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Lützerath: „Letzte Generation“-Aktivist fürchtet um das Leben der Besetzer – „Massiv gefährlich“

In Lützerath hat der zweite Tag der Räumung begonnen. Ein Aktivist der „Letzten Generation“ sieht die Besetzer in Lebensgefahr.

Lützerath
© IMAGO / Nicolaj Zownir

Räumung hat begonnen: Polizei-Großeinsatz in Lützerath (REEL)

In Lützerath versuchen aktuell hunderte Menschen, den fortschreitenden Braunkohle-Abbau durch RWE zu verhindern. Am Mittwoch (11. Januar) hat die Polizei mit der Räumung des Dorfes begonnen. Es ist ein letztes großes Aufbäumen der Klimademonstranten.

Mit einem Großaufgebot der Polizei wird versucht, die Demonstranten vom Gelände zu bekommen. Der Protest verhielt sich bis zur Räumung überwiegend friedlich. Doch wie schon in den Vortagen kam es allerdings auch vereinzelt zu Angriffen auf die Beamten. Malte Nierobisch (19), Klima-Aktivist der „Letzten Generation“ aus Bottrop kritisiert im Interview mit dieser Redaktion allerdings auch das Vorgehen der Polizei vor Ort. Er fürchtet sogar um das Leben der Demonstranten.

Lützerath: Klima-Aktivist bangt um Besetzer

Malte Nierobisch ist Mitglied der „Letzten Generation“. Seit einem Jahr setzt er sich mit aufsehenerregenden Aktionen für den Klimaschutz ein. Die Vorgänge in Lützerath beobachtet er daher ebenfalls genau. Viele seiner Mitstreiter seien vor Ort und in ständigem Austausch mit dem Bottroper.

Malte Nierobisch
Malte Nierobisch von der „Letzten Generation“ fürchtet um die Demonstranten in Lützerath. Foto: Chaleen Goehrke/ DER WESTEN

„Ich mache mir natürlich auch Sorgen, was da noch passiert. Momentan sieht man, dass die Proteste größtenteils friedvoll verlaufen, doch eine recht gewaltvolle Reaktion von der Polizei ausgeht. Berichte von Sanitätern vor Ort sagen, dass auf Köpfe von Aktivisten geschlagen wird. Es ist massiv gefährlich, was dort passiert“, gibt Malte Nierobisch am Mittwoch die Erzählungen wieder. Dabei bezieht er sich beispielsweise auch auf Social-Media-Videos. Auf Twitter teilte Aktivist Raphael Thelen Videos, die Übergriffe durch Polizisten dokumentieren sollen.

Nach vereinzelten Gewaltausbrüchen in Lützerath – Polizei mit Appell

Der 19-Jährige hat nun große Angst um die Demonstranten: „Bei der Räumung mache ich mir Gedanken, dass in Lützerath auch Menschen sterben könnten wie beispielsweise bei der Räumung des Hambacher Forst.“ Bereits 2018 kam es in Nordrhein-Westfalen zu einem Großeinsatz der Polizei zur Räumung eines Camps von Klimaschützenden im Hambacher Forst. Augenzeugen und Betroffene sprachen damals von Polizeigewalt gegenüber den Demonstranten, bei der auch ein Journalist tödlich verunglückt war. Aachens Polizeichef Dirk Weinspach versprach nach den Erfahrungen im Hambacher Forst eine friedliche Vorgehensweise in Lützerath: „Ich wünschte, die Räumung von Lützerath hätte sich vermeiden lassen. Aber sie ist – nach allem, was ich weiß – leider unvermeidlich“, sagte er vor der heißen Phase.

Lützerath
Lützerath: Die Polizei versucht Demonstranten zum Gehen zu bewegen. Foto: IMAGO / Nicolaj Zownir

Laut der Polizei Aachen wurden zu Beginn des Einsatzes in Lützerath am Mittwochmorgen (11. Januar) vereinzelt Molotow-Cocktails, Steine und Pyrotechnik in Richtung der Beamten geworfen. „Sollte es stimmen, dass Aktivisten mit Steinen auf Polizisten losgingen, verurteilen wir das strikt“, betont Malte Nierobisch. In einer Pressemitteilung der Polizei von Donnerstagabend heißt es: „Ein Polizeibeamter erlitt durch einen Steinwurf leichte Verletzungen, und zwei weitere Einsatzkräfte wurden bei Widerstandshandlungen ebenfalls leicht verletzt. Auch zwei Personen aus der Protestszene erlitten bei Widerstandshandlungen gegen Polizeibeamte leichte Verletzungen.“ Ansonsten seien die Proteste weitgehend ruhig verlaufen. Die Polizei appellierte noch einmal an die Demonstranten, friedlich zu bleiben und den Anweisungen der Einsatzkräfte zu folgen.

Kritik an den Grünen wegen Lützerath

Ob das Dorf wirklich noch zu retten ist, weiß der 19-Jährige selbst nicht. „Die Proteste sind aber ein starkes gesellschaftliches Signal. Ihr könnt uns dafür kriminalisieren, aber das eigentlich Kriminelle ist, dass ihr für die Interessen einiger Weniger einsteht, anstatt für die Sicherheit aller zu stehen“, richtet er seine Worte direkt an die Regierung. Der Energiekonzern RWE rechtfertigt den Abriss des Dorfes mit der Sicherstellung der Stromversorgung für Deutschland.


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Im Fall Lützerath stellen die Grünen ihre Klimaziele ebenfalls hinter die Stromversorgung an. „Ich bin natürlich sehr enttäuscht von den Grünen. Es ist absolut falsch, Lützerath weiter abzubaggern. Die Studienlage zeigt ziemlich eindeutig, dass wir die Kohle darunter nicht brauchen“, betont Malte Nierobisch und spricht damit vielen Klima-Aktivisten aus der Seele. Dabei bezieht er sich etwa auf die Studie von Wissenschaftlern der Europa-Universität Flensburg, der Technischen Universität Berlin und des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung Berlin (DIW). Darin heißt es im Fazit: „Eine Inanspruchnahme von Lützerath ist energiewirtschaftlich nicht notwendig und klimapolitisch nicht zu rechtfertigen.“

Die Verantwortlichen der NRW-Grünen verteidigen die Entscheidung mit einem Kompromiss. Bund, Nordrhein-Westfalen und RWE hatten im vergangenen Jahr vereinbart, den Kohleausstieg im rheinischen Revier von 2038 auf 2030 vorzuziehen. Zudem habe man dadurch fünf andere Dörfer retten können.