Zum Abiball trägt man in diesem Jahr Vokuhila-Kleider
Schluss mit Bescheidenheit. Das Abitur wird in langen Ballkleidern gefeiert. Viele Abiturientinnen kleiden sich in Brautmoden-Läden ein. Ein heißer Tipp ist die Abendmoden-Meile in Duisburg-Marxloh. Und ein weiterer Trend: Vokuhila, vorne kurz, hinten lang.
Gelsenkirchen/Düsseldorf.
Plötzlich sind sie neue Menschen. Die, die eben noch mit dem Pausenbrot gekrümelt und heimlich Hausaufgaben abgeschrieben haben, sind jetzt erwachsen. Ein Mal noch, ein einziges Mal kommen sie zusammen. Zum Abiball, dem großen Finale einer langen Schulzeit. Es ist der oft tränenreiche Abschied und zugleich ein Neubeginn. Wenn sich nach so vielen Jahren ihre Wege trennen, dann feiern die jungen Leute das heute nur noch selten mit Sekt vom Discounter in karger Umgebung. Prunkvolle Bälle nach amerikanischem Vorbild sind angesagt, wenn sich gebildete junge Herren und distinguierte Damen zum Tanz treffen.
Die Sicht der Modeberater
„In dieser Saison sind lange Abendkleider gefragt“, sagt Kristine Logemann, Einkäuferin des Düsseldorfer Modehauses Peek & Cloppenburg. Mit Korsagen, hochgeschlossen oder mit viel freiem Rücken. Und auch, Achtung – Vokuhila! Ältere kennen diesen „Vorne-kurz-hinten-lang-Schnitt“ noch als Frisurenversuch von Profifußballern. In den 80er-Jahren war das – und damit zu früh für Abiturientinnen. Die Mädchen werden sich also völlig unbefangen stylen können und mit ihren Vokuhila-Kleidern gewiss adretter aussehen als Rudi Völler oder Steffen Freund mit ihren Vokuhila-Köpfen.
Bei den Materialien werden laut Kristine Logemann Chiffon oder das Netzgewebe Mesh gewählt. Gerne verziert mit Strass und Pailletten. Ein Farbklassiker hat es derzeit schwer: Schwarz muss leider draußen bleiben. Viele junge Frauen entscheiden sich für zarte Pudertöne, für knalliges Gelb oder Türkis, für Nachtblau oder Marine.
Die Sicht der Abiturientinnen
Nachgefragt bei der 18-jährigen Katrin Meyer und der 19-jährigen Michelle Zöller, die ihr Abitur am Gelsenkirchener Ricarda-Huch-Gymnasium gemacht haben. Sie atmen durch, sie haben es geschafft. Es hat Kraft gekostet, Nerven und Zeit. Damit ist nicht der Prüfungsstress gemeint, sondern der Kleiderkauf. „Eigentlich wollte ich mit der Suche bis nach den Klausuren warten, aber ich habe dann doch schon im Januar angefangen“, sagt Katrin Meyer. Man sieht: Sie hat es gerne gemacht.
Über das Internet hat sie sich die Kleider nach Hause kommen lassen und genüsslich anprobiert. Vieles ging zurück, aber eines, das durfte bleiben. „Ich freue mich auf den Ball. Ich mache mich gerne hübsch und trage höhere, schicke Schuhe.“ In ihrem Fall sind die wahrlich hochhackig und so silbrig-blendend, dass Schwester Melanie (23) vorsichtshalber ihre Sonnenbrille bereitgelegt hat.
Ballkleid-Suche in 30 Geschäften
Katrins Freundin Michelle war unterdessen in Abendgarderobe-Geschäften unterwegs. „Ich muss die Kleider sehen und anfassen können, deshalb hole ich mir im Internet allenfalls Anregungen.“ In Duisburg-Marxloh hat sie die berühmte Brautmodenmeile besucht. Rein in den Laden, rein ins Kleid, raus aus dem Kleid, raus aus dem Laden. 30 Geschäfte. „Aber mir persönlich waren die Kleider eine Spur zu pompös“. Von Mitschülerinnen weiß sie, dass die dort etwas gefunden haben.
Michelle hat schließlich ihren Traum von einem Kleid in einer Boutique in Recklinghausen entdeckt. „Dieses Sommerfrische passt zu ihrem Typ“, habe die Verkäuferin bemerkt. Gesagt, gekauft. – Wie es der Zufall so will, werden Katrins und Michelles Kleider ganz wunderbar am Abiballabend Mitte Juli miteinander korrespondieren. Beide sind aus Chiffon, beide sind klassisch lang, kein Vokuhila, beide türkis. . . „Sind sie nicht“, korrigieren die Mädchen. Eines ist aqua, das andere smaragd. So viel Zeit muss sein.
Die Sicht der Beobachter
Prachtvolles Kleid, feiner Anzug und große Gefühle. An diesem Abend ist die Anspannung besonders hoch, sagen Psychotherapeuten und warnen: Je höher die Erwartungen, desto größer die Gefahr, dass sich der Druck entlädt. „Das ist wie bei Weihnachten und Hochzeiten“, sagt der Jugendpsychotherapeut Peter Lehndorfer. Gefahrenpotenzial steckt auch im Outfit. Nicht auszudenken, was passiert, wenn die Freundin oder noch schlimmer die Feindin, das Gleiche trägt. „Für einige Mädchen wäre das eine Katastrophe“, sagt Schulpsychologin Eva Breitenbach-Grill. Sie empfiehlt dringend, statt sich mit anderen zu vergleichen, lieber darauf zu achten, „worin ich mich wohlfühle“.