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70 Jahre „Ruhrkessel“ – Die letzte Schlacht des Zweiten Weltkriegs

70 Jahre „Ruhrkessel“ – Letzte Schlacht des II. Weltkriegs

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Befreiung durch die Alliierten im 2. Weltkrieg Foto: Ralf Blank
Die „Raumfestung Ruhr-Sauerland“ soll das Ende des Nazi-Regimes noch abwenden. Doch am 1. April 1945 nehmen die Alliierten Südwestfalen und das Ruhrgebiet in die Zange.

Südwestfalen. 

Die „Raumfestung Ruhr-Sauerland“ soll das letzte Bollwerk gegen die Truppen der Alliierten bilden. Doch ein so riesiges Gebiet lässt sich nicht verteidigen, wohl aber in die Zange nehmen. Am 1. April 1945 treffen die Truppen der 1. und der 9. US-Armee bei Lippstadt zusammen und schließen den „Ruhr Pocket“.

Etwa 300. 000 deutsche Soldaten, wahrscheinlich waren es weniger, befinden sich in dem riesigen Kessel, dazu rund fünf Millionen Zivilisten. Die letzten Kriegstage beginnen. Sie bringen Terror und Verzweiflung, denn fanatische NS-Befehlshaber verweigern vielerorts die Kapitulation. Noch bis zuletzt kommt es zu Massenmorden an Justizhäftlingen und Zwangsarbeitern.

Der Hagener Historiker Dr. Ralf Blank hat die letzten Kriegswochen in Südwestfalen erforscht. „Der Ruhrkessel war eine der letzten Kesselschlachten des Zweiten Weltkrieges. Die Militärs glaubten, in diesen Gebieten den Alliierten größtmöglichen Widerstand zu leisten.

Ab Herbst 1944 war schon ein Partisanenkrieg geplant mit sogenannten Werwölfen und dem paramilitärischen Verband des Freikorps Sauerland.“ Auch die Amerikaner haben Angst, dass es in den Gebirgszügen des Sauerlandes und in den Ruinen der zerstörten Städte zu heftigen Kämpfen kommen würde. Doch im Großen und Ganzen erweist sich die Eroberung von Südwestfalen und Ruhrgebiet als „Mopping up the Ruhr“ – als „Aufwischen“.

Vorstoß durch die Flusstäler

Durch den schnellen Vorstoß einer Task Force der „Black Hawks“ genannten 86. US-Infantry-Division aus dem Sauerland über die Flusstäler von Volme und Lenne zur Ruhr wird der Ruhrkessel am 15. April bei Hagen in einen östlichen und einen westlichen Teil gespalten.

Während Bochum und Essen längst eingenommen sind, ist der Widerstand im östlichen Teil größer. Das ist nicht zuletzt das zweifelhafte Verdienst von Befehlshabern wie Albert Hoffmann, dem Gauleiter in Westfalen-Süd, der in Wetter auf dem Harkortberg residiert.

Hoffmann lässt noch im April 1945 Brücken sprengen und verhindert die kampflose Übergabe unter anderem von Hamm und Soest. Dabei hat er seine eigene Flucht längst geplant und dazu Verstecke im Sauerland organisiert.

„Hoffmann konnten die Briten erst im Oktober 1945 festnehmen“, so Ralf Blank.

„Die ,Kesselschlacht’ an der Ruhr ist seit 1945 von einem Netz unterschiedlicher Legenden und Erzählungen umgeben“, konstatiert der Historiker. Gauleiter Hoffmann hat zum Beispiel seine eigene Entnazifizierung betrieben und vor Gerichten nach 1945 alles auf seine Mitarbeiter geschoben. Die Legendenbildung dient ebenfalls dazu, die Wehrmacht als von Kriegsverbrechen saubere Instanz darzustellen.

„Die Verstrickungen von Generalfeldmarschall Model in die Massenmorde von Gestapo und Sicherheitspolizei werden wie seine politischen Aussagen dabei geflissentlich übersehen“, so Ralf Blank. „Doch seine Mitwirkung an den Endphaseverbrechen ist unstrittig. Am 7. April 1945 hat Model beispielsweise angeordnet, dass die Insassen von Strafanstalten und Zuchthäusern der Gestapo zur ,Überprüfung’ zu übergeben seien. Dieser Befehl führte schließlich zu Massenerschießungen.“

Die Eroberung des Ruhrkessels kostet die US-Army rund 1500 gefallene Soldaten, weitaus weniger als von alliierter Seite befürchtet worden war. Die Bevölkerung und die eingeschlossenen deutschen Truppenverbände haben am Ende hohe Verluste, rund 10 .000 sollen es im März und April allein in Westfalen gewesen sein, „doch genaue Zahlen sind nicht bekannt“, schildert Blank.

Jede Stadt, jedes Dorf hat eigene Geschichten, wie die Amerikaner einmarschieren. Wer die weiße Fahne zu früh hisst, riskiert nach Himmlers Flaggenerlass die Todesstrafe. Wer sie zu spät zeigt, muss damit rechnen, dass die US-Truppen schießen. Viele Gemeinden werden einfach überrollt. Andere, wie Meschede, Hagen und Hohenlimburg, kämpfen bis zuletzt.

Bürgermeister begeht Selbstmord

Wie sich die „Endkämpfe“ abspielen können, zeigen die Ereignisse in der damals noch selbstständigen Kleinstadt Hohenlimburg. In der Jugendherberge liegt seit dem Jahreswechsel 1944 /45 der Stab der HJ-Bannführung Westfalen-Süd, die in den umliegenden Wäldern Jugendliche aus dem Sauerland an Panzerfäusten und Schusswaffen ausbildet.

Die Bereitschaft, noch in den letzten Kriegstagen sein Leben zu opfern, hält sich in Grenzen. Doch Bürgermeister Dr. Wilhelm Pott, ein alter NSDAP-Kämpfer und SA-Führer, verweigert die Übergabe. Am 15. April bringt der Bürgermeister seine Frau, seinen 12-jährigen Sohn und sich selber um – wie viele hohe NS-Funktionäre.

Jetzt ergreifen drei Geistliche die Initiative, vom Ortsgruppenleiter der NSDAP ist seit dem Herannahen der Amerikaner nichts mehr zu hören und zu sehen. Am 16. April rücken die Amerikaner in die Stadt ein. Für die Bevölkerung ist der Krieg vorüber.

Ralf Blank: „Das Kriegsende wirkte wie ein Scharnier, wie eine Türschwelle. Sowohl für Nazis, die sich nach 1945 als Retter vor der finalen Zerstörung inszenierten, als auch für einen Großteil der Bevölkerung, die manches der nationalsozialistischen Volksgemeinschafts-Ideologie hinüberbrachte.“