„Geschmacklos“, „die neue Titanic“, „widerlich“: Die „taz“ bekommt heftige Reaktionen auf ihre Titelseite zum Tod von Helmut Kohl.
Berlin.
Die „taz“ packt unter der Überschrift „Blühende Landschaften“ Grabschmuck auf ihre Titelseite zum Tode von Helmut Kohl – und muss sich dann dafür entschuldigen. Chefredakteur Georg Löwisch nannte die Seite 1 „missglückt“ und erklärte in einem Beitrag in eigener Sache: „Ein Witz, der von so vielen falsch verstanden wird, ist schlecht.“
Vereinzelt gibt es zwar euphorisches Lob dafür, dass die „taz“ so provoziert. Überwiegend muss die Redaktion aber heftige verbale Prügel einstecken. In Kommentaren von Nutzern auf Facebook und Twitter dominierte seit Freitagabend die Empörung: Viele Nutzer empfinden die Optik mit der Überschrift geschmacklos, würdelos. Die Zeitung hatte Bilder der Seite vorab in sozialen Netzwerken verbreitet.
Die erste Reaktion prominenter Politiker kam von Mike Mohring, Landesvorsitzender der CDU Thüringen: Die taz habe oft gute Titelseiten, „aber DAS ist empörend“, schrieb er auf Twitter. „Dermaßen geschmacklos. Schämt Euch in Grund und Boden“, kommentierte Alexander Hahn, FDP-Bundesvorstandsmitglied und früherer Bundesvorsitzender der Jungen Liberalen.
Löwisch erklärte, beim Tod ehemals Mächtiger setze häufig eine unkritische Verklärung ein, die oft auch zum unaufrichtigen Umgang mit dem Wirken eines Politikers führe. „Mit unserer Titelseite zum Tod von Helmut Kohl haben wir versucht, einen Kontrapunkt zu diesem Effekt zu setzen. Das ging daneben.“ Es tue ihm leid.
Die Titelseite sei „als kritische Würdigung des Altkanzlers“ gemeint gewesen, sei aber anders angekommen: „als Respektlosigkeit gegenüber dem Tod eines Menschen.“
Die Ablehnung der Seite war auch unter Journalisten ist fast einhellig gewesen. Einige Stimmen:
- „Was für eine ekelhafte Seite 1“ (Timm Klotzek, Chefredakteur SZ-Magazin)
- „Ist das traurig und klein. Glückwunsch. Einfach nur traurig, liebe taz.“ (Frank Schmiechen, Chefredakteur von Gründerszene.de, zuvor lange Jahre stellvertretender Chefredakteur der Welt-Gruppe)
- „Das hat die taz nicht nötig.“ (Anne Reidt, Leiterin ZDF-Hauptredaktion Kultur)
- „Nein, taz, das geht definitiv zu weit. Das ist unter eurem Niveau. Und nein, feiert euch nicht, dass sich nun so viele aufregen.“ (Pit Gottschalk, Chefredakteur Funke Sport, früherer Chefredakteur Sport-Bild)
- „Kann nicht wahr sein“ (Burkhard Ewert, stellvertretender Chefredakteur Neue Osnabrücker Zeitung)
- „Hey, taz. Nix gegen kritische Würdigungen, aber DAS kann nicht euer Ernst sein, oder?“ (Miriam Holstein, Redakteurin Innenpolitik „Bild am Sonntag“, Mitautorin einer Comic-Biografie über Angela Merkel)
- „So viele gute taz-Überschriften, aber diesmal total daneben.“ (Kristina Dunz, dpa-Korrespondentin und künftige stellvertretende Berlin-Chefin der „Rheinischen Post“)
- „Ist das widerlich. Der Titel der „taz“ zum Tode Helmut Kohls. Null Pietät, null Respekt vor dem Kanzler der Einheit.“ (Liane Bednarz, Publizistin und Autorin „Deutschland dreht durch: Die Wahrheit über die Afd“)
- „Bin sonst großer Fan der Titelseiten und Headlines der taz. Aber die ist mal voll daneben.“ (Andreas Bachmann, Moderator „Report München“)
- „Respektlos und widerlich.“ (Eric Markuse, Redaktionsleiter Bild Süddeutschland)
- „Diesen Versuch der taz, Helmut Kohl zu würdigen und trotzdem sie selbst zu bleiben, betrachte ich als gescheitert.“ (Imre Grimm, Ressortleiter Medien Redaktionsnetzwerk Deutschland)
- „Jetzt erst eure Drecks-Seite 1 gesehen. Ganz, ganz mies. Wäre ich freier Mitarbeiter bei euch, wäre heute mein letzter Tag.“ (Oliver Wurm, Gründer fussballgold.de)
- „Ganz groß!“ (Janko Tietz, Chef vom Dienst bei „Spiegel Online“)
Kohl war mit seiner Prognose von „blühenden Landschaften“ im Osten in den 90ern oft ironisch oder hämisch konfrontiert worden. Während Kohl zu seinem Tod auch von vielen politischen Gegnern als Kanzler der Einheit gewürdigt wird, spottete die taz in den Augen vieler Kritiker über den Politiker. Die „taz“ hatte von Kohl nur ein einziges Interview bekommen, als der damalige „Bild“-Chef Kai Diekmann die Zeitung für einen Tag „feindlich übernommen“ hatte.
Die berühmt geworden blumige Redewendung hatte Kohl gesagt, als die Währungsunion am 1. Juni 1990 in Kraft trat. „Durch eine gemeinsame Anstrengung wird es uns gelingen, Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen-Anhalt, Brandenburg, Sachsen und Thüringen bald wieder in blühende Landschaften zu verwandeln.“