Der Ukraine-Krieg sorgt für Entsetzen und Erschütterung mitten in Europa. Während der russische Machthaber Wladimir Putin seinen Angriffskrieg ohne Gnade fortführt, hält die Ukraine um Präsident Wolodymyr Selenskyj den Feinden seit über einer Woche Stand – doch wie lang hält der Staat noch durch?
Und was passiert, wenn Putin schließlich triumphieren würde? Darüber hat diese Redaktion mit dem Politologen Johannes Varwick von der Universität Halle gesprochen.
Ukraine-Krieg: Politologe hält Putin-Sieg für sicher – „Wir sind noch lange nicht an dem Spektrum, was Russland kann“
Der Professor für Politikwissenschaften zeichnet eine bittere Prognose für den Ukraine-Krieg: „Dass Putin diesen Konflikt militärisch gewinnt, halte ich für 100 Prozent sicher.“
Russland habe die Mittel, „nach Belieben zu eskalieren“ – und noch jede Menge Möglichkeiten. Der Ukraine-Krieg dauert noch keine zwei Wochen, doch Russland hat bereits „die ganze Welt gegen sich“. Wladimir Putin und seine Regierung haben demnach zu viel investiert, als dass ein Kompromiss von Seiten des Kreml noch möglich wäre.
Statt Einlenken bleibt also nur Eskalation, so Varwick: „Die Frage ist, wie weit eskaliert werden muss, da gibt es militärische Varianten von Vakuumbomben bis Nuklearwaffen. Wir sind noch lange nicht an dem Spektrum, was Russland kann.“
Diese Situation wird laut dem Politologen dazu führen, „dass die ukrainische Regierung fällt“. Sie werde sich ergeben müssen oder „im physischen Sinne“ vernichtet. Auch eine Evakuierung der Regierungsvertreter um Wolodymyr Selenskyj durch die Amerikaner oder die Franzosen mit einer anschließenden Exil-Regierung, zum Beispiel in Berlin, sei aktuell denkbar. „Aber eine Option davon wird eintreten“, so der Professor der Universität Halle deutlich, „und das wird nicht Monate dauern.“ Schon jetzt schreitet der Krieg in unheimlichen Tempo voran, „die Schraube wird durch Russland jeden Tag gedreht“.
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Ukraine-Krieg: „Den Krieg wird Russland gewinnen, aber den Frieden in der Ukraine nicht“
Aber: Der Sieg Putins heißt nicht, „dass dann die Ukraine gewissermaßen russisch besetzt ist und alles ist gut. Sondern dann fangen die Probleme für Russland eigentlich erst an.“ Anschließend würde ein Partisanenkrieg in der Ukraine ausbrechen, es käme zu einem lang anhaltenden Widerstand der Bevölkerung in der besetzten Ukraine. „Den Krieg wird Russland gewinnen, aber den Frieden in der Ukraine wird Russland nicht gewinnen“, stellt Johannes Varwick im Gespräch mit dieser Redaktion klar.
Für die ukrainische Zivil-Bevölkerung bleibe nach dem Kriegs-Triumph Putins ein „Terror-Regime“ mit „Marionetten-Regierung.“ Doch laut Varwicks ist das „in einer Situation, in der wir nur schlechte Optionen haben, das bessere Szenario“, da das Russen-Regime die Ukrainer nicht vollends gegen sich aufbringen wollen würde. In der aktuellen Kriegs-Lage werden dagegen Zehntausende oder Hunderttausende tote Zivilisten riskiert.
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Ukraine-Krieg: Das bedeutet der Putin-Sieg für die Nato
Doch was können Deutschland, Europa und die Welt angesichts dieser bitteren Prognose jetzt noch tun? „Aus westlicher Sicher kommt es jetzt darauf an, die Frontlinie zu stabilisieren“, die zu Nato-Territorium gehört (darunter Polen, Rumänien, Bulgarien), denn: „Wenn die Nato nicht in der Lage ist, ihr eigenes Territorium zu schützen, dann haben wir einen dritten Weltkrieg, der von Europa ausgeht.“
Um dieses „Albtraum-Szenario“ zu verhindern, müsse das internationale Verteidigungsbündnis Präsident Putin klar machen – bis zur Ukraine und nicht weiter. Das bedeutet laut Experte Varwick: „Öffentlich oder nicht-öffentlich zu signalisieren, ‚Nato-Territorium, da meinen wir es ernst, da würden wir einen Krieg mit euch riskieren, aber in der Ukraine meinen wir es nicht so ernst, da haben wir akzeptiert, dass ihr die Dinge tut, die ihr für richtig haltet. Wir verurteilen das politisch, sanktionieren euch dafür ökonomisch, aber greifen militärisch nicht ein.’“
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Ukraine-Krieg: Das bedeutet der Putin-Sieg für Deutschland
Deutschland steht klar auf Seite der Ukraine, liefert auch Waffen. Aus Sicht des Politologen ist das allerdings „keine gute Idee“, weil es einen nicht zu gewinnenden Krieg verlängert. Stattdessen müsse Deutschland daran arbeiten, den diplomatischen Kontakt zu Russland aufrecht zu erhalten, um den gegenwärtigen Konflikt einfrieren zu lassen – ähnlich wie beim Kalten Krieg.
„Da hatten wir einen Gegner, den wir im Prinzip verachtet haben, den wir ideologisch abgelehnt haben, den wir ganz schlimm fanden, aber mit dem wir trotzdem geredet haben“ – genauso müsse Deutschland jetzt und auch in Zukunft handeln. „Mit Putin, da werden wir keine Option mehr haben, aber Russland ist groß und bleibt da und es gibt auch viele Kontakte, die wir jetzt nicht alle abbrechen sollten.“
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Abgesehen davon bezieht Deutschland rund 55 Prozent seines Gas-Verbrauchs aus Russland, „und wir werden auch weiter Energie aus Russland beziehen, das ist die bittere Realität.“ Deutschland wäre sonst ökonomisch so beeinträchtigt, dass unser Wirtschafts- und Sozialsystem nicht mehr funktionieren würde.
Ukraine-Krieg: „Dieses Russland wird keine Freunde haben“
Auch wenn Putin auf den ersten Blick im Ukraine-Krieg gewonnen haben sollte, auf Dauer ist das Vorgehen von Russland „eine schlechte Lage, wo Russland auch nichts gewinnen kann“, stellt Experte Johannes Varwick klar. „Dieses Russland wird natürlich keine Freunde haben“, weder im Westen, noch in der Ukraine – wenn Putins Linie weiter geführt wird, wird Russland ein riesiges Problem haben, das auch auf lange Sicht teuer wird.
Das wird wiederum zu einem Wandel in der Kreml-Politik führen – doch ob das in fünf, zehn oder 30 Jahren passieren wird, ist laut Varwick völlig unklar. Der schreckliche Ukraine-Krieg lässt sich in jedem Fall wohl nicht mehr deeskalieren.