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Ukraine-Krieg: Warum wollen so viele Männer nicht kämpfen?

Die Ukraine will mit zwei neuen Gesetzen zur Mobilmachung die Armee stärken. Warum wollen so viele Ukrainer nicht kämpfen?

Soldaten der Ukraine in Kiew.
u00a9 Foto:u00a0dpa

Putin: Frieden erst nach "Entmilitarisierung" der Ukraine möglich

Der russische Präsident Wladimir Putin hat die militärischen Ziele Moskaus im Ukraine-Konflikt bekräftigt. "Es wird Frieden geben, wenn wir unsere Ziele erreicht haben", sagte Putin bei seiner Jahresabschluss-Pressekonferenz in Moskau. Russland wolle mit seiner im Februar 2022 gestarteten Offensive weiterhin "die Entnazifizierung und Entmilitarisierung der Ukraine und ihren neutralen Status" erreichen.

Die Ukraine steht an einem kritischen Wendepunkt ihrer Verteidigungspolitik im russischen Angriffskrieg. Mit zwei neuen Gesetzesentwürfen zur Mobilmachung, die nun dem Parlament vorliegen, strebt Regierungschef Denys Schmyhal eine deutliche Stärkung der Armee an.

Ziel ist es, die Einberufungszahlen deutlich zu erhöhen, indem die Altersgrenze für Reservisten gesenkt und die Regeln für die Wehrpflicht verschärft werden. Allerdings werden nach wie vor nur Männer eingezogen. Doch während die Regierung auf diese Weise rund 400.000 junge Männer mobilisieren will, herrscht bei vielen große Skepsis. Auch der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj bezeichnet die Mobilmachung als „teure und politisch heikle Frage“.

„Es geht um Gerechtigkeit“

Pawlo Klimkin, der ehemalige ukrainische Außenminister, spricht im Interview mit dem „Deutschlandfunk“ offen über die Herausforderungen und die Widerstände gegenüber der neuen Wehrpolitik: „Die Frage der Mobilisierung ist die Frage der Gerechtigkeit, nicht die Frage des Kampfgeistes. Es geht darum, ob man es als fair oder unfair empfindet. Die Bedingungen, mit denen mobilisiert wird, sind das Hauptproblem“, so Klimkin.

Denn es sind mehrere Fälle bekannt, in denen sich Personen mit Geld von der Wehrpflicht freikaufen konnten, was die Diskussionen um Gerechtigkeit weiter anfacht.

Strengere Regeln und Drohungen

Die neue Regelung sieht vor, dass die Altersgrenze bei den Reservisten von 27 auf 25 Jahre gesenkt wird. Zudem soll die Regierung sicherstellen, dass alle Männer im wehrpflichtigen Alter im Wehrregister gemeldet sind. Bei Missachtung drohen harte Sanktionen: Beschlagnahmung von Autos, Kontosperren, Verlust der Kreditwürdigkeit und sogar Freiheitsstrafen. Klimkin äußert sich dazu: „Ich finde es nicht gut oder schlecht. Ich empfinde es als eine Art Pflicht für alle in Zeiten des Krieges“.

Die Rolle der im Ausland lebenden Ukrainer

Ein besonders brisantes Thema sind die im Ausland lebenden wehrpflichtigen Ukrainer. Sie sind vor dem Krieg geflüchtet und müssten nach dem neuen Gesetzesentwurf an die Front in der Ukraine zurückkehren. In Deutschland leben rund 200.000 Ukrainische Männer – ob sie nun einen Einberufungsbefehl bekommen, ist Klimkin nicht ganz klar. So sagt er: „Wir werden sehen, was das neue Gesetz vorschreibt. Es gibt Gerechtigkeit für alle. Wenn alle es leisten sollen, dann auch buchstäblich alle.“

Klimkin unterstreicht die Bedeutung der Gerechtigkeit für den Kampfgeist in der Ukraine: „Die Männer sollen da sein und für unser Land kämpfen. Wenn die vor Ort es machen und Männer im Ausland nicht. Und ohne die Gerechtigkeit funktioniert auch der Kampfgeist in der Ukraine nicht.“

Droht Ukrainern Haftstrafe?

Doch was passiert, wenn sich die Männer im Ausland weigern und später wieder in die Ukraine zurückkehren wollen? „Das kann ich nicht sagen, das verständigt die Frage, wie man das neue Gesetz formuliert. In unserer Gesellschaft existiert schon eine ganz kritische Stimmung zu denjenigen, die im Moment im Ausland sind.“ Auch eine Haftstrafe kann er auf Nachfrage nicht ausschließen – auch wenn er dies als kritisch einordnet.



Ein Balanceakt zwischen Pflicht und Freiheit

Die neue Wehrpolitik der Ukraine stellt einen schwierigen Balanceakt dar. Einerseits versucht die Regierung, ihre Streitkräfte in einer Zeit der Not zu stärken, andererseits muss sie sich mit der wachsenden Besorgnis und dem Widerstand gegenüber Zwangsrekrutierungen auseinandersetzen.

Die Äußerungen von Klimkin zeigen, dass es in dieser Debatte nicht nur um militärische Stärke, sondern auch um grundlegende Fragen von Gerechtigkeit und Demokratie geht. Wie die ukrainische Gesellschaft und die im Ausland lebenden Ukrainer auf diese Herausforderungen reagieren werden, bleibt abzuwarten.