Nur noch rund zwei Monate bleiben Olaf Scholz, um ein zweites Mal für eine Überraschung bei einer Bundestagswahl zu sorgen. Dafür zeigt er sich nun ganz anders, als die Deutschen ihn seit über 20 Jahren kennengelernt haben. Ein Kommentar.
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Scholz gibt nicht mehr den drögen Merkel-Nachfolger
Als SPD-Generalsekretär zu Zeiten von Kanzler Gerhard Schröder wurde er „Scholzomat“ getauft. Er sprach wie ein Roboter – so hölzern und emotionslos. Im Jahr 2021 hat er sich als legitimer Nachfolger von Angela Merkel dem Wahlvolk angeboten. Mit ihm bekomme man vielleicht einen etwas drögen Regierungschef, dafür solide Leistung, viel Erfahrung und eine besonnene Art. In all dem Trubel der Welt, werde im Kanzleramt weiter mit Vernunft regiert.
In diesem Wahlkampf aber wechselt Scholz plötzlich das Gesicht. Das fing in der fast schon legendären Pressekonferenz zum Ampel-Aus an, in der er gnadenlos mit Christian Lindner abrechnete, den er kurz zuvor rausgeworfen hat. Für viele Sozialdemokraten war das eine Befreiung, politische Beobachter und Gegner jedoch reagierten auf den neuen Ton mit Befremden.
Kanzler als Polit-Entertainer, der zuspitzt und polarisiert
Eine Neuauflage dieser Generalabrechnung folgte am Montag, kurz vor der Vertrauensfrage, im Bundestag. Erneut nutzte Scholz seinen Ex-Minister Lindner wie einen Boxsack, arbeitete sich an ihm ab, sprach ihm sogar die „sittliche Reife“ ab. Später am Abend bekam Unions-Kanzlerkandidat Friedrich Merz eine Packung ab. „Fritze Merz erzählt gerne Tünkram“, teilte der Kanzler im ZDF-„heute journal“ aus.
Was steckt hinter diesem Wandel? Nicht mehr wortkarg, sondern emotional und pöbelnd tritt der neue Scholz auf. Er betreibt auf einmal Polit-Entertainment, spitzt zu und polarisiert. Kritiker sagen, so verhält sich kein Staatsmann, er so kein Vorbild, er trete respektlos auf. Manche mutmaßen gar, Scholz ahme Trump nach. Zunächst aber erreicht der Sozialdemokrat etwas anderes damit.
Scholz will Zweikampf mit Merz – und Habeck und Weidel ins Abseits drängen
Er kommt in die Schlagzeilen, er steht im Mittelpunkt, ist überall Thema. Medial wird es zum Zweikampf Scholz gegen Merz – Habeck, Weidel und Wagenknecht werden an den Rand gedrängt. Genau das muss in dieser Wahlkampfphase für Scholz das Ziel sein, schließlich liegt die SPD mit 16-17 Prozent nur auf Platz drei hinter der AfD und lediglich knapp vor den Grünen. Auch wenn er viele verschreckt, er braucht die Aufmerksamkeit, um zu mobilisieren. Dass ARD, ZDF und RTL in den TV-Duellen nur ihn und Merz einladen werden, kommt Scholz da gerade recht.
Alles soll sich auf diesen Zweikampf fokussieren. Zudem versucht Scholz mit solchen Attacken den CDU-Chef aus der Reserve zu locken, der zur Impulsivität neigt. Bei der Bundestagsdebatte ist das in Teilen schon gelungen. Merz wurde auf einmal zum Verteidiger von Lindner, echauffierte sich über die „blanke Unverschämtheit“, die sich der Kanzler geleistet habe. Einmal in Rage, plauderte Merz auch noch vermeintlichen internen EU-Tratsch über Scholz aus – das war nicht sehr souverän.
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Doch die SPD-Wahlkämpfer müssen sich die Frage stellen, ob dieser Stil wirklich zu Scholz passt. Er ist eben kein geborener Polit-Entertainer, wie beispielsweise Gerhard Schröder oder ein Donald Trump, sondern ein Technokrat. Und vor allem wirkt Scholz oft selbst dünnhäutig und in die Ecke gedrängt, wie im Interview mit dem „heute journal“, als es zur „Fritze Merz“-Aussage kam.
Die Wahlkampf-Falle, in die Scholz jetzt Merz locken will, kann auch für ihn selbst zum Risiko werden. Andererseits: Was hat er bei 16-17 Prozent in Umfragen noch zu verlieren?