Der Bundesvorsitzende der Jungen Liberalen ist so etwas wie das Anti-Klischee eines FDP-Politikers. Im Interview mit unserer Redaktion erzählt Jens Teutrine, wieso er gerade deshalb so gut zur Partei passt, ob die FDP doch langsam mit der Ampel-Koalition flirtet und wieso er Steuersenkungen für Reiche für gerecht hält.
Jens Teutrine sagt vor der Bundestagswahl: „Wir kämpfen dafür, dass der nächste Finanzminister nicht Robert Habeck, sondern Christian Lindner heißt.“
Vor der Bundestagswahl haben wir Gespräche mit Vorsitzenden verschiedener Jugendorganisationen von Parteien geführt. Teutrine ist seit 2020 Bundesvorsitzender der JuLis. Der 27-Jährige kandidiert aussichtsreich auf Platz 18 der FDP-Landesliste NRW für den Bundestag.
Herr Teutrine, bei allem Respekt, aber: Wie passen Sie eigentlich zur FDP? Sie studieren nicht Jura, BWL oder Medizin, sondern Philosophie und Sozialwissenschaften. Sie haben mit ihren 27 Jahren keinen Uni-Abschluss, wollen aber im September in den Bundestag und dann direkt nach dem Studium von Steuermitteln leben! Passt nicht wirklich zu den gängigen FDP-Klischees…
Jens Teutrine: Meine alleinerziehende Mutter hat als Putzkraft hart gearbeitet und alles dafür getan, damit es unserer Familie gut geht. Obwohl ich aufgrund einer Sprachstörung zunächst auf eine Förderschule mit dem Schwerpunkt Sprache ging, bin ich der erste in meiner Familie, der ein Abitur erreicht hat und studiert. Andere Kinder haben aufgrund meiner Sprachstörung zum Teil nicht verstanden, was ich sagen wollte und ich konnte meine Interessen nicht artikulieren. Heute gebe ich Interviews und spreche auf politischen Bühnen. Seit ich 18 bin finanziere ich mir meinen Lebensunterhalt selber und gehe durchgehend arbeiten, bereits als Schüler beispielsweise habe ich ab 5 Uhr morgens am Sonntag Brötchen verkauft. Auch aktuell stehe ich auf eigenen Beinen und bin von niemandem abhängig. Das Studium schließe ich aktuell ab. Das entspricht den Werten der FDP.
Was sind das für Werte und inwiefern widersprechen Sie den Klischees über die FDP?
Nicht die Herkunft oder der soziale Hintergrund sollen über Chancen im Leben entscheiden, sondern Charakter, Leistung und Fleiß. Wir wollen Menschen nicht bevormunden, kleinmachen oder durch zu viel Staat gängeln, sondern Liberale trauen Menschen etwas zu. Wir setzen alle ein, die versuchen durch eigene Leistung voranzukommen. Das kann die Altenpflegerin sein, genauso wie jemand, der ein Unternehmen gegründet hat. Und wir setzen uns für all diejenigen ein, die noch vorankommen wollen aus eigener Leistung, unabhängig von ihrer Herkunft, dem Geschlecht, der sexuellen Orientierung oder ihrer Hautfarbe. Das ist das Leitbild der FDP: Eine offene Gesellschaft, in der für jeden der soziale Aufstieg, Vorankommen durch eigene Leistung und die Verwirklichung von Lebensplänen möglich ist. Insofern sind das nette Klischees, die Sie da genannt haben, die auch vom politischen Gegner gerne benutzt werden, aber das trifft auf die FDP nicht zu.
Nervt Sie als Bundesvorsitzender der JuLis diese klare Festlegung von Christian Lindner auf den nicht gerade beliebten Kanzlerkandidaten Laschet und eine Jamaika-Koalition?
Als FDP gehen wir als eigenständige Kraft in diese Wahl. Christian Lindner hat auch gesagt, dass die Wahlkampf-Performance von Armin Laschet zu wünschen übrig lässt. Auch auf mich wirkt der CDU-Wahlkampf kraftlos, ideenlos und inhaltlich orientierungslos. Das ist nicht die Modernisierung die wir dringend brauchen. Wir schließen eine Koalition und jegliche Zusammenarbeit mit der AfD aus, sie ist eine völkisch-nationalistische Partei. Die Linkspartei passt mit unseren Werten nicht überein, deswegen schließen wir die auch aus. Für alle anderen Koalitionen mit demokratischen Parteien sind wir grundsätzlich offen.
Also doch nicht nur Jamaika?
Die Inhalte müssen am Ende stimmen. Das strategische Ziel der FDP ist klar: Wir wollen auf der einen Seite Rot-Rot-Grün verhindern und wir wollen zum Königsmacher werden. Wir wollen so stark werden, dass keine Regierung aus der Mitte heraus ohne die FDP gebildet werden kann. Das kann dann Jamaika-, eine Deutschland- oder eine Ampel-Koalition sein. So sehr mir aktuell aufgrund inhaltlicher Differenzen die Vorstellungskraft für eine Ampelkoalition fehlt, so sehr lehne ich es auch ab, mich vor der Wahl an eine andere Partei zu ketten. Ich kämpfe für ein starkes FDP-Ergebnis, nicht für Koalitionen
Wer glauben Sie, wird am Ende Kanzler?
Ich halte das Rennen momentan für offen und ich glaube, dass verschiedene Szenarien möglich sind, die eintreten können. Aber diese Bundestagswahl ist keine Kanzlerwahl, der wird nicht direkt gewählt, sondern das Parlament. Wir kämpfen zum Beispiel dafür, dass der nächste Finanzminister nicht Robert Habeck, sondern Christian Lindner heißt.
Was wären denn Projekte, die Sie mit der Ampel besser umsetzen könnten als mit einem Bundeskanzler Armin Laschet und der Union als Koalitionspartner?
Es geht nicht darum, was wir mit der Ampel besser durchsetzen könnten, sondern welche Projekte notwendig sind fürs Land. Aus meiner Sicht braucht es ein Zeichen für Generationengerechtigkeit und eine Modernisierungsagenda. Dass wir wieder zu einer soliden Finanzpolitik kommen. Alle andere Parteien sprechen davon, wie wir unseren Wohlstand verteilen sollen. Wir sprechen darüber, wie wir überhaupt unseren Wohlstand erwirtschaften. Ohne ein starkes wirtschaftliches Fundament sind alle sozialen und ökologischen Ziele – welche auch auf unserer Agenda stehen – nur unfinanzierbare Träumereien.
Aber was wäre mit Olaf Scholz als Ampel-Kanzer mehr drin?
Nicht ich muss beantworten, welche Punkte ich mit der Ampel oder Jamaika durchsetzen will, sondern Olaf Scholz und Armin Laschet würden ja gerne von uns gewählt werden. Sie müssen uns beantworten, was sie von unseren Punkten durchsetzen wollen. Will Scholz schneller bauen und bessere Genehmigungsverfahren – oder möchte er wie Kevin Kühnert einen bundesweiten Mietendeckel und Enteignungen durchsetzen? Die SPD spielt derzeit ein Doppelspiel: Die Partei ist nach links gerückt und Olaf Scholz ist das Feigenblatt, der Türöffner zu Rot-Rot-Grün.
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Das ist Jens Teutrine:
- Der Politiker wurde am 22. Oktober 1993 in Gütersloh geboren.
- Er wuchs zusammen mit seiner Schwester bei seiner alleinerziehenden Mutter in Ostwestfalen auf.
- Zuerst besuchte er aufgrund einer Sprachstörung eine Förderschule.
- Heute studiert er an der Universität Bielefeld Philosophie und Sozialwissenschaften.
- Schon 2009 trat er den Jungen Liberalen bei.
- Neun Jahre später wurde er Landesvorsitzender der JuLis in NRW, 2020 dann Bundesvorsitzender.
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Wir möchten Ihnen trotzdem gerne noch ein paar „Ampel-Bälle“ zuspielen und es wäre super, wenn Sie jeweils eine kurze Einschätzung abgeben, wie attraktiv die jeweilige Reform für Sie wäre. Zum Beispiel wollen SPD und Grüne genauso wie die FDP das Wahlalter bei Bundestagswahlen auf 16 senken…
Die Forderung haben wir JuLis im vergangenen Jahr in der FDP durchgesetzt, weil wir politische Mitsprache für junge Menschen erhöhen wollen. Genauso wäre es im Zeichen der Generationengerechtigkeit aber auch notwendig eine Reform des Rentensystems anzugehen, bevor die Generation der Babyboomer in Rente geht. Wir haben beispielsweise als zusätzliche Säule die gesetzliche Aktienrente vorgeschlagen nach schwedischem Vorbild. Die SPD spricht von stabilen Renten, aber ist gegen notwendige Reformen.
Die Abschaffung des Abtreibungsparagrafen 219a….
Ja, das ist auch Position der FDP, weil Aufklärung kein Verbrechen ist.
Dann haben wir noch die kontrollierte Freigabe von Cannabis…
Da bin ich mir gar nicht so sicher, ob die SPD das wirklich will! Bei denen steht nur eine Entkriminalisierung im Programm, keine Legalisierung. Wir wollen wirklich eine kontrollierte Freigabe in lizenzierten Fachgeschäften, weil das Jugendschutz schafft, den Schwarzmarkt austrocknet und man dann Qualitätsstandards hat.
Eine Modernisierung des Einwanderungsgesetzes…
Wir wollen ein Einwanderungssystem nach kanadischem Vorbild, also ein Punktesystem. Ich weiß nicht, ob das in der Programmatik der Grünen so verankert ist. Die tun sich ja bei dem Thema Einwanderung manchmal eher schwer, etwa bei der Anerkennung sicherer Herkunftsländer. Da würde es sicher auch Konfliktlinien geben. Natürlich gibt es inhaltliche Schnittmengen, aber es gibt auch genügend Differenzen. Ein Beispiel: Wir wollen die Bürger entlasten, Rot-Grün will neue Steuern und Steuererhöhungen. Das ist eine Grundsatzfrage.
Der Leistungsgedanke wird in der FDP immer sehr betont. Arbeit soll sich lohnen. Wie geht das zusammen mit einem Mindestlohn von 9,50 Euro? Müsste der nicht deutlich erhöht werden, wie es SPD und Grüne fordern?
Wir brauchen beim Mindestlohn keinen Überbietungswettbewerb im Wahlkampf. Dafür gibt es eine Mindestlohnkommission als unabhängige Institution. Deswegen finde ich es auch falsch, diese Kommission auszuhebeln. Das Problem bei Lohnerhöhungen sind auch zu hohe Steuer- und Sozialabgaben. Jemandem, der auf Mindestlohnniveau arbeitet, werden für jede Gehaltserhöhung knapp 45 Prozent abgezogen. Das gehört auch zur Wahrheit. Eine Maßnahme wäre deshalb, bei den Sozialabgaben oder beim Steuerfreibetrag anzusetzen.
Wäre eine Erhöhung des Mindestlohns also ein No-Go für Sie bei einer möglichen Ampel?
Das ist für mich eine Frage der Kommission, sowieso der Tarifpartner und keine Frage der politischen Steuerung.
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Interviews mit den Chefs der Jugendorganisationen vor der Bundestagswahl:
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Wieso soll es fair sein, wenn laut den Steuerplänen der FDP ein Single mit einer Million Euro Jahreseinkommen um 6.129 Euro entlastet wird, aber die „echte Mitte“, also ein Single mit 50.000 Euro Einkommen, nur mit 2.484 Euro? Brauchen Millionäre wirklich mehr Entlastung als die Mitte?
1965 musste man das 15-fache des deutschen Durchschnittseinkommens verdienen, um den Spitzensteuersatz zu bezahlen. Heute braucht man lediglich das 1,5-fache Durchschnittseinkommen, um für politische Mitbewerber schon als superreich zu gelten. Das ist aber die breite Mitte der Gesellschaft. Das ist der Facharbeiter, der früher bei der SPD Mitglied war, und bei den Autoherstellern arbeitet. Ich sage ganz offen: Wir wollen die Mitte der Gesellschaft entlasten. Das sind Leute, die hart arbeiten und viel verdienen – und die verdienen auch eine faire Balance zwischen Staat und Bürger.
Gleichzeitig wollen wir auch bei Menschen mit niedrigen und mittleren Einkommen entlasten. Wir wollen beispielsweise den Freibetrag bei den Alleinerziehenden erhöhen und wir wollen bessere Zuverdienstmöglichkeiten für Hartz-4-Empfänger. Jugendliche aus Hartz-4-Elternhäusern dürfen aktuell nur 170 Euro behalten, wenn sie einen 450-Euro-Nebenjob haben. Nach einem Freibetrag von 100 Euro werden 80 Prozent angerechnet. Das ist der wahre Spitzensteuersatz in Deutschland!
Die FDP ist strikt gegen eine Vermögenssteuer. Wie begründen Sie das Menschen gegenüber, die in prekären Verhältnissen leben?
Eine Vermögenssteuer hört sich ja immer so an, als versteuern wir damit die superreichen Milliardäre, die ganzen Bonzen und dann geht es unserer Gesellschaft besser. In Wahrheit führt es dazu, dass der Mittelstand besteuert wird. Vermögen liegen nicht einfach so auf Konten herum, sondern sind Anlagen, Gebäude, die Substanz von Unternehmen. Wir haben in der Corona-Pandemie Unternehmen gerettet mit Hilfen, die zu spät ausgezahlt wurden. Wir haben ein Kurzarbeitergeld ausgezahlt, damit Leute ihren Job behalten. Ich halte es für den falschen Weg, Unternehmen, den Mittelstand, durch neue und höhere Steuern zu belasten. Das ist Gift für den Aufschwung und gefährdet Arbeitsplätze und Ausbildungsplätze. Das ist keine soziale Politik.
Die FDP betont immer gerne die Eigenverantwortung und den Aufstieg aus eigener Kraft. Was ist denn mit äußeren Faktoren, etwa der sozialen Herkunft? Die Startchancen sind ungleich verteilt.
Genau das ist es! Wenn man sich OECD-Studien anguckt, dann hängt der Bildungserfolg in Deutschland noch viel zu stark vom Bildungsgrad der Eltern und ihrem sozialen Status ab. Die Pandemie hat Bildungsungerechtigkeiten weiter verschärft. Das gilt besonders für diejenigen Schüler, die Eltern haben, die nicht am Küchentisch Nachhilfe geben können. Laut Studien war der Distanzunterricht im Lockdown für den Lernerfolg so ergiebig wie Sommerferien. Bei mir waren Sommerferien, was das Lernen angeht, nicht so erfolgreich.
Was muss die Politik für bessere Startchancen tun?
Unser Schwerpunkt ist die Erneuerung des Aufstiegsversprechens. Ein Schlüssel für Aufstieg ist Bildung. Deswegen brauchen wir eine bessere digitale Ausstattung, ein Digitalpaket 2.0, Talentschulen in den Stadtbezirken mit den größten sozialen Herausforderungen, eine Bafög-Reform und Talentscouts. Mentoren, die neben den Schulsozialarbeitern und Lehrern die Schüler unterstützen, etwa bei der Ausbildungsplatzsuche, bei der Bewerbung fürs Praktikum, beim Übergang vom Abitur zum Studium, bei der Beantragung des Bafögs.
Die FDP will nicht nur das Finanzministerium, sondern auch ein neues Digitalministerium. Warum eigentlich? Immerhin bedeutet das doch wieder zusätzliche Beamte, mehr Bürokratie – das wollen Sie sonst immer verhindern.
Wir wollen ein Digitalisierungsministerium auf Bundesebene schaffen, aber das muss kein neues eigenständiges Ministerium sein. Wir haben es in NRW vorgemacht, da ist es angekoppelt ans Wirtschaftsministerium. Wir brauchen es, weil wir kein Kompetenzgerangel mehr zwischen den einzelnen Ministerien wollen, die sich gegenseitig lahmlegen. Das Ministerium würde nicht zwangsläufig mehr Bürokratie bedeuten, wir wollen Kräfte bündeln. Wir wollen entbürokratisieren, indem wir die digitale Verwaltung ausbauen, ein digitales Bürgerportal schaffen, eine einfachere Steuererklärung ermöglichen. Mehr Tempo bei der Digitalisierung spart am Ende Bürokratie.
Das Interview führten Katharina Brenner-Meyer und Marcel Görmann
Vor der Bundestagswahl befragte unsere Redaktion die Vorsitzenden der großen demokratischen Jugendorganisation Jusos, Grüne Jugend, Julis und Linksjugend. Die Junge Union wurde erfolglos angefragt.