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Asyl-Debatte: „Diese Mädchen sind Freiwild in Syrien“ – lässt Deutschland sie jetzt im Stich?

Ein Verein holt syrische Asyl-Suchende nach Deutschland, ohne den Staat zu belasten – doch wie lange geht das noch?

Hunderte Syrer konnten dank privater Spenden nach Deutschland kommen – doch das erfolgreiche Asyl-Programm droht zu scheitern.
© Flüchtlingspaten Syrien e.V.

Scholz fordert Abschiebungen nach Afghanistan

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hat den tödlichen Messerangriff auf einen Polizisten in Mannheim als "Terror" bezeichnet. In einer Regierungserklärung zur Sicherheitslage im Bundestag forderte er, Straftäter auch nach Afghanistan und Syrien abzuschieben.

Nicht zuletzt durch den Messerangriff in Solingen ist das Thema Asyl wieder in den Fokus gerückt. Es gab einen Migrationsgipfel, CDU-Chef Friedrich Merz hat einen Aufnahme-Stopp für alle Syrer und Afghanen gefordert. Doch was sind das für Leute, die dann nicht mehr auf Asyl in Deutschland hoffen können?

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Keine Verbrecher und keine Sozialschmarotzer, erklärt Katrin Albrecht, Geschäftsführerin des Flüchtlingspaten Syrien e.V. Mit ihrem Projekt kosten die Asylsuchenden den Staat keinen einzigen Cent.

Schicksale in Syrien: „Mädchen bleiben allein zurück“

Die Flüchtlingspaten versuchen Menschen aus Syrien nach Deutschland zu retten. „Anfangs war es vor allem die Bedrohung durch Kriegshandlungen, die die Menschen zu Asylsuchenden gemacht hat. Mittlerweile ist es vor allem die politische Verfolgung“, erklärt Albrecht. „Jetzt gerade haben wir einen Fall von drei Kindern, deren Eltern beide in der Opposition waren. Sie wurden eingesperrt, und man weiß nicht, ob sie noch leben oder jemals freikommen können. Die kleinen Kinder sind bei ihrer Tante, die nicht gut zurechtkommt, und ihre Großeltern sind in Deutschland und versuchen alles, um ihre Enkel zu holen.“

Doch auch eine andere Gruppe in Syrien braucht besonderen Schutz: junge Frauen. „Das sind junge Frauen, deren Familie teilweise schon geflüchtet ist, die aber während des Asylverfahrens 18 geworden sind und deswegen ihren Familien nicht durch normalen Familiennachzug folgen konnten. Diese Mädchen bleiben dann allein zurück“, erklärt Albrecht. „Bei ihnen weiß die ganze Umgebung, dass der Rest der Familie weg ist, und so sind sie völlig ungeschützt. Diese Mädchen sind Freiwild, was Übergriffe angeht.“

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Sie können dann von den Flüchtlingspaten nach Deutschland geholt werden, wenn sich einer ihrer bereits in Deutschland lebenden Angehörigen an sie wendet und die Situation schildert. Viele Menschen in Syrien brauchen Asyl, berichtet Albrecht. Doch es gibt Personengruppen, denen der Flüchtlingspaten Syrien e.V. öfter unter die Arme greift. Bedingung ist, dass die Personen wegen des Bürgerkriegs flüchten müssen und in einer humanitären Notlage sind.

So funktionieren die Flüchtlingspaten: Bürger haften im Zweifelsfall

Das Verfahren geht so: Wenn sich die Flüchtlingspaten dazu entscheiden, eine Person nach Deutschland zu holen, werden erst mal deren Unterlagen geprüft. Anschließend wird eine Person gefunden, die die Bürgschaft für den Asylsuchenden übernimmt. „Dann sammeln wir die Unterlagen der Person, die angefragt hat, also der Person, die schon in Deutschland lebt. Auch die Unterlagen des Asylsuchenden und diejenigen der Person, die die Bürgschaft übernimmt.“

Die Bürgen müssen ein hohes Nettoeinkommen haben, denn sie haften im Zweifelsfall dafür, dass dem Staat keine Kosten durch den Asylsuchenden entstehen. Auch dann nicht, wenn er schon länger in Deutschland lebt. So belasten diese Menschen nie das Sozialsystem. Dass die Bürgen die Geflüchteten finanzieren müssen, kommt jedoch in der Praxis nicht vor, berichtet Albrecht. „Wir sichern in unserem Verein alles über Spenden ab. Das klappt auch in den bisher über 300 Fällen wunderbar.“ Das liegt an den vielen Paten, den namensgebenden Mitgliedern des Vereins, die durch Spenden ab 10 Euro im Monat bei der Rettung und Integration helfen.

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Wenn alle Unterlagen da sind, werden sie dem Land Berlin vorgelegt, das sie prüft und mit dem der Bürger den Vertrag unterschreibt, dass er die finanzielle Absicherung der Person übernimmt. „Das alles geht am selben Tag per sogenannter Asyl-Vorabzustimmung an eine der Botschaften in den Ländern rund um Syrien, weil es in Syrien selbst keine deutsche Botschaft mehr gibt. Da vergehen viele Monate, in denen die Botschaft den arabischen Teil der Unterlagen überprüft.“

Am Ende dieser Wartezeit müssen die Asylsuchenden in die Botschaft kommen, wo überprüft wird, ob ihre Geschichte mit den Angaben aus den Unterlagen übereinstimmt. Erst danach erhalten sie ihr Visum. Albrecht erklärt: „Von der ersten Begegnung bis zur Ausreise sind es zehn bis zwölf Monate im Durchschnitt.“ Eine lange Zeit, die die Menschen teilweise in lebensbedrohlichen Situationen aushalten müssen.

Ankunft in Deutschland: „Immer super emotional“

In Deutschland angekommen, werden die Geflüchteten von den Familien am Flughafen abgeholt, oft sind dann auch ihre Bürgen dabei. „Das ist immer super emotional, weil sich die Familien teilweise jahrelang nicht gesehen haben. Wenn die Bürgen dabei waren, ist oft der Grundstein für eine Verbindung gelegt, die oft jahrelang anhält.“

Wenn die Geflüchteten nicht bei ihrer Familie wohnen können, helfen die Flüchtlingspaten bei der Wohnungssuche. Sie unterstützen durch Sprachkurse und die rasche Integration in die Berufstätigkeit oder Schule. Das ist alles möglich, da die Verpflichtungserklärung den Syrern ermöglicht, direkt arbeiten zu gehen.

Asyl-Debatte: Ende des Projektes? „Wir haben Angst“

Auch vor der durch Solingen angestoßenen neuen Asyl-Debatte war schon unklar, ob das Projekt der Flüchtlingspaten so weitergehen kann. „Seit Bestehen dieser Programme werden sie immer nur für ein Jahr verlängert. Jedes Jahr müssen unsere übrig gebliebenen Standorte bis kurz vor Jahreswende zittern, ob das Programm weiterlaufen darf.“ Das Programm der Flüchtlingspaten gab es ursprünglich in 14 Bundesländern, heute sind es nur noch vier.


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„Wir haben die Angst, dass dieses Programm jetzt auslaufen könnte. Was völlig absurd ist, wenn man immer die illegale Einwanderung kritisiert und dann legale Zugangswege, die auch noch kostenmäßig von der Zivilgesellschaft getragen werden und statt dem Seeweg den Flugweg bedeuten, einstellt. Wenn die Regierungen der Länder darüber nochmal nachdenken könnten, wären wir sehr froh.“