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Krankenkasse: In deiner Patientenakte stehen merkwürdige Diagnosen! Was kannst du tun?

Die Patienten fallen vom Glauben ab! In vielen Patientenakten stehen rätselhafte Diagnosen. Die Krankenkasse hat das Nachsehen.

Krankenkasse: Kommt es zu einem systematischen Betrug in Arztpraxen?
© IMAGO/Pond5 Images

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Ein Instagram-Video sorgt für viel Aufmerksamkeit. Schon weit über 2,2 Millionen Aufrufe zählt das Soziale Netzwerk für den Clip (Stand 26. März). Hunderte haben drunter kommentiert. Es geht um den Verdacht, dass unsere Ärztinnen und Ärzte systematisch bei Abrechnungen betrügen – und damit auch dich und deine gesetzliche Krankenkasse!

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Was den Clip besonders authentisch macht: Es stammt vom Comedy-Podcast „Couple of“. Doch hier geht es nicht um eine Albernheit, Moderatorin Iris Gavric wirkt ehrlich erschüttert über eine Zuschrift, die sie erhalten hat.

Diabetes Typ 2, Gicht und mehr: Lauter falscher Einträge in Patientenakte

Eine Zuhörerin berichtet darin von einem „Shitmove“ aus dem Gesundheitssystem. Die Frau habe ihre Patientinnenakte der letzten 10 Jahre angefordert und sei „schockiert“ gewesen, „welche Diagnosen unwissentlich abgerechnet wurden, damit Ärztinnen mehr Geld erhalten“.

So steht in der Akte, dass sie Diabetes Typ 2, eine Niereninsuffizienz und Gicht habe. Alles falsch! Und es geht noch weiter: „Alle Frauenärztinnen haben unabhängig zu jeder Vorsorgeuntersuchung eine psychische Erkrankung abgerechnet. Gibt bis zu knapp 50 Euro extra!“ Doch diese Erkrankungen habe die Frau alle nicht, sie sei nicht deswegen behandelt oder darüber aufgeklärt worden.

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Solche Fehleinträge verursachen nicht nur der Krankenkasse einen finanziellen Schaden, sondern können auch dafür Sorgen, dass man Schwierigkeiten beim Abschluss einer Berufsunfähigkeitsversicherung, der Verbeamtung oder dem Wechsel zu einer privaten Krankenversicherung bekommen kann. Zudem kann das die Statistiken über die Häufigkeit von Krankheitsbildern in der Bevölkerung verfälschen.

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Besorgniserregende Rückmeldungen: „Ist mir auch passiert“

Iris Gavric ist entsetzt: „Ich finde das unglaublich!“ Ihr Partner Matthias Renger ebenso. Die beiden fordern die Community auf, eigene Erfahrungen zu schildern. Und die Rückmeldungen im Kommentarbereich auf Instagram sind besorgniserregend. Einige Beispiele:

  • „In der Krankenakte meiner Mutter stand, dass bei ihr die Gebärmutter entfernt wurde, dabei hat dieser Eingriff nie stattgefunden.“
  • „Ich saß beim Arzt, wartete auf eine Impfung und meine Kartei war im Programm auf. Lese ich da: Dauerdiagnose Depression. Hab fast einen Herzschlag bekommen! Ich studiere Lehramt, bin kurz vorm Examen. Mit einer diagnostizierten Depression wird man nicht verbeamtet.“
  • „Ist mir auch passiert. Hatte schon eine chronische Nierenentzündung und außerdem bin ich Alkoholikerin. Beides wusste ich nicht, bis ich meine Krankenakte eingesehen hatte.“
  • „Habe die Akten angefordert, weil ich zu einer privaten Krankenkasse wechseln wollte und mir dazu geraten wurde, vorher meine Akten anzufordern und bereinigen zu lassen, weil das wohl offensichtlich ein bekanntes Problem ist. Es wurden da locker 10 Diagnosen und Behandlungen abgerechnet, die nie stattgefunden haben.“

Der Versicherungsexperte Bastian Kunkel, der selbst auf Instagram aktiv ist, kommentiert ebenfalls mit: „Erleben wir leider jeden Tag bei uns in der Beratung von Berufsunfähigkeitsversicherung oder privater Krankenversicherung. Kein Abschluss ohne Sichten der Patientenakte. Die Kunden fallen aus allen Wolken, wenn sie sehen, was da alles abgerechnet wurde.“ Er dankt dem Comedy-Duo, dass sie auf dieses Thema aufmerksam machen.

Das sagen Techniker Krankenkasse, Barmer und AOK

Ist es also ein systematisches Problem? Auf Anfrage unserer Redaktion erklärt Pressesprecherin Laura Hassinger von der Techniker Krankenkasse: „Nach Einschätzung unserer Fachleute ist Abrechnungsbetrug durch Ärztinnen und Ärzte ein Problem, das existiert, jedoch eher vereinzelt bzw. nicht strukturell festgestellt werden kann. Die Erfahrung zeigt, dass die überwiegende Anzahl der ärztlichen Abrechnungen korrekt erfolgt.“

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Die Techniker Krankenkasse sieht eine Chance, künftig durch die elektronische Patientenakte (ePA) mehr Betrugsfälle aufzudecken. „TK-Versicherte haben die Möglichkeit, über ihre ePA nachzuschauen, was für sie abgerechnet wurde“, so Hassinger. Sie schränkt jedoch ein: „Um potenziellen Betrugsfällen nachzugehen, die durch Abrechnungsdaten in der ePA sichtbar werden, sind wir allerdings auf die entsprechenden Rückmeldungen unserer Versicherten angewiesen. Bei begründeten Verdachtsfällen geben wir die Hinweise an die zuständige Kassenärztliche Vereinigung weiter, die diesen nachgeht.“

Auch der AOK liegen „keine Erkenntnisse darüber vor, ob und in welchem Ausmaß Diagnosen falsch gestellt werden“. Die Krankenkasse würden aber die Abrechnungen grundsätzlich darauf prüfen, „ob Art und Umfang der für die Behandlung eines Versicherten abgerechneten Leistungen in Bezug auf die angegebene Diagnose plausibel sind“. Bei Auffälligkeiten werde die zuständige Kassenärztliche Vereinigung informiert. Die Richtigkeit der dokumentierten Diagnosen werde aber nicht geprüft.

AOK-Pressesprecher Michael Bernatek weist auch darauf hin, wie aufwändig es für die Patienten ist, falsche Angaben zu korrigieren: „Sollten Versicherte die Krankenkasse auf falsche Diagnosen hinweisen, müssen die Betroffenen deren Unrichtigkeit durch ärztlichen Nachweis belegen. Erst dann ist die Krankenkasse berechtigt, die Diagnose nachträglich zu korrigieren.“

Barmer-Sprecherin Sunna Gieseka teilt uns ebenfalls mit, dass es einen „ärztlichen Nachweis für die Unrichtigkeit der Diagnosedaten“ braucht. Sofern ein Versicherter sich mit einem solchen Anliegen an die Krankenkasse wendet, bittet diese in der Regel zunächst den behandelnden Arzt um eine Stellungnahme. „Sollte etwas darauf hindeuten, dass eine Diagnose in eventuell strafrechtsrelevanter Weise bewusst falsch gestellt worden ist, ist dies natürlich nicht möglich“, schränkt Gieseka ein. Dann werde entsprechend eine andere Stelle eingeschaltet und der Fall geht auch zur Staatsanwaltschaft, „wenn die Prüfung ergibt, dass ein Anfangsverdacht auf strafbare Handlungen mit nicht nur geringfügiger Bedeutung für die gesetzliche Krankenversicherung bestehen könnte“.

Milliarden-Schaden – und das Dunkelfeld ist wohl noch viel größer

Der Spitzenverband der gesetzlichen Kranken- und Pflegekassen GKV geht von einem massiven finanziellen Schaden durch Abrechnungsbetrug im Gesundheitswesen aus. Für die letzten 20 Jahre wird laut amtlicher Kriminalstatistik ein Gesamtschaden von 1,13 Milliarden Euro angegeben, hieß es in einer GKV-Pressemitteilung im November 2023.

Weiter teilte die GKV mit: „Um gegen solches Fehlverhalten vorzugehen, wurden 2004 die Stellen zur Bekämpfung von Fehlverhalten im Gesundheitswesen geschaffen. Doch es gibt noch immer viel zu tun, denn der Schaden durch nicht bekanntgewordene Fälle ist auch nach Ansicht des Bundeskriminalamtes vermutlich um ein Vielfaches größer.“


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Im aktuellen siebten Fehlverhaltensbericht des GKV-Spitzenverbandes für die Jahre 2020 und 2021 wurde ein Schaden von rund 132 Millionen Euro ermittelt, „wovon weniger als die Hälfte zurückgeholt werden konnte“. Es bleibe also „ein erheblicher Schaden für die Beitragszahlenden der gesetzlichen Krankenversicherung.“