Eine Busreise nach Kiew – Teil 3 der Reportage in die kriegsgebeutelte Ukraine.
Als ich gegen Abend am Busbahnhof von Kiew ankomme, ist die Lage entspannt. Ein russischer Raketenangriff vom Morgen hat nicht dafür gesorgt, dass hier zahlreiche Menschen erneut vor dem Krieg in der Ukraine flüchten wollen (hier mehr dazu).
Wie auch, die Busse haben ohnehin nur eine stark begrenzte Kapazität. Und alleine der Fakt, dass ich einige Stunden zuvor noch spontan ein Busticket online buchen konnte, zeigt, dass die Einwohner von Kiew besonnen mit der Situation umgehen. Die meisten werden seit Beginn des Konfliktes viel Schlimmeres erlebt haben. Und so kehren zwar trotz Krieg weiter viele Ukrainer zurück in ihre Heimat, aber nur wenige verlassen das Land.
Ukraine: In den falschen Bus geschickt
Für mich persönlich wird die Situation am Busbahnhof allerdings mehr als chaotisch. Fast scheitere ich auf dem Weg raus dem Krieg in der Ukraine zurück nach Deutschland. Und das schon vor Abfahrt.
Leider wird die Sprachbarriere am Busbahnhof zum Problem. Es gibt nirgendwo eine digitale Anzeigetafel, jedenfalls finde ich keine. Und auch sonst ist viel in ukrainischer Sprache gehalten. Ich muss nachfragen, von welcher Station mein Bus abfährt und begebe mich zu so etwas wie einem Info-Container, der aber vermutlich eher auf das Verkaufen von Tickets ausgelegt ist.
Die Mitarbeiterin darin spricht kein Englisch, schreibt mir den Bussteg für meine Abfahrt aber auf einen Zettel: 34. Als ich dort ankomme, fährt gerade ein Bus ab. Ich sprinte los, halte ihn auf und zeige dem Busfahrer über das Smartphone mein Ticket. Auch er spricht kein Englisch, glaubt aber, dass ich bei ihm richtig sei. „Poland“ und „Zachodnia“ (den Namen vom Busbahnhof in Warschau) sage ich. Zwei Frauen hinter dem Busfahrer bestätigen, dass der Bus jetzt dorthin fährt.
Als ich meine Sachen gerade verstaut habe, kommt allerdings ein weiterer Mitarbeiter angerannt und sagt, ich sei im falschen Bus. Ich müsse jenen an Bussteg 33 nehmen, „the yellow one“ – den gelben Bus. Hastig packe ich meinen Sachen wieder zusammen und sprinte zurück zum Abfahrtsbereich. Auch der Busfahrer vom gelben Bus glaubt, ich sei bei ihm richtig, er müsse das aber prüfen. Nachdem wieder einige Minuten vergangen sind, frage ich am dritten Bus direkt daneben nach. Dort wird das Handyticket ganz genau inspiziert, viel telefoniert. Alles ist unklar. Ist mein richtiger Bus möglicherweise schon längst weg?
Die sehr freundlichen Ukrainer geben meinen Namen in die Zentrale durch. Es dauert und dauert. Dann höre ich zum dritten Mal: Du bist hier richtig. So wirklich darauf vertrauen tue ich aber nicht mehr. Als ich zur Kontrolle meinen Reisepass zeige und einer der Busfahrer meine Nationalität sieht, sagt er schließlich: „Ahh, Germany. Diese Bus sehr gut“. Ich setze mich also rein und warte ab. Was bleibt mir auch anderes übrig.
Ukraine: Tankstelle wird belagert
Genau wie in Polen auf der Hinfahrt steigen auch jetzt fast nur Frauen und Kinder ein. Einen einzigen erwachsenen Mann sehe ich. Ukrainern zwischen 18 und 60 Jahren ist wegen der Generalmobilmachung die Ausreise in der Regel untersagt. Hier und da sehe ich durch das Fenster ein paar Menschen am Busbahnhof in Kiew, die sich zum Abschied innig umarmen, ein Pärchen küsst sich.
18 Stunden Fahrt liegen dieses Mal vor mir bis nach Warschau – das sind noch ein paar mehr als auf der Hinfahrt. Davor hält der Bus noch ein paar Mal in der Ukraine. Vor Kiew sehe ich wieder die zerstörten Tankstellen, Gebäude und abgeknickte Bäume.
Nach vielleicht 200 oder 300 Kilometern steuert der Busfahrer eine intakte Tankstelle an – und sie hat, was dieser Tage wegen der Versorgungsprobleme selten ist, sogar Benzin! Das führt innerhalb kürzester Zeit zu skurrilen Szenen. Denn die Tankstelle wird regelrecht belagert, die Zapfsäulen scheinen außerdem nicht die schnellsten zu sein. Es dauert lange, bis vollgetankt ist. Als wir nach etwa 30 Minuten wieder abfahren, hat sich ein Stau von mehreren hundert Metern auf der Hauptstraße gebildet.
Die Preise sind mit circa 1,80 Euro für Diesel ungefähr auf polnischem Niveau und nur leicht günstiger als in Deutschland.
Ukrainer zoffen sich mehrfach im Bus
Wie auf dem Hinweg schlängelt der Reisebus sich vorbei an Panzersperren und Barrikaden aus Sandsäcken, die Straßen sind ansonsten frei. Als wir in einem kleineren Ort Pause machen, tausche ich mein ukrainisches Geld (Hrywnja) in einer kleinen, unscheinbaren Bude gegen polnische Zloty – zum Tanken in Warschau. Bis nach Polen war ich aus Deutschland mit dem Auto gefahren und dort in den Bus gestiegen.
Bei den Pausen treffe ich immer wieder auf Soldaten an den Busbahnhöfen, die mir von der Seite aus ständig verwunderte Blicke zuwerfen. Vielleicht halten sie mich für einen Ukrainer und wundern sich, dass ich unbeschwert durch die Gegend reise, anstatt wie sie in der Armee zu dienen. Damit, dass Deutsche freiwillig durch ihr Land reisen, rechnen sie verständlicherweise wohl nicht.
Zerstörung sehe ich außerhalb des Speckgürtels von Kiew nicht. Immer wieder fallen mir museumsreife Busse auf den Straßen auf.
Zwei Mal kommt es in unserem Bus zu einem sehr lautstarken und aggressivem Streit. Der einzige erwachsene Mann an Bord und seine Begleiterin zoffen sich minutenlang mit zwei anderen Frauen. Ich weiß nicht worüber, polnische Freunde können es mir nicht übersetzen, es muss Ukrainisch sein.
Immer wieder fallen Worte wie „Ukrainski“ – es wird wahrscheinlich um den Krieg gehen. Resultat des Streits ist, dass sich eine der Frauen neben mich setzt und mit dem Jungen, der zuvor dort saß, tauscht. Somit sind ein paar Meter Abstand zwischen den Streithähnen und es herrscht Ruhe.
Ein wenig erinnern mich die Gebäude an den Hauptstraßen in der Ukraine an Vietnam: Ein eher grauer, dunklerer Touch, der oft von Werbetafeln und Ähnlichem in schrillen Farben unterbrochen wird. Als die Nacht hereingebrochen ist, steuern wir wieder auf die polnische Grenze zu. Kurz davor sehe ich immer wieder Polizei, die Autos anhält und kontrolliert.
+++ Ukraine-Krieg: Diese Frau flieht in ein neues Leben – doch Putins Schergen sind überall +++
Grenze Ukraine/Polen: Lange Staus in beide Richtungen
Die Grenzabfertigung wird zur Nervenprobe. Waren wir auf der Hinfahrt aus Polen in die Ukraine an einem kleinen Übergang mit drei Stunden Wartezeit noch gut weggekommen, so gestaltet sich die Rückreise am „großen“ Übergang Jahodyn/Dorohusk deutlich schwieriger. Ich weiß nicht, wie lange es letztlich gedauert hat, aber es waren mindestens sechs Stunden. Wahrscheinlich sogar mehr.
Eine findige Frau verkauft vor der Grenze im Dunkeln von einem Trolley aus Kaffee und scheint ein gutes Geschäft zu machen. Neben ihr huscht immer wieder ein Welpe durch die Nacht und rennt teilweise direkt vor die vielen Lkw, die vor unseren Bus geleitet werden und durch die Kontrolle dürfen. Manche von ihnen warten hier tagelang, haben beispielweise wertvolles Weizen geladen, das so wichtig ist für die Ernährung der Weltbevölkerung.
Auch ein paar geschlossene Container stehen herum, in denen zum Beispiel medizinische Hilfe angeboten wird. Oder eher wurde. Die Zeit der großen Flüchtlingsbewegungen ist vorbei.
Als mein Bus nach Stunden endlich an der Reihe ist, heißt es aussteigen. Das mussten wir auf der Hinfahrt nicht. Das Gepäck wird wie am Flughafen in einer Kontrolle gescannt. Nur zwei Grenzsoldaten sind mit uns im Raum. Als einer von ihnen anschließend die Pässe kontrolliert, werde ich rausgezogen. Ich bin der einzige Nicht-Ukrainer an Bord. „Nur Englisch“, sage ich, was meinem Gegenüber die Lust auf die Kontrolle zu vermiesen scheint. „Uff“, ächzt er.
Dann stellt er ein paar Fragen: Was habe ich in der Ukraine gemacht, habe ich rumliegende Munition als Souvenir mitgenommen, rauche ich oder habe ich gar geschmuggeltes Kokain im Rucksack? Als ich angesichts der Fragen etwas lachen muss und anbiete, meinen großen Rucksack zu öffnen, verneint der Grenzsoldat und schickt mich wieder in den Bus.
>>> Alle Entwicklungen zum Krieg in der Ukraine findest du hier im Liveblog
Auch auf der polnischen Seite dauert es dann nochmal quälend lange. Mittlerweile ist es hell und früh am Morgen. Für die Ankommenden haben polnische Hilfsorganisationen an einem Stand Essen und Trinken bereitgestellt. Ich nehme nichts davon, ich bin kein Flüchtling oder in Not.
Als es endlich weitergeht, sehe ich das letzte Mal Auswirkungen dieses schrecklichen Angriffskrieges von Russland auf die Ukraine: Auch auf der polnischen Seite stehen mindestens zehn Kilometer lang Lkw in der prallen Sonne und warten auf ihre Abfertigung. In sechs Stunden wie wir wird es keiner von ihnen schaffen.