Es wird eng für Recep Tayyip Erdogan! In Umfragen vor der Türkei-Wahl liegt der ewige Machthaber vom Bosporus klar hinter seinem Herausforderer Kemal Kilicdaroglu zurück. Während Erdogan früher den Ruf genoss, den wirtschaftlichen Aufstieg der Türkei angetrieben zu haben, sieht die Lage nun anders aus. Eine heftige Inflation und das überforderte Krisenmanagement nach der Erdbeben-Katastrophe bringen ihn vor der Wahl mächtig in die Bredouille.
Kann Erdogan das Ruder nochmal herumreißen? Die ARD-Korrespondentin Katharina Willinger berichtet im Tagesschau-Podcast „11 km“ von der Lage in der Türkei – und einem Erlebnis im Supermarkt, das den Deutschen das ganze Ausmaß der Situation in dem Land deutlich macht.
Deutsche über Mega-Inflation in Türkei: „Einkaufswagen halb so voll“
In Deutschland wird die Inflation von aktuell rund sieben Prozent bereits als stark belastend und ungewohnt hoch empfunden. Doch in der Türkei ist die Lage weitaus extremer. Nach offiziellen Angaben lagen die Preissteigerungen Ende 2022 bei über 70 Prozent. Die Opposition ging sogar von einer doppelt so hohen Inflation aus. Das ist im Alltag überall spürbar, wie ARD-Journalistin Willinger berichtet.
„Als ich 2016 in die Türkei gezogen bin, habe ich für eine Flasche Milch 5 bis 6 türkische Lira gezahlt. Wenn ich jetzt in den Supermarkt gehe, bezahle ich für die gleiche Milch, je nachdem ob sie im Angebot ist, etwa 40 bis 48 Lira. Das ist wirklich wahnsinnig hoch!“, so Willinger im „Tagesschau“-Podcast.
Die Mega-Inflation schränkt das Leben vieler Menschen erheblich ein. „Viele sagen: Wenn ich in den Supermarkt gehe, packe ich nur noch die Hälfte in meinen Einkaufwagen“, so die Korrespondentin. Der Grund: Die Gehälter der Türken sind nicht entsprechend nach oben gegangen sind.
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Auch bei den Mieten schlägt die Inflation voll zu. „Sechs oder sieben Freunde von mir haben Kündigungen von Vermietern erhalten, weil die nun zum vierfachen Preis die Wohnungen weitervermieten“, erzählt Katharina Willinger weiter.
Noch bedrohlicher als die wirtschaftliche Lage könnten die Auswirkungen des Erdbeben-Katastrophe für Erdogan werden. Auch in konservativ geprägten Gemeinden herrscht eine Wut bei den Betroffenen auf den Staat, weil nach dem Unglück keine schnelle Hilfe kam. Erdogan könnten somit treue Wählergruppen wegbrechen.
Erdogan: Wird es trotzdem ein Fotofinish?
Und dennoch ist der Sieg von Oppositionsführer und CHP-Chef Kemal Kilicdaroglu aus Sicht von Willinger nicht in trockenen Tüchern. „Ich glaube, es wird extrem spannend, ein Fotofinish“, so die Türkei-Insiderin. Schließlich sei AKP-Vorsitzender Erdogan ein „politischer Überlebenskünstler“.
Mit Wahlkampfgeschenken wie der Anhebung des Mindestlohns oder der Absenkung des Renteneintrittsalters versuche Erdogan, die Wählergunst vor dem 14. Mai zurückzugewinnen. Ob das durchschlagen wird, ist unklar. Doch Willinger verweist darauf, dass auch Politikwissenschaftler Ufuk Uras von einem Kopf-an-Kopf-Rennen bis zum Schluss ausgeht. Am Ende könnten lediglich zwei Prozentpunkte Unterschied den Ausschlag geben, so Uras.