Man kann nicht gerade behaupten, dass die heiß erwarteten Memoiren der Ex-Bundeskanzlerin Angela Merkel Begeisterungsstürme auslösten. Auch wenn es durchaus einen Run auf das Buch gab (meistverkaufte Buch des Jahres 2024), fiel das Medienecho über die politische Autobiografie selbst in weiten Teilen kritisch aus. Zu nüchtern gebe sie das Geschehene wieder. Zu wenig verrate sie in den mehr als 700 Seiten über sich selbst.
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Umso spannender war im Vorfeld, ob sie bei der Lesung in der Kölner Flora am Montag (16. Dezember) mehr über sich preisgeben würde. Ob es die kernige Moderatorin Bettina Böttinger schaffte, die einst mächtigste Frau der Welt zu knacken?
Angela Merkel: „Ich rede viel lieber, als ich schreibe“
Gleich zu Beginn der Veranstaltung klärte Merkel auf: Das letzte mal, das sie mehr als 70 Seiten geschrieben habe, sei bei ihrer Diplomarbeit gewesen. Deswegen hätte das Buchprojekt für die studierte Physikerin schon eine Herausforderung dargestellt, die sie zusammen mit ihrer langjährigen Vertrauten Beate Baumann stemmte. Auch sei das Schreiben von Einsamkeit geprägt. Dabei sei sie es gewohnt, ständig unter Menschen zu sein. „Ich rede viel lieber, als ich schreibe“, gibt Merkel zu.
Ist das etwa eine Rechtfertigung? Nach der Veröffentlichung der Autobiografie zeigten sich viele Journalisten enttäuscht: „Hätte sie sich doch einen Ghostwriter genommen“, ließen sie ihre Ernüchterung heraus. Der Text unterhalte nicht wirklich. Zu langatmig der dicke Schinken. Die Journalistin und Moderatorin Amelie Fried witzelte bei Maischberger über das Buch: „Hätte Merkel doch einen Kurs im kreativen Schreiben bei mir gebucht.“
Merkel wusste das Publikum zum Lachen zu bringen
Dabei kann Merkel durchaus unterhaltsam sein. Das zeigte sich auch wieder in Köln. Auch wenn es keine Schenkelklopfer waren, wusste sie doch das Publikum zum Lachen zu bringen. Als sich Böttinger beispielsweise zu sehr staunend über die Begeisterung des Londoner Publikums bei Merkels Auftritt in der Royal Festival Hall zeigte, sie sogar behauptete, dass an diesem Ort selbst Jimi Hendrix und David Bowie nicht mehr Applaus bekommen hätten, entgegnete Merkel trocken: „Das können wir beide nicht wissen. Ich war nicht bei Jimi Hendrix, Sie waren nicht bei mir.“
Als Böttinger dann die Bühne für Merkels Lesung freimachte, drohte Merkel dem Publikum schon fast: „So, jetzt bin ich mit Ihnen alleine.“
Ihre Lesung begann sie aus „gegebenem Anlass“ mit dem Kapitel „Plötzlich Neuwahlen“. Am selben Tag hat Scholz im Bundestag die Vertrauensfrage gestellt.
Altkanzlerin über Putin: „Er wollte mich testen“
Ein weiterer Moment der Erheiterung, wenn auch der fiesen Art: Ihr erster Staatsbesuch bei Putin in Moskau. Der russische Staatspräsident überreichte Merkel damals einen großen Stoffhund, mit den Worten: „Keine Angst, der beißt auch nicht.“ Die Politikerin mag Hunde nicht wirklich, weil sie mal von einem gebissen wurde. Das wusste Putin. Ein Mitarbeiter aus Merkels Stab musste dann „mit dem Stofftier durch den Kreml laufen“. Beim zweiten Besuch ließ Putin dann sogar seinen Hund zu sich und Merkel in das Empfangszimmer hereinkommen. „Er wollte mich testen, wie ich reagiere“, erklärt sie dazu in Köln.
Sie habe das Beste daraus gemacht, findet sie. Politik ist, so wird es klar, bisweilen ein dreckiges Geschäft. Wie sich die Altkanzlerin in dieser Welt durchgesetzt habe, will Böttinger wissen. Darauf antwortet Merkel, dass ihr klargeworden sei, dass „die auch alle nur mit Wasser kochen“.
Gerade bei den großen Themen – Flüchtlingszuzug im Jahr 2015, der fast zum Bruch der Union führte und in Sachen Russland nach der Krim-Annexion – zeigte sich sich erwartungsgemäß wenig selbstkritisch.
Fazit: Merkels Lesung war unterhaltsam, ohne zu lustig zu sein. Sie hat durchaus den ein oder anderen Einblick erlaubt, ohne zu viel zu verraten. Auch nach der Lesung muss man sagen: Man hätte gerne mehr erfahren.
Das Buch „Freiheit“ von Angela Merkel ist Ende November im Verlag Kiepenheuer&Witsch erschienen. Es umfasst rund 700 Seiten und kostet 42 Euro.