Der Ukraine-Krieg verändert Europa nachhaltig. Bis jetzt hat der grausame Konflikt kein Ende gefunden. Immer noch müssen viele Menschen die Ukraine verlassen, um zu überleben.
Eine von ihnen ist Tanja Davydova. Die 36-Jährige arbeitet in der IT-Branche und war vor dem Krieg in einer deutschen Firma, die einen Standort in der Ukraine hat, tätig. Tanja Davydova war glücklich mit ihrem Leben in Charkiw, bis die unvergessliche Nacht kam und ihr Leben für immer veränderte.
Für MOIN.DE traf ich die Frau, für die „ihr Outift lange die größte Sorge war, und die nun um ihr Leben rennt.“
Ukraine-Krieg: Es scheint kein Entrinnen zu geben
Als ich in Polen im Reporter-Einsatz war (wir berichteten), lernte ich Tanja kennen. Sie kam am Warschauer Hauptbahnhof an – völlig überfordert und ängstlich. Ihr kleiner Chihuhua Til genau so. Zu diesem Zeitpunkt hatte sie bereits schreckliche Erlebnisse hinter sich.
„Ich wachte erschüttert um 4.30 Uhr durch irgendwelche ungewöhnlichen Geräuschen auf, ich bekam Panik und rannte zu meinem Bruder. Er sagte zu mir: ‚Tanja, pack deine Sachen ein, der Krieg hat begonnen‘. Ich konnte es nicht fassen, ein Krieg in Europa? Im Jahr 2022?“ erzählt sie.
Tanja Davydova wohnte im neunten Stock eines Hochhauses, später sah sie das Ergebnis des Angriffes, der sie und ihren Bruder geweckt hatte. „In Charkiw wurden zuerst die militärischen Punkte zerbombt, dann wurde alles angegriffen: Häuser von Zivilisten, Schulen, alles. Meine ehemalige Schule wurde komplett zerstört, sie überlebte den zweiten Weltkrieg, aber nicht Putins-Krieg“, so die 36-Jährige.
Mit der Zeit wurde es nur noch gefährlicher für die Menschen vor Ort. Russische Truppen waren schon in der Stadt, Davydova bekam Angst: „Ich sah einen russischen Militärwagen in meinem Bezirk, da bekam ich wirklich Panik und wollte sofort raus. Egal wohin, ich wollte nur raus, weg von den Bomben, und weg davon, dass jemand in meine Wohnung kommen kann und mich tötet.“
Ukraine-Krieg: Sie musste sich verstecken
Der Krieg veränderte nicht nur das Leben der Menschen in Ukraine, sondern auch das deren Familien im Ausland. Tanjas Onkel rief sie aus Russland an und sagte: „Alles gut bei euch? Wartet ein paar Tage und ihr werdet von Nazis frei sein, niemand wird zivile Häuser abschießen“. Das machte sie fassungslos: „Man wird von den Russen attackiert und muss sich von einem Familienmitglied so einen Scheiß über Nazis anhören. Die Menschen in Russland sind massiv von der Propaganda im Land beeinflusst.“
Die letzte Nacht in Charkiw sei die schrecklichste Nacht ihres Lebens gewesen, erzählt Davydova. Die Bomben schlugen ganz in der Nähe ein, Kampfjets kämpften über der Stadt. Tanja konnte nicht mehr in der Wohnung bleiben: „Meine Familie und ich gingen in die Garage. Papa, Bruder, ein Bekannter und ich versuchten auf den Stühlen zu übernachten. Til war auch dabei. In dieser Nacht dachte ich mir: Das werden wir nicht überleben.“
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Ukraine und Russland im Vergleich:
- Die Ukraine hat rund 41,8 Millionen Einwohner und eine Fläche von 576.800 Quadratkilometern (jeweils abzüglich der von Russland annektierten Krim)
- Mit einem Bruttoinlandsprodukt von 155 Milliarden US-Dollar lag die Ukraine im Jahr 2020 auf Platz 58 der Welt
- Die Russische Föderation hat eine Bevölkerungszahl von rund 146,8 Millionen sowie eine Fläche von 17.102.344 Quadratkilometern (jeweils mit der annektierten Krim)
- Das Bruttoinlandsprodukt lag im Jahr 2019 bei 1.702 Milliarden US-Dollar und damit auf dem weltweit elften Platz
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Ukraine-Krieg: Der Weg nach Deutschland
Doch sie überlebten alle. Am nächsten Tag verließ die 36-jährige ihre Heimatstadt und fuhr mit einer Freundin in Richtung Westen. Deutschland war ihr Ziel, da sie bereits Deutsch spricht und immer eine Verbindung zu Deutschland spürte, wie sie sagt. Sogar ihren Hund benannte sie nach dem Schauspieler Til Schweiger.
Tanja Davydova musste sich von Charkiw, der Stadt, in der sie so lange lebte, verabschieden. Verbrannte und zerbombte Gebäude, zerstörte Autos waren das letzte, was sie sah. „Es war wie eine Actionfilm-Szene“, sagt sie. Da wusste sie noch nicht, was sie später noch erleben sollte.
Der Hauptbahnhof in Charkiw war überfüllt, Kinder und Erwachsene übernachteten seit Tagen auf dem Boden. „Das war ein schreckliches Bild. So was kannte ich nur aus Horror-Filmen“, erzählt sie uns.
Ukraine-Krieg: Sie dachte, das wäre ihr letzter Tag
Die Fahrt durch die Hölle dauerte rund einen Tag, sie und ihre Freundin mussten über Kiew mit dem Zug nach Lwiw fahren. „Als wir uns Kiew näherten, wurde genau zu dieser Zeit das Umfeld des Bahnhofes bombardiert. Der Zug musste die Fahrt stoppen, alle Lichter wurden ausgeschaltet, alle Fenster geschlossen und niemand durfte sein Handy anmachen.“
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Sie erzählt weiter: „Ich dachte, das wäre mein letzter Tag. Ich sagte mir: Mein Leben kann nicht so enden, jetzt, auf halbem Weg in ein neues Leben, erwischen sie mich‘. Ich betete zu Gott, dass ich verschont bliebe.“
Sie kam unversehrt in Lwiw an. Dort gab es zwar großes Chaos, aber zum Glück keine Bomben. Wenige Tage später fuhr sie zur Grenze, dort mussten alle Menschen im Freien lange in einer Schlage warten. „Es war Winter, es war sehr kalt. Ich wusste nicht mehr, wie ich alles ertragen konnte. Aber es gab keinen anderen Weg, ich musste die Grenze zu Fuß überqueren.“
Um Deutschland zu erreichen, mussten sie über Warschau fahren. „Am Hauptbahnhof kriegte ich Panik überall waren lange Schlangen. Niemand sprach Englisch, ich wollte weinen wie ein kleines Mädchen.“ sagt sie. Doch sie fand ihren Weg.
Ukraine-Krieg: Große Enttäuschung in Deutschland
Inzwischen hat Tanja Davydova Stuttgart erreicht, die Stadt, in der auch ihr damaliger Arbeitgeber sitzt. „Das Unternehmen in Stuttgart hat mich sehr unterstützt, obwohl ich keinen deutschen Vertrag bekommen habe. Was auch gut ist, wenn man etwas verliert, bekommt man etwas Besseres“, sagt Davydova.
Davydova vermutet, ihr Deutsch sei nicht genug, um einen Vertrag zu bekommen. Wohl auch eine Frage der Bezahlung, denn in der Ukraine bekam sie ihr Gehalt in Hrywnja anstatt in Euro – unterm Strich deutlich weniger Geld als in Deutschland.
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Nach mehreren Vorstellungsgesprächen bekam sie endlich eine Zusage von einer großen Firma in München.
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Inzwischen hat Tanja Davydova ihr neues Leben in München begonnen. Wie lange sie dort bleiben muss, ist noch unklar. Sie ist dort zufrieden, aber noch nicht glücklich, weil der Krieg in ihrem Land immer noch tobt. „Ich will wieder mein langweiliges Leben zurückhaben, aber das Leben wird nie, wieder wie vorher sein“, sagt sie.