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Jobcenter-Mitarbeiterin über Bürgergeld: „Man kann machen, was man will, es wird weitergezahlt“

Bürgergeld als bedingungsloses Grundeinkommen? Eine Jobcentermitarbeiterin berichtet von Menschen, die jegliche Arbeit verweigern. Was passiert, wenn das System ausgereizt wird?

Die Zahl der "Totalverweigerer" unter den Bürgergeld-Empfängern sorgt für Diskussionen. Was passiert, wenn Sanktionen folgen? Eine Fallmanagerin berichtet aus dem Alltag im Jobcenter.
© IMAGO/Sven Simon

Bürgergeld: Lohnt sich die Arbeit für Geringverdiener noch?

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Renate Schwimmer, eigentlich heißt sie anders, hat kein Verständnis mehr. Sie ist Fallmanagerin im Jobcenter und fordert andere Regelungen für die sogenannten „Totalverweigerer“ unter den Empfängern von Bürgergeld. Ihre Geschichten erzählt sie mit einem Kopfschütteln.

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Das Bürgergeld soll Menschen in Deutschland helfen, über die Runden zu kommen, wenn sie es selbst nicht alleine schaffen können. Diese Leistung erhielten laut Sozialministerium im August 2023 etwa 5,5 Millionen Menschen. Fast alle zu Recht, doch einige könnten auch arbeiten, erklärt die Jobcentermitarbeiterin Renate Schwimmer.

Totalverweigerer im Fokus: Bürgergeld ohne Gegenleistung?

Sie erzählt der „Welt“ von einem Mann, für den sie zuständig ist, der Mitte 30 ist und immer noch bei seinen Eltern lebt. Er habe „seit seinem Hauptschulabschluss nichts mehr gemacht. Seit August 2018 bezieht er Bürgergeld.“ Kontakt mit diesem Totalverweigerer habe sie zuletzt telefonisch gehabt, „vor fast vier Jahren“.

Das sei nur ein kleiner Teil ihrer Kunden, erklärte die 58-Jährige. Sechs Prozent der etwa 135 Bürgergeldempfänger, die sie betreut, sind sogenannte „Totalverweigerer“. Also Menschen, die erwerbsfähig sind, aber nicht arbeiten wollen. Die aktive Kontaktaufnahme durch Schwimmer selbst ist dabei sehr schwierig: „Über E-Mail dürfen wir nicht in Kontakt treten, weil die Kommunikation nicht ausreichend vor dem Zugriff durch Dritte geschützt wäre. Ich kann anrufen, die meisten kennen jedoch die Nummer des Jobcenters und gehen nicht dran.“

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Ähnliches gelte für den Postweg. Die dritte schriftliche Einladung des Jobcenters werde zwar „persönlich von einem Fallmanager zugestellt“, Schwimmer berichtet, „in den meisten Fällen öffnet der Betroffene die Tür aber nicht.“ Schwimmer erklärt: „Man kann machen, was man will, es wird weitergezahlt“.

„Eigentlich Grundeinkommen durch die Hintertür“

Laut Website der Bundesagentur für Arbeit sind diese Fälle jedoch die Ausnahme: 2023 waren von den rund 5,5 Millionen Bürgergeldempfängern nur 15.774 als „Totalverweigerer“ eingestuft. Bei diesen wurden dann Sanktionen verhängt. Auf solche Konsequenzen reagierten die Totalverweigerer dann aber meist nur mit einem wütenden Anruf, erklärt Schwimmer.



„Wenn jemandem so viel Geld gestrichen wird und er trotzdem klarkommt, ist er dann bedürftig? Ich finde nicht. Eigentlich ist das Bürgergeld ein bedingungsloses Grundeinkommen durch die Hintertür.“