Streit um die Migrationspolitik und ein straffes Programm sind beim Parteitag der Grünen vorprogrammiert. Annähernd 1.500 Änderungsanträge hat die Grüne-Basis zum Entwurf des Europawahlprogramms gestellt, das am Wochenende verabschiedet werden soll.
Der Bundesparteitag der Grünen wird in der Stadt ausgetragen, in der die Partei im Jahr 1980 gegründet wurde. In Karlsruhe erwarten die Grünen die wohl größte Delegierten-Konferenz ihrer Geschichte. Der Bundesvorstand aus Omid Nouripour und Ricarda Lang wurde mit deutlicher Mehrheit wiedergewählt. Alle Ereignisse im Überblick.
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Grüne: Parteirat gewählt – Parteitag geht zu Ende
Sonntag, 12.45 Uhr: Parteirat gewählt
Die Grünen haben auf dem Bundesparteitag in Karlsruhe ihren Parteirat neu gewählt. Die 16 Mitglieder des Gremiums haben laut Satzung vor allem eine beratende und koordinierende Funktion – auch zwischen den einzelnen politischen Ebenen. Ministerinnen und Minister sowie die Fraktionsspitze sind allerdings anders als bisher nicht mehr dabei.
Damit und mit Reden der Parteivorsitzenden Ricarda Lang und Omid Nouripour, sowie der Spitzenkandidatin bei der Europawahl, Terry Reintke, geht der größte Parteitag in der Geschichte der Grünen mit über 800 Delegierten und 4000 Gästen seinem Ende zu. Es war ein in weiten Teilen ruhiger Parteitag. Lediglich in Sachen Asylrecht wurde ich hart gestritten. Sonst zeigten sich die Delegierten zufrieden und setzten sich reflektiert und durchaus selbstkritisch mit ihrer Performance auseinander.
Robert Habeck: „Misstrauensvotum in Verkleidung!“
Samstag, 22.01 Uhr: Emotionaler Streit um Asylrecht
Die Grünen streiten über das Asylrecht. Wirtschaftsminister Robert Habeck wird eindeutig: „Ich werde dem Antrag der Grünen Jugend nicht zustimmen.“ Ein Antrag, der die grüne Spitze zu keinen weiteren Restriktionen im Asylrecht verpflichten soll. „Macht euch klar“, ruft der Wirtschaftsminister den parteiinternen Gegnern zu, „dass die Abstimmung eine Konsequenz hat, es ist ein Misstrauensvotum in Verkleidung!“ Es ginge bei der Abstimmung nicht um die Grüne Jugend, auch nicht um die Regierung – es ginge vielmehr um die Menschen.
Grüne: „Kein Mensch ist illegal!“
Samstag, 20.54 Uhr: Grüne liefern sich Schlagabtausch
Die Grünen liefern sich auf ihrem Parteitag in Karlsruhe einen Schlagabtausch, der sich gewaschen hat. Der Saal tobt. Die Menge johlt. In wortgewaltigen Beiträgen wird die in weiten Teilen der Partei als Asylrechtsverschärfung begriffene Migrationspolitik angegriffen. „Kein Mensch ist illegal“ ruft ein Delegierter vom Rednerpult. Für eine andere Delegierte ist das Thema zu ernst, als dass gejohlt und geklatscht wird. Sie bittet darum, es bei ihr zu unterlassen. Die Vorsitzende der Grünen Jugend sagt: „Wer Rechten hinterherläuft stolpert!“ Während der Rede des frisch neu gewählten Parteivorsitzenden Omid Nouripour halten Delegierte Transparente hoch.
Özdemir fordert Investitionsklausel
Samstag, 19.43 Uhr: Özdemir fordert Schuldenbremse um Investitionsklausel zu erweitern
In einer engagierten Rede forderte der Landwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne), die Schuldenbremse um eine Investitionsklausel zu ergänzen. „Wir bekennen uns zur Schuldenbremse, aber zu einer guten Schuldenbremse“, rief der Grüne den Delegierten zu. Dazu dürfe nicht nur das aktuelle Urteil des Bundesverfassungsgerichts berücksichtigt werden, sondern auch das vorherige Urteil desselben Gerichts, wonach Maßnahmen gegen die Klimakrise nicht aufgeschoben werden dürfen.
„Beide Urteile gelten“, hier dürfe es „nicht nur Rosinenpickerei geben“, sagte Özdemir. Die Richtersprüche zusammen definierten den politischen Handlungsraum. Die Politik müsse sowohl die Schuldenbremse beachten als auch das Klima schützen. Die geltenden Regeln für die Kreditaufnahme kritisierte Özdemir als zu wenig flexibel mit Blick auf notwendige Investitionen. „Wenn du im Dach ein Loch hast und es regnet rein und du reparierst es nicht wegen der Schuldenbremse, dann ist das Gegenteil von klug“, gab er zu bedenken
Samstag, 18.35 Uhr: Geschlossen hinter der Ukraine
Die Grünen stellen sich auf ihrem Parteitag weiterhin geschlossen hinter die Ukraine. Sie bekräftigen nach wie vor Wohlstandsversprechen und Militärhilfe für die Ukraine. So fanden mehrere Anträge, die die Militärhilfe für die Ukraine kritisch sehen keine Mehrheit. „Auch das Zaudern und das Zögern bei der Unterstützung der Ukraine hat einen hohen Preis“, mahnte die Verteidigungspolitikerin Sara Nanni. Die belarussische Bürgerrechtlerin, Swetlana Tichanowskaja, sagte: „Lasst uns der Ukraine helfen, diesen Krieg zu gewinnen“, was von den Delegierten mit anhaltendem Applaus quittiert wurde.
Grüne: Delegierte warnt vor „Abschottung“ Europas
Samstag, 12.35 Uhr: Annalena Baerbock spricht über Verantwortung in Asyl-Debatte
Es ist wohl eines der schwierigsten Themen für die Grünen, wie Grünen-Urgestein Hubert Kleinert im Interview mit dieser Redaktion betonte: die Migration (mehr dazu hier). Und darüber diskutieren die Grünen an ihrem Parteitag nicht zu knapp. Bevor Außenministerin Annalena Baerbock das Wort ergriff, warnte eine junge Delegierte vor einer weiteren „Abschottung“ Europas.
Danach warb Baerbock in ihrer Rede für Realitätssinn und Kompromissbereitschaft, insbesondere im Zusammenhang mit der geplanten Reform der europäischen Asylpolitik. Betonend, dass „ohne Ordnung keine Humanität“ möglich sei, unterstrich sie die Verantwortung der Grünen in der Bundesregierung und die Notwendigkeit, aktiv an Verhandlungen für eine mögliche Einigung in der Asylpolitik teilzunehmen. Baerbock äußerte die Überzeugung, dass die Partei sich dieser Verantwortung nicht entziehen dürfe.
Interview: Grüne Jugend macht der Spitze in Migrations-Debatte Druck
Grüne stimmen bis spät in die Nacht über Europawahlliste ab
Samstag, 2.30 Uhr: Grüne tagen bis spät in die Nacht
„Die Delegierten haben das Unmögliche möglich gemacht“, beginnt Grünen-Geschäftsführerin Emily Büning das Pressebriefing am Samstagmorgen (25. November). In der Nacht von Freitag auf Samstag tagten die Delegierten bis spät in die Nacht und stimmten über die gesamte Europawahlliste ab. Bis 2.30 standen so alle 40 Kandidaten für die Europawahl fest.
Freitag, 19.39 Uhr: Baerbock bestätigt Deutsche unter den freigelassenen Geiseln
Am Freitag wurden 24 von der Terrororganisation Hamas verschleppten Geiseln freigelassen, darunter sind auch Deutsche (mehr dazu hier). „Ich bin unendlich erleichtert, dass soeben 24 Geiseln aus Gaza freigekommen sind, darunter vier Deutsche, dass ein Vater nach 49 Tagen der Hölle, des unglaublichen Bangens, endlich seine zwei kleinen Töchter, seine Ehefrau wieder sicher in die Arme schließen kann“, sagte die Grünen-Politikerin am Rande des Parteitags laut Angaben der Deutschen Presse-Agentur (dpa).
Grünen-Parteitag: Lang und Nouripour als Vorsitzende wiedergewählt
Freitag, 14.10 Uhr: Theresa „Terry“ Reintke landet auf Platz 1 der Europawahlliste
Die Grünen haben Terry Reintke als ihre Spitzenkandidatin für den Europawahlkampf nominiert. Die Fraktionschefin der Grünen im Europaparlament erhielt eine Zustimmung von 95,2 Prozent. In ihrer Bewerbungsrede unterstrich die 36-Jährige ihre Herkunft aus dem Ruhrgebiet und betonte die Chancen des klimafreundlichen Umbaus der Wirtschaft sowohl für die Region als auch für ganz Europa.
„Wir werden nächstes Jahr mit aller Kraft gegen einen Rechtsruck im Europäischen Parlament kämpfen müssen“, kündigte Reintke an. Es dürfe „keine Zusammenarbeit mit Faschisten“ geben. Sie wandte sich auch gegen Verschärfungen der europäischen Migrationspolitik: „Unser Bekenntnis zu Rechtsstaatlichkeit endet nicht an den europäischen Außengrenzen.“
Und während alle gespannt auf das Ergebnis der Abstimmung warteten machte Reintke schon einmal Werbung für die Party am Samstagabend mit „DJ Omid“.
+++ Auch im letzten Jahr feierten die Grünen am Parteitag mit DJ Omid +++
Freitag, 13.22 Uhr: Wahl der Bundesvorstands-Mitglieder beendet
Alle Personen des Bundesvorstands der Grünen sind gewählt. Auch die Funktion als frauenpolitische Sprecherin konnte die Bundesvorsitzende Ricarda Lang mit knapp 88 Prozent der Stimmen für sich entscheiden.
Freitag, 11.30 Uhr: Bei Rede von Omid Nouripour wird es emotional
„Ich bin Taylor-Swift-Fan, wählt mich“, ruft Omid Nouripour mit einem Lacher bei seiner Bewerbungsrede um den Bundesvorsitz in den Saal. Der Grünen-Politiker sagt das in Hinblick auf Meinungsverschiedenheiten an der Spitze der Grünen, die es lediglich im Musikgeschmack gebe.
Doch danach stimmt Nouripour weitaus ernstere Töne an. Vor kurzem habe es eine Zeit gegeben, an dem der Vorsitzende am „Rande des Aufgebens“ gebracht wurde. Denn: Iranische Freunde und Familie würden bedroht aufgrund der politischen Arbeit in Deutschland. „Und nicht jeder hat das überlebt“, betont der 48-Jährige mit belegter Stimme. Aber: „Ich kann nicht leiser, ich kann nicht anders, das ist unsere Verpflichtung“, betont Nouripour weiter. Der Saal erfüllt sich mit Applaus und Standing Ovations.
Bei der Wahl zwischen Omid Nouripour und Philipp Schmagold konnte sich der aktuelle Bundesvorsitzende erneut durchsetzen. Nouripour wurde mit 79 Prozent und 613 Stimmen wiedergewählt. Konkurrent Schamgold konnte 93 Stimmen einholen.
Freitag, 11.05 Uhr: Ricarda Lang als Bundesvorsitzende wiedergewählt
Co-Vorsitzende Ricarda Lang erntet tosenden Applaus bei ihrer Bewerbungsrede um die Wiederwahl. Direkt zu Beginn verweist sie darauf, dass den Grünen immer wieder für alles die Schuld in die Schuhe geschoben werde. „An ein paar Dingen sind wir auch wirklich Schuld“, räumt Lang ein.
Und betont dann weiter: „Wir sind Schuld daran, dass Deutschland vom russischen Gas unabhängig ist, wir sind Schuld daran, dass es in Deutschland ein 49-Euro Ticket gibt, dass der Paragraph 219a endlich abgeschafft wird und Deutschland klimagerechter wird. Und wir sind daran gerne Schuld“, so die Co-Vorsitzende. Dennoch gebe es Dinge, die die Grünen noch besser machen müssten. „Ich sage das, weil wir noch mehr können müssen“, betont Lang. Klimaschutz, Wohlstand und Gerechtigkeit müssten miteinander verbunden werden. Als die 29-Jährige um weiteres Vertrauen der Delegierten bittet, bricht der Saal nicht nur in tosendem Applaus, sondern auch in Standing Ovations aus.
Im Anschluss beantwortet Lang zwei Fragen. „Wie soll sich die Partei für die nächsten zwei Jahre aufstellen?“ Lang: „Es gibt den Versuch, uns zu einer Ein-Themen-Partei zu machen, uns in eine Nische zu drängen.“ Es gehe darum, gerade die zu überzeugen, die Sorgen haben. Dafür brauche es alle Grünen, in Europa und in Deutschland. „Wir kann man die Notwendigkeit für Klimaschutz besser vermitteln?“ Lang sagt dazu: „Klimaschutz ist an sich eine soziale Frage. Denn die Menschen mit dem meisten Geld können sich am meisten auch davor schützen.“ Wir müssen zeigen, was Klimaschutz für jeden Einzelnen bedeute und wie man sich dafür schützen könne, so Lang.
Danach stimmten 744 Delegierte ab. Das Ergebnis: Lang wurde mit 612 Stimmen zur Bundesvorsitzenden wiedergewählt. Unter erneut Standing Ovations rief sie in den Saal: „Ich hab wahnsinnig Bock, diese Reise mit euch weiter zu reisen.“
Freitag, 10.14 Uhr: Probeabstimmung sorgt für ordentlich Applaus
Am zweiten Tag der Bundesdelegiertenkonferenz der Grünen in Karlsruhe steht die Wahl der Parteichefs und des Vorstands im Mittelpunkt. Die beiden Co-Vorsitzenden, Ricarda Lang und Omid Nouripour, kandidieren erneut. Ab Mittag soll mit der Wahl der Europaliste für die Grünen begonnen werden.
Um sich auf einen Tag voller Abstimmungen einzustimmen, testen die Delegierten mit einer Probeabstimmung ihre Abstimmungsgeräte. Zur Wahl stehen: „Enthaltung“, „Nein“, „Bis spät in die Nacht tagen“, „Bis spät in die Nacht tanzen“ oder „Freibier vom Landesverband Baden-Württemberg“.
„Wir hoffen auf viele Stimmen bei Punkt 5“, betont Anke Erdmann, Grüne-Landesvorsitzende in Schleswig-Holstein, mit einem Lacher. Und auch das Ergebnis sorgt für ordentlich Stimmung und Applaus. Nur ein Drittel wolle bis spät in die Nacht tagen, dagegen wollen knapp 60 Prozent bis spät in die Nacht tanzen. Gewinner der Probeabstimmung ist das Freibier. Nach der Probewahl folgt nun die erste „richtige“ Abstimmung.
Freitag, 9.00 Uhr: „Ein Tag der Wahlen“
In einem ersten Pressbriefing macht die politische Geschäftsführerin Emily Büning darauf aufmerksam, dass der zweite Tag des Bundesparteitages im Gegensatz zum ersten weniger emotional werde. „Es wird ein Tag der Wahlen“, bekräftigt Büning. So wird am Freitag (24. November) nicht nur der Bundesvorstand, sondern auch die Europaliste gewählt. Von insgesamt 70 Kandidaten sollen 40 Plätze gewählt werden. Die Abstimmung werde sich also auch noch in den Samstag hineinziehen, so die Grünen-Geschäftsführerin.
Der erste Tag der BDK im Überblick
Donnerstag, 23.22 Uhr: Baerbock spricht Israel Recht auf Selbstverteidigung zu
„Wenn dieser Terror nicht bekämpft“ werde, werde Israel nie in Sicherheit leben können, betonte Außenministerin Annalena Baerbock mit Blick auf das Recht Israels auf Selbstverteidigung. Das Land kämpfe gegen die Hamas und nicht gegen die Palästinenserinnen und Palästinenser, so Baerbock. Die Gewalt jüdischer Siedler im Westjordanland sei nicht im Sicherheitsinteresse Israels. „Ich glaube, es ist unsere Aufgabe, genau das zu verhindern – einen regionalen Flächenbrand und diese internationalen Gräben“, warnte die Außenministerin.
Einen Antrag des Bundesvorstands mit dem Titel „Solidarität mit Israel: Für Frieden, gegen Hass und Terror“ beschloss der Parteitag in der Nacht zu Freitag (24. November) in Karlsruhe einstimmig.
Donnerstag, 21.40 Uhr: Kretschmann verteidigt Migrations-Kurs
Den vorgeworfenen „Abschottungs-Kurs“ von Bund und Ländern in der Migrationspolitik hat Winfried Kretschmann, Ministerpräsident von Baden-Württemberg, verteidigt. „Es ist der Kurs des richtigen Maßes und der richtigen Balance zwischen Humanität und Ordnung“, so Kretschmann am ersten Abend des Bundesparteitages der Grünen.
Donnerstag, 20.02 Uhr: Habeck fordert Update der Schuldenbremse
Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck drang am Donnerstagabend auf eine Reform der Schuldenbremse. „Wir haben uns freiwillig die Hände auf den Rücken gefesselt und ziehen so in einen Boxkampf“, kritisierte er die deutschen Schuldenregeln, die Kredite für Zukunftsinvestitionen behinderten. Nötig sei „ein zeitgemäßes Update der Schuldenbremse“.
Donnerstag, 16.44 Uhr: Grüne begrüßen Aussetzung der Schuldenbremse
Die Bundesdelegiertenkonferenz (BDK) der Grünen ist von der Haushaltskrise geprägt, die sich nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts ergab. Aufgrund dieses Urteils fehlen der Ampel-Koalition insbesondere 60 Milliarden Euro für den klimafreundlichen Umbau der Wirtschaft.
Deshalb plant die Ampel-Koalition, die Schuldenbremse erneut in diesem Jahr auszusetzen. Am Donnerstag (23. November) kündigte Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) die Einreichung eines Nachtragshaushalts an.
Grünen-Chef Omid Nouripour dankte Lindner für diese Bereitschaft. „Das ist ein sehr großer Schritt nach vorne“, sagte er beim Grünen-Parteitag in Karlsruhe.