Nur noch wenige Wochen bis zur US-Wahl am 5. November und das Rennen um das Weiße Haus bleibt weiterhin spannend. Zunächst lag Kamala Harris in den Umfragen vorn, plötzlich aber holt Donald Trump in den Swing States ordentlich auf.
+++ Auch spannend: Kamala Harris hat zwei riesige Probleme – so verliert sie die Wahl gegen Trump +++
Wie kann das sein, dass Trump erneut US-Präsident werden könnte? Zwei Kollegen unseres Politik-Teams rätseln darüber. Einer hat dafür kein Verständnis, der andere kann es zumindest nachvollziehen.
Liebe Amis, wie kann man so blind sein?
Mit seinem Rücktritt ebnete Joe Biden den Weg für Vizepräsidentin Kamala Harris. Sie hat die Chance, die erste afroamerikanische Präsidentin zu werden – sogar die erste Präsidentin überhaupt! Ihre mitreißende Art und ihr Wahlkampf konnten nicht nur in der Partei der Demokraten unzählige Unterstützer sammeln. Viele prominente Stimmen wie Taylor Swift und Beyoncé haben sich öffentlich für sie ausgesprochen.
In ihrem Wahlprogramm verspricht sie Steuersenkungen für die Mittelschicht und setzt sich beim Thema Frauenrechte für Abtreibungen ein. Sie will den Klimawandel bekämpfen, aber sich auch für geringere Energiekosten und eine unabhängige Energieversorgung einsetzen. In der Einwanderungspolitik will die im Vorjahr vom Senat ausgehandelten Verschärfungen im Asylgesetz unterzeichnen.
Das alles sorgt für positive Resonanzen und eine hohe Wählermobilisierung, die sich auch lange in den Umfragen mit Harris an der Spitze widergespiegelt hat. Doch nun droht die bittere Wende. Inzwischen liegt Donald Trump in umkämpften „Swing States“ (also Staaten, die tendenziell eher unentschlossen sind) wie Michigan und North Carolina vorne und steht in den Umfragen wieder an der Spitze.
Vernunft geht in Amerika verloren
Natürlich darf man Donald Trump besonders bei einer US-Wahl nicht abschreiben. Allerdings bekam man zwischendurch den Eindruck, als würden die Amerikaner kurz zu Sinnen kommen und am 5. November mit Harris die Vernunft zum Sieger küren wollen. Viel zu oft ist der Republikaner dagegen mit rassistischen Entgleisungen bei Wahlkampfauftritten oder dem peinlichen TV-Duell („Sie essen Hunde und Katzen“) aufgefallen.
Noch dazu befindet sich Trump in der Rolle, in die er den Präsidenten Joe Biden geschubst hat: der senile, verwirrte Wahlkandidat, dem man keine weitere Amtszeit mehr zutrauen sollte. Mittlerweile tauchten immer häufiger Clips auf, in denen der Republikaner planlos auf der Bühne steht.
Aber sei’s drum: Statt klar für eine moderate Präsidentin zu stimmen, sind sich Amis noch immer uneins darüber, wer die bessere Wahl ist. Trotz allem, was Trump sich erlaubt hat. Dass die Entscheidung zwischen den beiden so knapp ist und der verurteilte (!) Ex-Präsident nun wieder das Ruder herumreißen konnte, leuchtet mir nicht ein.
Alexander Riechelmann
Auch viele Deutsche würden Trump wählen – wir ticken gar nicht so anders
Lieber Kollege, so unerklärlich ist das nicht, dass Donald Trump wieder Erfolg hat. Zum dritten Mal zieht er einen erfolgreichen Wahlkampf durch. Obwohl er 2020 verloren hat, kam er damals auf die zweitmeisten Stimmen, die je ein Präsidentschaftskandidat geholt hat.
Seien wir ehrlich: Auch die Deutschen würden Trump wählen. Wir ticken nicht so anders! Das klingt zunächst paradox, denn in einer Forsa-Umfrage im Sommer kam er nur auf 13 Prozent. Satte 79 Prozent der befragten Deutschen sagten, sie würden Kamala Harris ihre Stimme geben.
Doch schauen wir uns mal seine großen Wahlkampfschlager an: Die Ängste vor Preissteigerungen und vor illegaler Migration. Trump behauptet immer wieder, dass die Lebensmittelpreise unter Biden „explodiert“ seien und trifft damit einen wunden Punkt. Mittlerweile ist die Inflation auch in den USA wieder auf moderate 2,4 Prozent gesunken, viele Wähler haben trotzdem das Gefühl, dass alles stets teurer wird und sie sich immer weniger leisten können.
Diese Angst vor steigenden Preisen treibt auch in Deutschland die Menschen um. In einer neuen Studie von „R+V“ gaben 57 Prozent der Befragten an, dass sie genau davor Sorge haben. Damit liegt die Inflation auf Platz 1 der größten Ängste der Deutschen 2024! Obwohl sie auch hierzulande längst wieder stark gesunken ist.
In den USA gibt es Trump, bei uns AfD und BSW
Und dann Trumps großes Thema illegale Migration. Laut dieser „R+V“-Studie befürchten 56 Prozent der Deutschen eine „Überforderung des Staates durch Geflüchtete“. 51 Prozent sorgen sich um „Spannungen durch Zuzug ausländischer Menschen“. Das sind die Plätze 2 und 4 der größten Ängste der Deutschen laut dieser Studie.
Populistische Parteien wie AfD und BSW bespielen genau diese Ängste. Hinzu kommt Anti-Wokeness, auch eine Gemeinsamkeit dieser Parteien mit Trump. Man ist gegen Regenbogenflaggen an öffentlichen Gebäuden, verachtet das Gendern und will weiter „Zigeunerschnitzel“ sagen dürfen.
In Thüringen kamen AfD und BSW bei der Landtagswahl im September zusammen auf 48,6 Prozent! In Brandenburg und Sachsen gemeinsam jeweils über 42 Prozent. So unerklärlich ist es also auch aus deutscher Perspektive nicht, dass Trump mit all dem wieder Erfolg hat.
Marcel Görmann