Eigentlich wollte er als Kümmerer kommen. Doch als Armin Laschet am Montag durch die zerstörten Straßen des Hochwassergebiets von Swisttal bei Bonn geht, weht dem nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten ein scharfer Wind entgegen.
Zweieinhalb Wochen nach den verheerenden Unwettern mit Dutzenden Todesopfern und Milliardenschäden sind viele Betroffene mit ihren Nerven und ihrer Geduld am Ende, fühlen sich von den Behörden im Stich gelassen – auch von Armin Laschet und der Landesregierung – und machen ihrem Zorn unverblümt Luft.
Armin Laschet: Es sind keine guten Bilder für den Kanzlerkandidaten
„Versprechen gelten hier nichts, Herr Laschet“, tut ein Mann dessen Erklärungen und Hilfsankündigungen ab – unter dem Applaus der umstehenden Bürger. In Swisttal habe es keine Alarmierungen vor dem Unwetter gegeben. „Unsere Verwaltung ist ein riesengroßer Versager“, schimpft Anwohner Paul Greve, der noch in seiner blauen Latzhose im Einsatz ist. „Sie werden es bei der Wahl merken – und Sie leider auch“, sagt er mit Fingerzeig auf den CDU-Chef.
Keine guten Bilder für den Kanzlerkandidaten der Union, der knapp acht Wochen vor der Bundestagswahl ohnehin gerade einen schweren Stand hat: sinkende Umfragewerte, unverhohlene – wenngleich stets allgemein verpackte – Kritik von CSU-Chef Markus Söder am Wahlkampfstil und die jüngste Plagiatsaffäre um eine Textähnlichkeit in einem seiner Bücher.
Und dann gab es noch die Bilder vom lachenden Landesvater, während Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier Mitte Juli seine Trauer um die Hochwasseropfer ausgedrückt hatte. „Lachen Sie doch noch mal“, ruft eine aufgebrachte Frau dem NRW-Regierungschef in Swisttal sarkastisch zu.
Bad in der Menge wird für Armin Laschet eher zum Kessel
Hier scheint der erhoffte Befreiungsschlag zum Fiasko zu werden: Das übliche Bad in der Menge wird an manchen Schauplätzen der Unwetterkatastrophe eher zum brodelnden Kessel.
Niklas Hart, ein 20 Jahre alter Anwohner, sagt über Laschets Auftritt: „Er guckt sich die Sachen an. Aber er könnte auch in seinem Büro einfach direkt sitzen und die Container hierhin bestellen. Dafür muss er doch nicht hier sein. Das ist einfach ein Wahlkampfauftritt. Während des Hochwassers hat gar nichts geklappt.“ In der Hochwassernacht habe er selbst zu seiner Oma schwimmen müssen.
Er wisse, dass das jetzt sein Job sei, auch Container schnell und unbürokratisch zu besorgen, versichert Laschet im Disput mit Anwohnern. „Das hat mit Wahlkampf 0,0 zu tun.“
Nur etwa jeder sechste Bundesbürger traut dem 60-jährigen CDU-Chef laut einer jüngst veröffentlichten Umfrage zu, die richtigen Lehren aus der Flutkatastrophe zu ziehen. Jetzt ist er in schwerer Beweisnot, dass er es doch kann – immerhin ist er als Regierungschef des bevölkerungsreichsten Bundeslands in direkter Verantwortung.
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Mehrfach versichert Laschet, dass er gekommen sei, um sich vor Ort ein Bild zu machen und dass er sich sowohl um Soforthilfe als auch gemeinsam mit dem Bund um den Wiederaufbau kümmern werde. Bei der Unwetterkatastrophe in NRW und Rheinland-Pfalz waren mindestens 179 Menschen gestorben, darunter allein 47 in NRW. Hinzu kamen enorme Sachschäden.
Armin Laschet: „Ich weiß gar nicht, warum sie so polemisch sind“
Viele Anwohner im von Zerstörung gezeichneten Swisttal schildern eindrücklich, dass es in ihrem Ort in der Unwetternacht keine Vorwarnung und keine Hilfe von den Behörden gegeben habe. „Wenn wir nicht Freunde bei der Feuerwehr in Rheinbach gehabt hätten, wären meine Eltern jetzt tot. Dat sag‘ ich Ihnen!“, ruft ein Mann dem Ministerpräsidenten zu. „Die haben wir nachts um zwei Uhr aus dem Bett geklingelt. Da war nichts – keine Alarmierung!“
Laschet steht vor einem zerstörten Kindergarten, einer unbrauchbaren gewordenen Schule, unterspülten Firmengebäuden und stinkenden Müllbergen. Er hört zu, wirkt bedrückt, kratzt sich immer wieder mal am Ohr, will aber auch nicht Prellbock sein für alles was schief gelaufen ist: „Ich weiß gar nicht, warum sie so polemisch sind“, gibt er einem kritischen Anwohner zurück. Die Warnsirenen seien in NRW nicht in seiner Amtszeit abgeschafft worden.
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Mehr über Armin Laschet:
- Der 61-Jährige ist Kanzlerkandidat von CDU und CSU.
- Er ist 1,72 Meter groß – Merkel kommt auf 1,65 Meter.
- Laschet soll ein direkter Nachfahre von Karl des Großen sein.
- Seit 2017 ist er Ministerpräsident von NRW, seit 2021 CDU-Bundesvorsitzender
- Armin Laschet lebt in Aachen und hat mit Ehefrau Susanne drei erwachsene Kinder (zwei Söhne und eine Tochter)
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Bei einer Direktwahl des Kanzlers erhielte der CDU-Chef aktuell nur 13 Prozent, wie die Erhebung des Meinungsforschungsinstituts Insa für die „Bild am Sonntag“ ergab – ebenso viel wie die Kandidatin der Grünen, Annalena Baerbock. SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz legte demnach um einen Punkt auf 22 Prozent zu. Auch zwei andere Umfragen hatten zuletzt Scholz vor Laschet gesehen.
Armin Laschet erhält Ratschläge von Markus Söder
Gute Ratschläge für einen zugkräftigeren Wahlkampf erhielt Laschet am Wochenende erneut von Söder, gegen den er sich im Frühjahr als Kanzlerkandidat durchgesetzt hatte. Wie im Fußball empfehle es sich, „einfach auch noch mal selbst zu stürmen und ein bisschen offensiv zu werden“, hatte Söder am Sonntag im ZDF-Sommerinterview gesagt. „Das muss jetzt kommen.“ Seine eigene Rolle im Wahlkampf beschrieb Söder als „Antreiber“.
Dabei dürfte Laschet noch Söders viel zitierter Satz in den Ohren klingeln: „Es ist ganz wichtig, dass wir in den nächsten Wochen dokumentieren, dass es nicht nur darum geht, sich mit Schlafwagen ins Kanzleramt zu fahren, auf langsame Geschwindigkeit.“
In der Eifel-Gemeinde Schleiden kündigt Laschet am Montag einige konkrete Initiativen an: für eine Sonderregelung im Insolvenzrecht will er sich stark machen und für einen per Bundesgesetz verankerten Wiederaufbaufonds, „damit das Geld verlässlich ankommt“. Wenn die Ministerpräsidentenkonferenz am 10. August einen entsprechenden Beschluss fasse und alle mitzögen, könne das Gesetz innerhalb von fünf Wochen beschlossen sein, unterstreicht Laschet.
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Mehr zu Armin Laschet:
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Ob das die Initiative ist, die Söder meint, wird sicher bald aus Bayern zu vernehmen sein. Die Jugend zumindest hat Laschet offensichtlich noch nicht vollständig überzeugt. In Swisttal schleichen sich zwei Jungen von hinten an ihn heran und machen Selfies mit dem Kanzlerkandidaten im Hintergrund. Laden sie das jetzt bei Instagram hoch? Die prompte Antwort: „Auf keinen Fall. Das ist peinlich!“ (dpa)
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