In diesen Tagen rückt auch Türkeis Machthaber Recep Tayyip Erdogan bei der Israel-Frage in den Mittelpunkt (auch spannend dazu: Skandal-Interview im ZDF-„heute journal“). Aktuell schüttet der türkische Präsident eher Öl ins Feuer des Nahost-Konfliktes – mit milden Äußerungen über die Hamas und Attacken auf Israel.
Eren Güvercin, Mitglied der Deutschen islamkonferenz und einer der Gründer des liberalen, pro-europäischen muslimischen Vereins Alhambra-Gesellschaft ordnet die Rolle Erdogans ein. Im Interview mit unserer Redaktion urteilt er hart – und warnt: „Diese Hetze in den türkischen Medien wird natürlich auch bei uns in Deutschland konsumiert.“
Interview über Israel-Hass in der Türkei und Erdogans Machtspiel als Vermittler
Welche Rolle spielt Präsident Erdogan und die Türkei allgemein in den aktuellen Konflikten zwischen Israel und der Hamas?
Erdogan versucht sich jetzt aktuell außenpolitisch als möglicher Vermittler zwischen Israel und der Hamas aufzuspielen. Aber Erdogan war und ist ein wichtiger Verbündeter der Terrororganisation Hamas. Regelmäßig empfängt Erdogan in Ankara Ismail Haniyya, der einer der Führer der Hamas ist. Für Erdogan ist die Hamas eine Widerstandsbewegung und keine Terrororganisation. Daraus macht er auch keinen Hehl.
Wie hat sich die Beziehung zwischen der Türkei und Israel im Laufe der Jahre verändert, insbesondere unter der Führung von Präsident Erdogan?
Die Türkei und Israel hatten eigentlich in der Vergangenheit wichtige Bündnispartner. Als Erdogan und seine AKP an die Macht kamen, gab es immer wieder heftige Krisen zwischen der Türkei und Israel. Ein Tiefpunkt in den Beziehungen war 2010, als ein sogennantes Gaza-Solidaritätsschiff von der israelischen Marine gestürmt und zehn türkische Staatsbürger getötet worden waren. Erst 2016 kam es wieder zu einer Annäherung. Bei der Gaza-Krise 2018 und nach der Eröffnung der US-Botschaft in Jerusalem kam es wieder zu einem Bruch, und die Botschafter wurden abgezogen. Im Sommer 2022 kam es wieder zu einer Annäherung. Der Terrorangriff der Hamas dürfte jetzt die israelisch-türkischen Beziehungen wieder sehr stark belasten.
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AKP und Opposition in einem Punkt enig: „Romantisierung des Hamas-Terrors“
Die Proteste in der Türkei eskalieren, die Menschen demonstrieren nicht gegen den Hamas-Terror, sondern gegen Israel und die USA. Was bedeuten diese Proteste für die Türkei?
In der Tat wird der Terror der Hamas nicht als solches benannt in der Türkei. Ganz im Gegenteil wird der Terror der Hamas sogar glorifiziert. Das erschreckende in der Türkei ist, dass antisemitische Parolen und Israelhetze nicht nur aus den Reihen der regierenden AKP kommen, sondern auch aus der Opposition. Antisemitismus und Israelhass findet man in der Türkei nicht nur im islamistischen Milieu, sondern auch im säkularen und linken Milieus und bei den Oppositionsparteien. So zerstritten und feindlich die regierende AKP-MHP Allianz und die Opposition auch sein mögen, bei einem Punkt sind sie sich einig, bei der Delegtimierung Israels und der Romantisierung des Terrors der Hamas.
Gibt es Veränderungen in der Haltung der türkischen Bevölkerung und politischen Meinungsbildung im Hinblick auf den Nahostkonflikt?
Ich würde da nicht von einer Veränderung sprechen, sondern eher von einen Kontinuität. Israelfeindliche Haltungen und Antisemitismus waren immer sehr stark vertreten in der türkischen Bevölkerung. Sie kommen aber nur deutlicher zum Vorschein, weil die AKP-kontrollierten Medien seit dem Terrorangriff der Hamas 24/7 mit ihrer Berichterstattung israelfeindliche Haltungen triggern und befeuern. Und diese Hetze in den Medien wird natürlich auch bei uns in Deutschland konsumiert.
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Das Doppelgesicht von Erdogan
Welche Maßnahmen oder diplomatischen Initiativen hat die Türkei ergriffen, um den Friedensprozess im Nahen Osten zu unterstützen oder zu beeinflussen?
Ähnlich wie beim Angriffskrieg von Russland gegen die Ukraine versucht Erdogan auch hier seine guten Beziehungen zur Hamas außenpolitisch zu nutzen, um sich als Vermittler zu vermarkten. Nach außen versucht Erdogan den Vermittler zu spielen, nach innen aber macht er und seine Partei Stimmung gegen Israel und erklärt sich solidarisch mit der Hamas. Man darf sich da nichts vormachen. Wer die Hamas nicht als Terrororganisation sieht, kann keinen Beitrag für einen Friedensprozess im Nahen Osten leisten. Wer nach außen versucht diplomatisch aufzutreten, aber nach innen die Menschen aufhetzt, der hat alles Mögliche im Sinn aber keinen Frieden.
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Wie lange schaut der Westen dem Treiben noch zu?
Erdogan hat die Taten der Hamas nicht als Terror verurteilt. Welche Auswirkungen hat die türkische Haltung auf die Beziehungen der Türkei zu anderen regionalen und globalen Akteuren, insbesondere den Vereinigten Staaten und der Europäischen Union?
Erdogan ist sehr geschickt, wenn es darum geht die geopolitische Bedeutung der Türkei auszunutzen. Aber man darf sich da keine Illusionen machen. Auch wenn die Türkei Mitglied der NATO ist, agiert sie immer offener gegen die USA und die EU. Erdogan versucht sich als Regionalmacht zu positionieren und schreckt auch nicht davor zurück, der EU immer wieder zu drohen, in dem er ganz unverblümt sagt, wenn die EU oder der Westen in die Quere kommt, dann öffnen wir die Grenzen und treiben die syrischen Flüchtlinge in der Türkei unkontrolliert in die EU. Während sich Erdogan immer wieder darüber beschwert, dass die EU nicht konsequent genug gegen die in der EU als Terrororganisation eingestufte PKK vorgehe, hat er selber keine Hemmungen davor Führer der Terrororganisation Hamas zu empfangen und zu hofieren. Dieses breitbeinige Auftreten von Erdogan wird auf kurz oder lang die wichtigen Beziehungen zwischen den USA, der EU und der Türkei weiter belasten. Irgendwann werden die USA und die EU sich die Frage stellen müssen, wie lange man Erdogans Treiben noch zuschaut.