Wenn Eltern sich scheiden lassen, getrennt leben oder ihre Kinder in Pflegefamilien untergebracht sind, entscheiden Gerichte wann, wie und wie oft die betroffenen Kinder ihre Eltern sehen sollen. Es geht um das Kindeswohl. Eine neue Studie befragt nun die Kinder, welche Bedürfnisse sie selbst haben.
Berlin.
Wie oft soll das Scheidungskind seinen Vater sehen? Wie viel Nähe zur leiblichen Mutter erlaubt der Staat nach Inobhutnahmen? Sollten Trennungskinder wöchentlich zwischen den Eltern pendeln? Wenn Ämter oder Gerichte den Umgang zwischen Kindern und ihren Eltern regeln müssen, soll das Kindeswohl im Mittelpunkt stehen.
Doch was bedeutet das im Einzelfall? Noch in diesem Jahr will Familienministerin Manuela Schwesig (SPD) nach Informationen unserer Mediengruppe ein Forschungsprojekt starten, um die Lage der Kinder bei Umgangskonflikten besser zu beleuchten.
Jedes Jahr sind in Deutschland rund 150.000 minderjährige Kinder von der Scheidung ihrer Eltern betroffen. Tausende Kinder erleben die Trennung ihrer unverheirateten Eltern. Die Zahl der Inobhutnahmen durch die Jugendämter steigt stetig – 2012 mussten rund 40.000 Kinder aus ihrer Familie geholt werden, davon mehr als 11.500 allein in NRW.
Weniger als die Hälfte dieser Kinder kehrt nach der Inobhutnahme wieder zu den eigenen Eltern zurück. Die meisten wurden außerhalb des Elternhauses untergebracht – in der Regel in Pflegefamilien oder Heimen. Manche musste auch stationär betreut werden – in Kliniken oder Psychiatrien.
Wir wirken Scheidungen der Eltern sich auf Kinder aus?
Doch was heißt das im Alltag für den Kontakt zwischen Kindern und ihren Eltern? Wann hilft Nähe, wann schadet sie? Das Umgangsrecht ist eines der sensibelsten und streitträchtigsten Themen des Familienrechts – mit oft schmerzlichen Folgen für die betroffenen Kinder.
Doch gerade hier klafft in den Augen der Ministerin eine große Lücke: „Es gibt noch keine umfangreichen kinderpsychologischen Untersuchungen, die die Auswirkungen auf das Kindeswohl analysieren“, erklärt ihre Sprecherin. Schwesig will Experten aus Justiz und Rechtswissenschaft, Psychologie und Jugendhilfe sowie aus dem wissenschaftlichen Bereich einbinden.
Der Koalitionspartner unterstützt das: „Wir müssen endlich mehr über das Kindeswohl aus der Perspektive der Kinder wissen“, sagt Marcus Weinberg, familienpolitischer Sprecher der Union. Familiengerichte, Sachverständige, Jugendämter und Politik seien zwar verpflichtet, sich bei ihren Entscheidungen am Kindeswohl zu orientieren. „Die Ansicht, was das Kindeswohl ist und was es tatsächlich positiv beeinflusst, wird zurzeit aber weniger von seriösen Studien als von Mutmaßungen getragen.“
Dies gelte für das oft angeordnete Kontaktverbot nach Inobhutnahmen ebenso wie für das sogenannte Wechselmodell, bei dem Trennungskinder im mehrtägigen Rhythmus mal bei der Mutter, mal beim Vater leben, oder den Umgang mit einem Elternteil gegen den Willen des Kindes. Wichtig sei auch zu erforschen, „welche Bedeutung Elternkontakte für das Kindeswohl haben, wenn das Kind oder der Jugendliche langfristig anderweitig untergebracht ist“.
Forschungsdefizite beim Kindeswohl
Weinberg beklagt „Forschungsdefizite“: In Deutschland fehlten belastbare wissenschaftliche Befunde zu Umgangskonflikten, die nicht die Interessen der Erwachsenen, sondern tatsächlich die Perspektive der Kinder in den Mittelpunkt stellen. Wichtig sei die Frage: Wie geht es den Kindern und Jugendlichen selbst – und zwar „unabhängig davon, was ihre Eltern oder das Jugendamt wollen“.
In Deutschland steht das Kindeswohl immer wieder im Mittelpunkt politischer Debatten – etwa bei der Diskussion um religiös begründete Beschneidungen bei Jungen oder bei der Frage, ob der Staat homosexuellen Lebenspartnern erlauben sollte, gemeinsam ein Kind zu adoptieren. Im Zuge der Aufarbeitung der Missbrauchsfälle in pädagogischen Einrichtungen finanziert bereits das Bundesbildungsministerium ein dreijähriges Forschungsprojekt, das ebenfalls klären soll, was „Kindeswohl“ heute bedeutet.