SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich sorgte am Donnerstag für Aufsehen. Der Vorsitzende der größten Ampel-Koalition warb um einen neuen Ansatz im Ukraine-Krieg. Er fragte das Parlament: „Ist es nicht an der Zeit, dass wir nicht nur darüber reden, wie man einen Krieg führt, sondern auch darüber nachdenken, wie man einen Krieg einfrieren und später auch beenden kann.“
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„Krieg einfrieren“ – was könnte damit gemeint sein und wie realistisch ist das? Unsere Redaktion hat zwei Experten gefragt. Professorin Dr. Nicole Deitelhoff arbeitet am Leibniz-Institut für Friedens- und Konfliktforschung in Frankfurt am Main, ihr Kollege Professor Dr. Stefan Peters an der Universität Gießen.
Blutvergießen in der Ukraine könnte zumindest gestoppt werden
Aus Sicht von Professorin Deitelhoff hätte ein „Einfrieren“ des Ukraine-Krieges den großen Vorteil, dass weitere Opfer an der Front und in der Zivilbevölkerung verhindert werden. Sie gibt aber zu bedenken: „Mittel- und langfristig ist ein Einfrieren nur dann sinnvoll, wenn es dazu genutzt wird, entweder eine diplomatische Lösung zu erzeugen oder aber sich sicherheitspolitisch so auszurüsten, dass man noch größeren Bedrohungen gewachsen ist.“
Ähnlich sieht das Professor Peters. Durch den Einfrieren-Ansatz lasse sich zwar das Blutvergießen stoppen, „allerdings stellt sich die Frage, ob eine tatsächliche Friedensabsicht vorhanden ist“ oder ob nicht nur eine „Atempause“ zur militärischen Aufrüstung genutzt werden soll. „Zudem müssen die weiteren internationalen Implikationen beachtet werden, wenn etwa Verletzungen des Völkerrechts faktisch akzeptiert werden“, gibt Peters zu bedenken.
Einffrieren von Kriegen: Hat das schon mal funktioniert?
Die Konflikt- und Friedensforscherin Deitelhoff warnt: „Die meisten eingefrorenen Konflikte und insbesondere solche, in denen dritte Parteien eine Rolle spielen, haben sich als instabil, erwiesen. Das gilt für Armenien und Aserbaidschan, für Moldawien und für Georgien.“ Auffällig: Das sind allesamt Konflikte, an denen Russland beteiligt ist!
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„In all diesen Konflikten gibt es keinen Frieden, sondern bestenfalls ein Abwarten. Die jeweiligen Rumpfstaaten haben sich kaum volkswirtschaftlich oder politisch entwickeln können, angesichts der dauerhaften Bedrohungslage und des Abschneidens von Ressourcen oder Handelswegen“, analysiert die Wissenschaftlerin. Das wäre für die Ukraine ein verheerendes Szenario!
Südkorea als Muster für die Ukraine?
Es gibt auch ein positiveres Muster für einen Weg zum Frieden in der Ukraine. Deitelhoff und Peters nennen beide als Beispiel den Korea-Krieg. Hier bestehe die Konstellation über Jahrzehnte fort, auch wenn sie fragil bleibt, so der Professor aus Gießen.
Auch Deitelhoff kommt zum Urteil, dass „die Gefahr einer Eskalation immer im Raum steht“. Das Beispiel Südkorea zeige aber, was mindestens nötig sei, damit der positive Nutzen eines Einfrierens überwiegt: „Stabile Abschreckung und das Sicherstellen der ökonomischen Überlebensfähigkeit des Rumfstaates.“ Die USA als mächtiger Drittstaat und militärischer Unterstützerin Südkoreas spielt dabei eine große Rolle.
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Der Korea-Krieg ist seit 1953 beendet und seit den 1990er-Jahren ist Südkorea eine stabile parlamentarische Demokratie. Das Land hat sich zu einem hochmodernen Industriestaat entwickelt, mit großen Unternehmen wie Samsung oder Hyundai, und gehört zu den G20-Staaten.