Tag zwei vom Grünen-Parteitag in Bonn. Schwerpunkt am Samstag wird vor allem das Thema Sicherheitspolitik sein. Ukraine, Iran, aber auch China beschäftigen die Grünen. Annalena Baerbock hat dabei einen großen Auftritt. Kritiker ihres Kurses bleiben Außenseiter auf dem Parteitag.
Am ersten Tag legten sich die Grünen auf einen Kurs bei der Atomenergie fest: Nur die zwei süddeutschen AKW sollen bis Mitte April als Reserve am Netz bleiben. Danach soll endgültig Schluss sein. Anders als es die FDP angesichts der Energiekrise fordert, ist ein Neuankauf von Brennstäben und der Weiterbetrieb des AKW Emsland mit den Grünen nicht zu machen. Die Ampel steckt beim Streitpunkt Atomkraft also in der Sackgasse.
Grünen Parteitag in Bonn: Newsblog zum zweiten Tag am Samstag
17.31 Uhr: Emotionale Achterbahnfahrt beim Parteitag
In einer bewegenden Inszenierung auf der Bühne sendet die deutsch-iranische Schauspielerin Pegah Ferydoni einen Hilfeschrei an die Partei: „Liebe Grüne, liebes Deutschland. Mein Land, bitte, wir brauchen euch, jetzt!“, sagt sie.
Kurz danach der nächste emotionale Tagesordnungspunkt: Eine Schweigeminute für die Parteilegende Hans-Christian Ströbele. Jürgen Trittin erinnert an den verstorbenen Ur-Grünen.
16.31 Uhr: Anträge der letzten traditionellen Hardcore-Pazifisten werden abgeschmettert
Nun ist der Moment der letzten traditionellen Pazifisten der Partei. Einige Basis-Mitglieder sprechen. Einer meint, Petra Kelly würde sich im Grabe umdrehen, wenn sie den heutigen Kurs der Grünen mitbekommen würde. Ein anderer sagt: „Es muss Schluss sein mit immer mehr schweren Waffen, sondern die Diplomatie muss siegen.“ Er will eine diplomatische Initiative zur Beilegung des Ukraine-Krieges mit dem UN-Generalsekretär. Doch der Applaus für diese Positionen fällt ziemlich dürftig aus. Die Mehrheitsverhältnisse sind deutlich. Weitaus lauteren Applaus gibt es für eine energische Gegenrede des EU-Abgeordneten Sergey Lagodinsky. Er versteht die Grünen als „antikolonialistische Partei“, als „feministische Menschenrechtspartei“ und als eine „Friedenserhaltungspartei“. Man könne die Ukraine „nicht mit Sonnenblumen verteidigen, wir müssen Waffen liefern“, macht er klar.
+++ Grüne: Proteste beim Parteitag aus eigenen Reihen – „Queer-Lobby sickert in Gesellschaft“ +++
Etwas später mahnt erneut ein Delegierter, dass die Grünen-Spitze die Diplomatie als Ausweg aus dem Krieg wieder mehr in den Fokus nehmen müsse. Er begründet das mit der nuklearen Bedrohung. Die Lage sei „mindestens auf dem Stand von 1961“, dem Jahr der Kuba-Krise. Möglicherweise sogar schlimmer, warnt er. Doch die breite Mehrheit steht hinter den Kurs von Außenministerin Annalena Baerbock. Sämtliche Änderungsantrage von pazifistischen Linken fallen durch. So auch der Antrag, die Bundeswehr als reine Defensivarmee auszurichten. Ebenso wie ein Antrag mit dem gefordert wurde, die Aufrüstung der Bundeswehr bald wieder zu deutlich zu drosseln.
14.50 Uhr: Bütikofer kritisiert Kanzler Scholz – „Selbstgerechtigkeit“
Der Vorsitzende der Europäischen Grünen Partei, Reinhard Bütikofer, gibt Kanzler Olaf Scholz einen auf den Deckel. Wenn der Bundeskanzler immer wieder sage, er habe schon vorher gewusst, dass Putin uns mit seinem Gas erpressen wolle. Das sei ein „Maß an Selbstgerechtigkeit“, dass das Vertrauen bei den europäischen Partnern weiter erschüttere.
Auch die China-Politik des Kanzlers sieht Bütikofer kritisch. Dass Scholz nun nach China fliegen wolle, sei „keine besonders kluge Idee“. Aber wenn er schon fliege, dann solle er wenigstens die neue werteorientierte China-Politik vertreten. Denn, so Bütikofer: „China bedroht fundamental unsere Werte, unsere Interessen und unsere demokratische Lebensweise.“ Der Parteitag antwortet mit großem Applaus.
13.35 Uhr: Baerbock befürchtet neue Flüchtlingsdebatte im Land
Annalena Baerbock mit einer emotionalen Rede auf dem Parteitag. „Weil wir Friedens- und Menschenrechtspartei sind, unterstützen wir die Menschen, ihr Leben zu verteidigen“, so die Grüne. Wenn ärmere Länder des globalen Südens dazu in der Lage sind, sich gegen Putin zu stellen, müsse das umso mehr für Deutschland gelten. „Wir sind stärker als dieser Krieg“, erklärt Baerbock. Das gelte es nun zu zeigen.
Ein zweiter Schwerpunkt ihrer Rede ist die drohende Spaltung der Gesellschaft. Sie habe dreimal Schutzwesten tragen müssen: In Mali, in der Ukraine und im niedersächsischen Wahlkampf. Sie erinnert an Lokalpolitiker, die keinen Schutz durch das BKA bekommen. Dennoch wirbt sie darum: „Lasst uns dorthin gehen, wo der Widerspruch am härtesten ist.“ Man könne nicht alle mit Argumenten und Fakten überzeugen, aber man dürfe nicht einknicken.
Dann redet Baerbock Merz ins Gewissen: „Mein Appell an die Union: Man kann sich auch in der Opposition entscheiden, auf welcher Seite man steht.“ Es dürfe nun im Winter keine Politik gegen Flüchtlinge gemacht werden, man dürfe nicht den Krieg in der Ukraine gegen die Geflüchteten ausspielen. Baerbock appelliert an die Merz-Partei, sich Angst und Spaltung in der Gesellschaft entgegenzustellen. „Jetzt ist die Zeit, Haltung zu zeigen“, so die Außenministerin.
12.40 Uhr: Standing Ovations für Friedensnobelpreisträgerin
Die Debatte um die neue grüne Friedens- und Sicherheitspolitik nach dem russischen Überfall auf die Ukraine geht los. Großer Moment am Mittag: Unter Standing Ovations wird die Menschenrechtsaktivistin Irina Scherbakowa willkommen geheißen. Scherbakowa ist Gründungsmitglied der russischen Menschenrechtsorganisation Memorial, die 2022 mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet wurde.
11.55 Uhr: Bekommt Baerbock Rückendeckung von der Basis?
Nachdem am Freitag Vizekanzler Robert Habeck zwei große Auftritte hatte, gehört am Samstag Annalena Baerbock die Bühne in der Halle in Bonn. Es geht den Grünen um die militärische Solidarität mit der überfallenden Ukraine, den Geflüchteten aus diesem Land, aber auch um ein deutliches Zeichen der Unterstützung für die Frauenrechte-Protestbewegung im Iran. Ganz im Sinne der feministischen Linie in der Außenpolitik Baerbocks.
Hier geht’s zum News-Blog zum ersten Tag des Grünen-Parteitag
Während die Grünen im Wahlkampf noch gegen Waffenexporte in Krisengebiete Position bezogen, stehen sie nun an vorderster Front in der Ampel, wenn es um schnellere und mehr Lieferungen schwerer Waffen in die Ukraine geht.
Wird die Basis Baerbock für diesen Kurs breite Rückendeckung geben? Oder gibt es bei linken Kreisverbänden doch deutliche Vorbehalte gegen den bellizistischen Kurs seit der Zeitenwende?
Der Parteitag wird von mehreren Lobby-Verbänden und Unternehmen gesponsert. Die Grünen gehen damit transparent um. Pikant dabei ist, wer ausgerechnet Top-Sponsor der Partei ist.