Die schlechten Nachrichten um die wohl meistdiskutierteste Pipeline aller Zeiten reißen nicht ab. Ukraine-Krieg, Stopp des Genehmigungsverfahrens, Pleite der Betreiber – mit Schrecken hat man das alles in dieser Woche an der Ostsee vernommen. Und es gibt weitere schlechte Neuigkeiten, denn anscheinend wird Nord Stream jetzt auch noch sich selbst überlassen.
Besonders der Ort Lubmin, wo die Pipeline an Land trifft, ist von den ganzen Auswirkungen betroffen. Die riesige Anladestation an der Ostsee wirkt dieser Tage trauriger denn je. Ob Gas, das sich derzeit noch in der Pipeline befindet, von hier jemals an Häuser und Wohnungen in Deutschland geliefert wird, ist mehr als ungewiss.
Ostsee: Wasserstoff statt Erdgas?
In dem kleinen Küstenort in Mecklenburg-Vorpommern gibt es trotzdem weiter die Hoffnung, dass die Pipeline eines Tages doch noch Energie nach Europa bringen könnte – wenn auch vielleicht kein russisches Gas.
„Ich kann mir nicht vorstellen, dass aus einem so riesigen und vor allem so teuren Projekt einfach eine Industrieruine wird“, sagt Lubmins Bürgermeister Axel Vogt (parteilos) der Nachrichtenagentur AFP. Die Kosten für die Pipeline, die eigentlich in weitaus größerem Umfang als bisher Gas aus Russland nach Deutschland bringen sollte, werden auf fast zehn Milliarden Euro beziffert.
Bürgermeister Vogt kann sich nun zumindest theoretisch vorstellen, dass die Pipeline mit einer anderen Idee doch noch Verwendung findet: Wasserstoff sei ja ein „Riesenthema“, nicht nur in Deutschland, sondern in der gesamten Europäischen Union und auch außerhalb der EU, sagt er. Es sei auf jeden Fall „technisch möglich“, Wasserstoff über die Leitung zu transportieren, darauf habe in der Vergangenheit auch die Betreiberfirma hingewiesen.
Zu den genaueren wirtschaftlichen Auswirkungen des vorläufigen Endes für seine Gemeinde wollte sich Vogt auf Anfrage von MOIN.DE nicht äußern. Er bearbeite derzeit nicht noch weitere Presseanfragen. Es seien zu viele.
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Das ist die Ostsee:
- auch Baltisches Meer genannt
- die Ostsee ist das größte Brackwassermeer der Erde
- die Fläche beträgt 412.500 Quadratkilometer
- sie ist bis zu 459 Meter tief
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Ostsee: Menschen gespalten
In der Region sind die Menschen mit Blick auf die Pipeline gespalten. Zwar sei das mit Russland „alles schrecklich“, sagt die 60-Jährige Kerstin Ahrens, die heute aus Greifswald nach Lubmin gekommen ist. Aber den Stopp für die Pipeline finde sie persönlich nicht gut, fügt sie hinzu und beklagt, dass damit so viel Geld „rausgeschmissen“ werde.
„Jeder hat ja gehofft, dass man dann auch ein bisschen billiger an Gas kommt“, sagt sie mit Blick auf die Erdgasleitung. Nun werde stattdessen alles teurer – das sei „schon traurig“, vor allem für die Region, in der ohnehin nicht viel Geld sei.
Die 66-jährige Heike Schulte sieht das anders: Die Abhängigkeit von Russland sei „viel zu groß“, sagt sie. Deutschland solle sich aber nicht von Russland abhängig machen, dafür sei sie auch bereit, persönlich mehr zu zahlen. „Da müssen wir mit leben.“
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Ostsee: Endgültiges Ende noch nicht besiegelt
Die Pipeline, an der sich als Finanzinvestoren auch Konzerne aus Deutschland, Frankreich und Österreich sowie der britisch-niederländische Konzern Shell beteiligt hatten, gehört dem russischen Gazprom-Konzern und war bereits vor dem russischen Angriff auf die Ukraine politisch heftig umstritten.
Gegner des Projekts befürchteten vor allem eine Schwächung der Ukraine als Transitland und eine wachsende energiepolitische Abhängigkeit von Russland.
Laut „Handelsblatt“ habe der Gazprom-Konzern die Fernwartung der Pipeline einstellen müssen. Diese erfolgte bisher vom Unternehmenssitz in der Schweiz aus. In der Pipeline befänden sich aber 330 Millionen Kubikmeter Erdgas, die unter einem Druck von 120 bar stünden. „Es handelt sich bei der Pipeline um eine komplexe Konstruktion, die man nicht einfach sich selbst überlassen kann“, wird ein Insider zitiert. Anscheinend passiert aber genau das gerade.
Im eskalierenden Ukraine-Konflikt mit Russland zog Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) in der vergangenen Woche die Reißleine und stoppte den für den Betrieb der Pipeline noch notwendigen Zertifizierungsprozess für unbestimmte Zeit. Ein endgültiges Aus für Nord Stream 2, deren Betreibergesellschaft im schweizerischen Zug zuletzt bereits seine gut 100 Beschäftigten entließ, bedeutet dies aber nicht. (dpa/rg/afp)