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Gaza-Krieg: Deutsches Rotes Kreuz über humanitäre Lage: „Die Situation vor Ort ist dramatisch“

Schon vor den Angriffen der Terrororganisation Hamas auf Israel und den Gegenschlägen der israelischen Armee war die humanitäre Lage im Gazastreifen schlecht – doch jetzt ist die Situation katastrophal. Die Hilfsorganisationen stoßen an ihre Grenzen und die Hilfsgüter werden immer knapper.Im Gespräch mit der Redaktion berichtet Christof Johnen, Leiter der Internationalen Zusammenarbeit des „Deutschen Roten […]

© IMAGO/ZUMA Wire

Angehörige von Hamas-Geiseln: Scholz muss politischen Druck machen

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hat sich in Israel mit Angehörigen von Hamas-Geiseln mit deutscher Staatsbürgerschaft getroffen. Er erwarte keinen militärischen Einsatz Deutschlands, sagte anschließend Chanaan Cohen, dessen 79-jährige Schwester in Gewalt der Islamisten ist: "Aber der politische Druck, der muss da sein."

Schon vor den Angriffen der Terrororganisation Hamas auf Israel und den Gegenschlägen der israelischen Armee war die humanitäre Lage im Gazastreifen schlecht – doch jetzt ist die Situation katastrophal. Die Hilfsorganisationen stoßen an ihre Grenzen und die Hilfsgüter werden immer knapper.

Im Gespräch mit der Redaktion berichtet Christof Johnen, Leiter der Internationalen Zusammenarbeit des „Deutschen Roten Kreuzes“, von der humanitäre Lage vor Ort und erklärt, was die Menschen jetzt dringend benötigen.

Herr Johnen, wie hilft das Deutsche Rote Kreuz aktuell in Israel und den palästinensischen Gebieten?

Christof Johnen: Wir stehen in Kontakt mit unseren Partnern innerhalb der Internationalen Rotkreuz- und Rothalbmondbewegung vor Ort. Wir arbeiten vor Ort eng mit den Schwestergesellschaften des DRK „Magen David Adom“ in Israel (MDA) und dem Palästinensischen Roten Halbmond zusammen. Beide Schwestergesellschaften betreiben vor Ort den Rettungsdienst arbeiten im Katastrophenschutz und sind im Blutspendewesen aktiv. Der Palästinensische Rote Halbmond hilft auch, Hilfsgüter zu den Bedürftigen zu bringen. Dazu werden die Hilfsgüter vom Ägyptischen Roten Halbmond an die Grenze gebracht und dort an den Palästinensischen Roten Halbmond übergeben. Mit dem Palästinensischen Roten Halbmond ist es eine eher programmatische Zusammenarbeit, das heißt, wir arbeiten und unterstützen sehr viele verschiedene Programme.

Wie viele Helfende sind in Gaza tätig?

Christof Johnen: 13 internationale Helfer sind in Gaza tätig, darunter eine Deutsche. Der Palästinensische Halbmond hat darüber hinaus über 5.000 freiwillige Helfer im Westjordanland und in Gaza. Rund um die Uhr im Einsatz können in Gaza aber aktuell nur 150 bis 200 Helfende sein.

„Situation für Helfer sehr schwierig“

Wie gefährlich ist der Einsatz für die Helfer vor Ort?

Christof Johnen: Die Situation vor Ort ist für die Helfenden sehr schwierig und gefährlich. In den ersten Tagen des Angriffs der Hamas auf Israel wurden drei Kolleginnen und Kollegen von „Magen David Adom“ getötet, als sie versuchten, Menschen zu retten. Auch vier Kollegen des „Palästinensischen Roten Halbmondes“ sind ums Leben gekommen. Besonders für die palästinensischen Kollegen wird die Situation immer schwieriger. Es ist beispielsweise kaum noch möglich, den Rettungsdienst aufrecht zu erhalten.

Was sind die Herausforderungen für den Rettungsdienst?

Christof Johnen: Durch die heftigen Kämpfe und Bombardierungen sind die Straßen nur noch schwer passierbar. Krankenwagen kommen kaum durch die Trümmer zu den Hilfsbedürftigen. Zudem gehen die Kämpfe weiter und die Helfer begeben sich in sehr gefährliche Gebiete. Dennoch setzen die Einsatzkräfte ihre Rettungsarbeiten fort.

„Es fehlt an allem“

Wie ist die humanitäre Lage vor Ort?

Christof Johnen: Die Situation ist dramatisch – es fehlt an allem. Im Gazastreifen fehlt es an Wasser, Strom, Hygieneartikeln, Decken, Matratzen und auch an Nahrungsmitteln. Der Mangel an sauberem Wasser ist dabei besonders kritisch, weil die Menschen zum einen ohne Wasser nicht lange überleben können und zum anderen aus hygienischen Gründen, wei. Schon jetzt gibt es viele Fälle von Windpocken und Durchfallerkrankungen. Das passiert schnell, wenn Menschen auf engem Raum zusammenleben und verunreinigtes Wasser trinken. Eine weitere Sache, die dringend benötigt wird, aber derzeit nicht ankommt, ist Treibstoff. Dieser wird dringend in Krankenhäusern benötigt, um Generatoren zu betreiben. Die ersten Krankenhäuser melden, dass sie deshalb beatmungspflichtige Patienten verlieren, die Inkubatoren mit Babies nicht mehr laufen und Diagnostik kaum mehr möglich ist.

Was benötigen die Helfenden in Israel, um eine humanitäre Katastrophe zu verhindern?

Christof Johnen: Es fehlt auch an lebensnotwendigen Dingen, die schnell herangeschafft werden müssen, sonst wird sich die Lage noch weiter verschlimmern. Es werden darüber hinaus auch dringend spezialisierte Helferinnen und Helfer und vor allem medizinisches Material wie Medikamente und Narkosemittel benötigt. Hilfsgüter sowie Experten wie Ingenieure und Wasserbauer stehen an den Grenzen bereit, aber auch weder Hilfsgüter noch Experten können derzeit in ausreichender Zahl die Grenzen passieren.  



Ist denn absehbar, dass es bald mehr Hilfe für die Menschen vor Ort geben wird?

Christof Johnen: Es laufen durchgehend Verhandlungen. Zum einen natürlich mit den Konfliktparteien, aber auch mit den ägyptischen Behörden. Wir als Rotes Kreuz fordern , dass mehr Hilfe nach Gaza kommen kann. Aber es gibt im Moment keine Anzeichen dafür, dass die Grenzen so geöffnet werden, dass das in der notwendigen Zahl passieren kann. Beispielsweise haben die Vereinten Nationen hochgerechnet, dass mindestens 100 Lastwagen pro Tag nötig wären, um eine Minimalversorgung zu gewährleisten. Von Samstag bis Mittwoch waren es aber nur 54. Die Diskrepanz zwischen dem, was derzeit an Hilfe geleistet werden kann, und dem, was benötigt wird, ist also enorm.