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Ukraine-Krieg: Geflüchtete zu faul zum Arbeiten? Das steckt wirklich hinter dem Vorurteil

Nicht nur die Menschen, die vor dem Ukraine-Krieg fliehen, haben Probleme, sich in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Warum ist das so?

Warum sind nur 25 Prozent der vor dem Ukraine-Krieg Geflohenen in Deutschland berufstätig?
u00a9 IMAGO/Westend61

Zwischen Krieg und Hoffnung: Die weltweite Flüchtlingskrise

Über 100 Millionen Menschen sind Flüchtlinge. Krieg, Naturkatastrophen und Armut sind einige Gründe.

Weltweit sind Schätzungen der UNO zufolge 110 Millionen Menschen auf der Flucht vor Krieg und Verfolgung. Die meisten kommen aus Syrien, Afghanistan und der Ukraine. Viele dieser Menschen haben auch in Deutschland Zuflucht gefunden. Ihre Heimat, wie sie sie kannten, ist zu großen Teilen zerstört. Nicht nur diejenigen, die vor dem Ukraine-Krieg geflohen sind, müssen eine Lösung finden, ihren Lebensunterhalt zu bestreiten.

Doch das gelingt nicht vielen von ihnen. Gerade einmal 25,2 Prozent der geflüchteten Ukrainer in Deutschland gehen einer Beschäftigung nach. Unter anderem der Frage, warum das so ist, geht der Politikwissenschaftler und Migrationsforscher Dietrich Thränhardt für die Friedrich-Ebert-Stiftung auf den Grund.

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Vom Ukraine-Krieg in die Arbeitslosigkeit

In einem europäischen Vergleich stellt Thränhardt dar, dass in anderen europäischen Ländern, teilweise bis zu 70 Prozent der Geflüchteten aus der Ukraine einer Beschäftigung nachgehen. Ganz anders als in Deutschland. (Wir berichteten: Liegt es am Bürgergeld? In anderen Ländern gehen viel mehr Ukrainer arbeiten). Unsere Redaktion will von Thränhardt wissen, warum in Deutschland viel weniger geflüchtete Ukrainer arbeiten, als in den Nachbarländern.

Thränhardt erklärt: „Bürokratische Entscheidungen müssen schneller fallen.“ Bei den Ukrainern bedürfe es einer arbeitspolitischen Gleichstellung mit den EU-Bürgern. „Das ist in anderen Ländern geschehen und sie hatten damit Erfolg. In Italien beispielsweise ist das für den Gesundheitssektor bereits 2022 gemacht worden“. Ein Schritt, der sich auch für Deutschland dringend anbieten würde, so Thränhardt.

„Da ist bei uns sehr viel im Argen, weil die Anerkennung der qualifizierten Ukrainer so lange dauert. Man rechnet damit, dass ungefähr sieben Prozent dieser Menschen im medizinischen Bereich ausgebildet sind. Bei einer Million Geflüchteter in Deutschland kann man sich ja leicht ausrechnen, was das für den völlig unterbesetzten deutschen Gesundheitssektor bedeuten kann.“

Auch Geflüchtete anderer Länder haben Probleme

Die Integration von ukrainischen Geflüchteten in den Arbeitsmarkt laufe nicht gut, die Integration der Menschen, die im Rahmen der sogenannten Flüchtlingskrise 2015/16 nach Deutschland gekommen sind, noch schlechter.

Es gebe Unterschiede, weil das Asylsystem der Menschen, die aus der Ukraine geflohen seien, ganz anders als das für die anderen Flüchtlinge funktioniere, erklärt Thränhardt. „Wir haben eigentlich erwartet, dass bei den Ukrainern, die ja nicht durch das Asylsystem müssen, kein Arbeitsverbot haben, also in der Theorie gleich anfangen könnten zu arbeiten, die Beschäftigungsraten relativ steil nach oben gehen würden. Das ist aber nicht der Fall.“

Es sei sehr wichtig für Geflüchtete aller Länder, schnell eine Arbeit zu haben. Dass das oft nicht gelänge, liege am komplizierten und langem Asylverfahren. „Im Durchschnitt gibt es die ersten Entscheidungen erst nach mehr als sechs Monaten. Das bedeutet, dass man in dieser Zeit erstmal in den Aufnahmezentren festgehalten wird“. Das sei demotivierend für die Geflüchteten und teuer für den Steuerzahler. „Dieses Vorgehen wird schon lange kritisiert, ist aber leider immer noch so.“

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Zu faul für die Arbeit?

Unter anderem im Netz wird geflüchteten Menschen, vor allem von rechter Seite her, vorgeworfen, sie seien zu faul zum Arbeiten und kämen mit der Absicht nach Deutschland, „dem Staat auf der Tasche zu liegen“. Die Einstellung der Bevölkerung gegenüber Geflüchteter werde teilweise von deren Integration in den Arbeitsmarkt beeinflusst, so Thränhardt.

„Das Klima ist ja sehr angespannt. Ich würde das nicht unbedingt mit Rassismus zusammenbringen, aber es gibt ein hohes Krisenbewusstsein, dass sich leicht niederschlägt, indem man Flüchtlinge verantwortlich macht“. Dennoch sehe er, dass den Menschen die Ineffizienz des Systems zur Eingliederung in den Arbeitsmarkt, ebenfalls bewusst sei. „Das erleben die Menschen ja auch in ihrem persönlichen Umfeld in anderer Hinsicht ständig. Also, dass Ämter nicht funktionieren.“


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Gegenüber der Geflüchteten aus der Ukraine nehme er keine solche Haltung wahr, so Thränhardt. „Da ist durch das Kriegsgeschehen nach wie vor ein großes Wohlwollen da. Wenn die deutsche Bevölkerung aber sieht, dass da gut ausgebildete Menschen sind, die nicht arbeiten, dann ist ein gewisses Staunen da. Man begreift nicht, warum das so ist. Ich denke, längerfristig geht das für keinen Beteiligten gut aus. Schon gar nicht für die Ukrainer, die ja auch nicht glücklich werden, wenn sie hier unbeschäftigt sind.“

Alles in allem müsse man der deutschen Zivilbevölkerung ein großes Lob ansprechen, da sie in der Erstaufnahme ukrainischer Geflüchtete eine große Rolle gespielt habe. Wichtig im Hinblick auf die Integration Geflüchteter im Arbeitsmarkt sei es, zu bedenken, „dass Flüchtlinge nicht Betreuungsbedürftige sind, sondern wache und aktive Menschen, die arbeiten können und wie wir ein ganz normales Leben führen wollen.“