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Christian Lindner im DERWESTEN-Interview: „Das ist ein schlechter Charakterzug“

Christian Lindner im DERWESTEN-Interview: „Das ist ein schlechter Charakterzug“

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Foto: dpa

Es ist Freitagmittag, Christian Lindner ist im Auto unterwegs zum nächsten Wahlkampftermin.

Der FDP-Chef hat harte Wochen hinter sich. Mitte März hatte er über die „Fridays for Future“-Bewegung gesagt: Von Kindern könne man nicht erwarten, dass sie alle globalen Zusammenhänge sehen. Das sei vielmehr „eine Sache für Profis“. Für den Spruch musste er viel Kritik einstecken.

Vor der Europawahl spricht Christian Lindner im Interview mit DER WESTEN darüber, wie seine Vorstellung von Klimapolitik aussieht, wie man die Mietpreisexplosion stoppen kann – und warum die AfD aus seiner Sicht Geschäftemacherei betreibt.

DER WESTEN: Heute ist Freitag. Wenn Sie unterwegs ein paar streikenden Schülern begegnen: Was sagen Sie denen?

Christian Lindner: Ich freue mich, wenn ich sehe, dass Schülerinnen und Schüler sich politisch engagieren, und zwar außerhalb der Schulzeit. Denn bei uns gilt aus guten Gründen nach wie vor die Schulpflicht. Ich bin einer der wenigen, der diese Bewegung ernst nimmt, denn ich setze mich mit den Inhalten tatsächlich auseinander. Vorschläge der „Fridays For Future“-Bewegung, wie etwa 180 Euro pro Tonne CO2, sind ökologisch nicht notwendig und würden eine vierköpfige Familie in Deutschland mit rund 8000 Euro belasten. So eine soziale Verwerfung kann man politisch nicht verantworten.

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Wie sieht denn eine gute EU-Klimapolitik aus Ihrer Sicht aus?

Ich trete dafür ein, Klimaschutz mit Freiheit und Wohlstand zu verbinden. Wir sollten die Innovationskraft der Marktwirtschaft entfesseln. Beim Auto etwa sollten wir uns nicht einseitig auf einen Antrieb festlegen, sondern wir sollten alle Antriebe gleichzeitig erforschen, weil wir noch nicht sicher sein können, welcher der ökologischste und technisch überzeugendste ist.

Und Sie glauben, dass der Markt das selbst ohne eine gewisse politische Einflussnahme regelt?

Der Markt agiert ja innerhalb eines von der Politik festgelegten Rahmens. Im konkreten Fall sind das die Pariser Klimaziele. Aber innerhalb dieses Rahmens ist er jedem anderen System darin überlegen, mit Knappheiten umzugehen. Die Lehre aus der Zeit des Eisernen Vorhangs war doch, dass sozialistische Systeme nicht in der Lage waren, mit knappen Gütern effizient umzugehen. Das kann nur die Marktwirtschaft.

Das heißt, Sie erteilen der Idee, für den Klimaschutz auf etwas zu verzichten, eine Absage?

Absolut. Mit Verzicht und Askese werden wir Chinesen und Amerikaner nicht auf Dauer vom Klimaschutz überzeugen können. In Deutschland haben wir alle eine gelbe Weste im Auto liegen. Da soll die auch schön bleiben, sie soll nicht wie in Frankreich bei Straßenkämpfen angezogen werden. Die Antwort liegt im Fortschritt. Wenn wir uns auf den Weg machen, den Brennstoff- und den Wasserstoffantrieb für das Flugzeug zu entwickeln, muss niemand auf Flugreisen oder Kurzstreckenflüge verzichten oder sie verbieten.

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Kevin Kühnert bekommt wegen seiner sozialistischen Thesen zum Thema Enteignung und Kollektivierung derzeit viel Aufmerksamkeit. Sind Sie da neidisch?

Nein. Ich habe eher eine große Sorge, dass sich solche Debatten völlig abkoppeln von dem, was ich auf meinen vielen Reisen durch das Land von den Menschen höre. Die sehen das ganz anders als Kühnert. Die Menschen lieben ihre Freiheit und haben Respekt vor dem Eigentum. Ich halte die Ideen von Herrn Kühnert deshalb für gefährlich.

Das heißt, Sie glauben, dass das Thema von Kevin Kühnert ein Nischenthema ist und an den SPD-Wähler vorbeigeht?

Ich will mir nicht zu viele Sorgen um die SPD machen, ich habe eine andere Partei zu führen.

Machen Sie sich denn genug Sorgen um die eigene Partei? Bei Umfragen liegt die FDP bei der Europawahl bei 5 Prozent. Läuft was falsch im Wahlkampf?

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Wir standen bei der letzten Europawahl bei 3,4 Prozent. Ich bin sehr optimistisch, dass wir das verdoppeln oder verdreifachen können. Und bei der SPD ist es so, dass sie einen Teil der Wähler an die Grünen verliert. Der andere Teil der Wähler wandert direkt Richtung AfD, gerade im Ruhrgebiet.

Was ist aus Ihrer Sicht der Grund dafür, dass die AfD gerade im Ruhrgebiet viele Stimmen gewinnen konnte? Liegt das ausschließlich an der Migrationspolitik?

Die AfD hat keinen großen Erfolg gehabt, als sie noch andere Themen hatte. Jetzt ist ihr Thema Angst vor Überfremdung und wirtschaftlichem Abstieg. Das Thema Flüchtlingspolitik muss deshalb schnell gelöst werden. Eine nächste Migrationswelle könnte schon bald vom Iran ausgehen. Das Regime dort droht, afghanische Flüchtlinge nach Europa weiterzuschieben.

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Wir brauchen ein Einwanderungsgesetz, das unterscheidet zwischen qualifizierten Menschen, die wir einladen, Asylbewerbern, die verfolgt werden und Bürgerkriegsflüchtlingen, die irgendwann in ihr Land zurück müssen. Und wir müssen uns um den Schutz der EU-Außengrenzen bemühen. Ich habe kein Verständnis dafür, dass die personelle Aufstockung von „Frontex“ von der Bundesregierung blockiert wird. Ein Erbe der Kanzlerschaft von Angela Merkel ist, dass die AfD jetzt im Bundestag sitzt.

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Christian Lindner

  • 1979 in Wuppertal geboren
  • Mit 16 Jahren Eintritt in die FDP
  • 1996 bis 1998 NRW-Chef der Liberalen Schüler
  • 1999 bis 2006: Studium der Politikwissenschaft in Bonn
  • 2000: Einzug in Landtag als jüngster Abgeordneter der NRW-Geschichte
  • 2012 bis 2017: FDP-NRW-Chef
  • Seit 2013: FDP-Chef
  • 2017 lässt Lindner die Jamaika-Verhandlungen platzen

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Im EU-Parlament zeichnet sich ein Rechtsruck ab. Gehen konservative Kräfte zu locker mit Rechtsaußen-Politikern wie Viktor Orban um?

Ja, da stimme ich zu. Viktor Orban wurde zu lange von der Europäischen Volkspartei verharmlost und verniedlicht. Wer von einer antiliberalen Demokratie als Ziel spricht, kann kein Partner für die EVP sein. CDU und CSU hätten früher einen Schlussstrich ziehen müssen. Da ist offenbar der Wertekompass abhandengekommen.

Es gibt auch in Deutschland EU-Gegner. AfD-Mann Guido Reil zieht höchstwahrscheinlich ins Parlament ein. Was bedeutet das, wenn immer mehr Menschen dort sitzen, die die EU offen verachten?

Für mich ist das eine Charakterfrage. Wenn jemand für ein Parlament kandidiert, das er abschaffen will und für eine Institution arbeitet, die er hasst, dann ist das ein schlechter Charakterzug. Das ist so wie mit dem Brexit-Vorkämpfer Nigel Farage, der die EU sprengen wollte, aber seine dicken Diäten aus Brüssel gerne einstreicht.

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Was die AfD macht, halte ich für eine Form von Geschäftemacherei. Zum Glück wird deren Politik nicht umgesetzt. Aber würde sie umgesetzt werden, wäre das zum größten Schaden der Bundesrepublik Deutschland. Bei einem Deuxit hätten wir als Exportnation keine Chance, unsere Interessen gegenüber den USA oder China zu vertreten.

Hat Deutschland denn überhaupt noch eine Chance, bei Zukunftstechnologien gegenüber China aufzuholen?

Wir sind so schlecht nicht. Aber wir müssen aufpassen. Wir brauchen einen schnellen Binnenmarkt und gemeinsame europäische Forschung zur künstlichen Intelligenz. Und speziell in Deutschland müssen wir Bürokratie abbauen und privates Investitionskapital mobilisieren. Gegenwärtig geht das Kapital sehr stark in Immobilien und verteuert in den Großstädten die Immobilienwerte. Dabei brauchen wir das Kapital dringender bei innovativen Unternehmensgründungen.

Dass so viele Investoren ihr Geld lieber in Immobilien stecken, führt in Großstädten zu Mietpreisen, die immer mehr Menschen in Not bringen. Wie ist das zu lösen?

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Wir können das Problem der steigenden Mieten nicht lösen über Klauen, sondern über Bauen. Also nicht mittels Enteignung oder Ähnlichem. Die Städte müssen neue Siedlungsflächen ausweisen. Es kann nicht sein, dass das Tempelhofer Feld oder irgendwelche Wiesen um Köln nicht mehr bebaut werden dürfen. Wir müssen verdichten, Dachgeschosse ausbauen. Nur wenn mehr gebaut wird und Mieter mehr Auswahl zwischen Wohnungen haben, geht die Macht der Vermieter zurück.

Wie sieht eine perfekte EU für Sie aus?

Eine perfekte EU wird es nie geben. Die EU wird eine Dauerbaustelle sein. Wichtig ist, dass die EU in den großen Fragen handlungsfähig ist. Ansonsten wünsche ich mir mehr Vielfalt und mehr Rücksichtnahme auf regionale Besonderheiten. Es muss nicht alles gleichgemacht werden in Europa. Das bedeutet zum Beispiel, dass sich die Rezepte von Fertigprodukten und Gewürzmischungen unterscheiden dürfen und dass jeder Staat und jeder Bürger für seine finanziellen Risiken selbst haftet.