der Nähe Suchende braucht, und das Maximum, das der Freiraum Suchende geben will, sollte ausgelotet werden. „Oft ist viel mehr möglich, als man vorher gedacht hat.“ (dapd)