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Zehn Jahre danach: Die Spuren der Jahrhundertflut

Die Spuren der Jahrhundertflut – zehn Jahre danach

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Foto: Jakob Studnar
Die Hochwasser-Katastrophe 2002 an der Elbe hat Todesopfer gefordert, Häuser und Straßenzüge vernichtet. Noch immer ist nicht alles wieder aufgebaut. Was Flutopfer wie Steffen Hasenputsch aus dem sächsischen Grimma erlebt haben. „Nochmal“, sagt der 52-Jährige, „würde ich das nicht durchstehen.“

Dresden/Grimma. 

Zehn Jahre danach hat Sachsen Niedrigwasser. An der Elbe stehen die Angler auf den Buhnen, durch die Mulde stapfen barfüßig Kinder, in der Müglitz sonnen sich auf staubigen Steinen die Enten, alles ist im Fluss!

Dabei waren die Flüsse selbst nicht mehr hier, damals im August: als sie nach tagelangem Starkregen ihre Betten verließen, sich neue Wege suchten; als sie zu reißenden Strömen wurden, tobenden Wasserfällen, die Häuser erst durchspülten, dann wegrissen und Schlammwüsten zurückließen, wo der Osten gerade wieder begonnen hatte zu blühen. Die Welle war noch nicht verebbt, da hatte das Hochwasser 2002 einen Namen: die Jahrhundertflut.

Der „Wahrsager“ hatte Recht

Georg Dornig in Grimma hatte es geahnt. „Wahrsager“ haben sie ihn geschimpft, als er das Geschenke-Lädchen warnen wollte und den Ratskeller, dabei hatte er nur gerechnet. Die Brücke, auf der sie am Vorabend noch standen, dem Wasser beim Wachsen zuzusehen, war hin; ihr Nachbau wird erst in dieser Woche eingeweiht.

Die Straße, der sie den Namen gab, war ein sprudelnder Strom, in dem 40 Grimmaer Häuser für immer untergingen. An vielen Häusern kann man es noch sehen: Das Kupferschild „Hier machte das Hochwasser Halt“ hängt bei ihnen knapp unterm Fenstersims im ersten Stock. Dort stoppte es auch bei Steffen Hasenpusch. Er muss die steile Stiege erklimmen, um den Scheitelpunkt zu zeigen, Obergeschoss, halbe Herdhöhe.

Es ist Mittag, ziemlich genau die Zeit, zu der Hasenpusch an jenem heißen Tag im August – jeder hier weiß noch, dass es ein Dienstag war – Frau und Tochter im Rettungshubschrauber entschweben sah. Er selbst blieb, wegen des Hundes, vielleicht auch wegen des Hauses. „Nebenan war eins zusammengebrochen, ich habe gehört, wie das Wasser die Fenster eingedrückt hat.“

Also harrte Hasenpusch aus auf dem Dach, lauschte auf das Geräusch brechender Balken und sah die Mulde, wie sie alle Sandsäcke und das Schild gegenüber verschluckte, das erinnerte an ein Hochwasser vor mehr als 50 Jahren, wie sie an seiner Balkonbrüstung leckte. Das Wasser – braune Brühe, vermischt mit Fäkalien, Heizöl und allem, was der Fluss zusammenraffen konnte. Sie retteten den Familienvater aus der Dachluke, da war es Nachmittag und „Totenstille. Kein Vogel sang, der Strom war weg“.

Die Spundwand steht

Steffen Hasenpusch hat schnell wieder aufgebaut, alles entkernt; er ist darüber krank geworden. Vielleicht hatte er es auch zu eilig damals, jedenfalls sind viele Fugen wieder aufgerissen, er muss dringend erneut renovieren. „Nochmal“, sagt der 52-Jährige, „würde ich das nicht durchstehen.“ Seit die neue Spundwand steht, die die Mulde fortan von ihm fernhalten soll, ist ihm das Grundwasser näher gekommen, sein Keller schimmelt, aber er hat „keine Kraft mehr, mich aufzuregen“.

Das sind die Dinge, die man nicht sieht hinter den hübsch wiederhergestellten Fassaden. 250 Millionen Euro Schaden wurden allein in Grimma beseitigt, „wir haben viel Schönes erlebt“, sagt Georg Dornig und meint die „sagenhafte Solidarität“. Helfer kamen beherzt aus dem ganzen Land in die Stadt Augusts des Beherzten, stapelten Sandsäcke, schippten Schlamm, evakuierten Menschen. Noch immer kleben „Danke“-Schilder an den Geschäften, in diesen Tagen werden überall die alten Fotos hervorgeholt – und es wird gefeiert. An der Mulde das Flutfest „Aufgetaucht“, in Dresden das „Inselfest“.

Hier war der Vorort Laubegast zwischen Elbe und Flutgraben zur Insel geworden, bis heute steht der Hinweis „Notversorgung“ an der alten Druckerei. „Wir haben alle profitiert“, sagt der ehrliche Bürger Toto, den sie „König“ nennen in Laubegast seit der Flut: Einer musste ja das Kommando übernehmen über Sandsäcke und Notversorgung, außerdem hat Toto gekocht auf dem einzigen Gaskocher der Gegend. Er hat neue Fenster seit 2002, die er sich ohne die Spenden, ohne das Geld vom Land, kaum hätte leisten können. „Es ist schöner geworden hier.“

Die Ruinen wurden 2005 gesprengt

Was Touristen auch von Weesenstein denken könnten, man muss auch dort genau hinsehen: Das Dorf ist ein anderes geworden. Viele Bürger sind nicht mehr da, sie wohnen jetzt im Nachbarort, in der neuen „Straße des 12. August“. Das Hinweisschild zum „Flut-Museum“ ist schon abgeblättert, an einer von drei neuen Brücken über die Müglitz steht ein Foto von „früher“: Rote Punkte markieren elf Häuser, die nicht mehr sind, dazu ist die Nummer 26 eingezeichnet („2 Todesopfer“). Wo das Heim der Jäpels stand, deren Bild um die Welt ging, wie sie verzweifelt auf nackten, umspülten 36 Rest-Zentimetern ihrer Hauswand um ihr Leben ringen, steht ein Müllcontainer hinter sorgsam gestutzten Hecken.

Niemand hat hier wieder aufbauen dürfen, die Ruinen wurden 2005 gesprengt – der Hochwasserschutz! Aber gerade darum wird in Sachsen bis heute gestritten. 530 Millionen flossen in Spundwände, Drainagen, Filteranlagen. In Dresden zeigt die Kamera zum Jahrestag 1,41 Meter an. Vor zehn Jahren waren es 9,44! Der Bahnhof war damals ein Hafen.

Doch das mulmige Gefühl bleibt.

„Früher“, sagt „König Toto“ von Laubegast beim Inselfest, „sind wir zum Fluss runter gegangen, um zu gucken: weil es da schön war. Heute gehen wir zum Fluss, um zu gucken: ob’s noch passt.“

Schutzmauer ist unbeliebt

Gegen die Schutzmauer aber, die das Land ihnen vor den Fluss setzen wollte, wehren die Anwohner sich. Das Laubegaster Ufer ohne sichtbares Ufer? Dann leben sie lieber mit der Gefahr. Zumal: Die Wassermassen von 2002 (die den Stadtteil im übrigen zuerst aus Richtung Flutgraben überrollten) könnte auch eine Mauer nicht aufhalten. Das war schließlich die „Jahrhundertflut“. Und vom Jahrhundert, sagt die Hoffnung, ist ja gerade erst ein Zehntel um.