Zwischen Migrationspolitik und Wirtschaftslage sind im Wahlkampf um die Bundestagswahl 2025 einige Themen hinten runtergefallen. Eines davon ist die Legalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen. Diese durchzusetzen, sind die Ampelparteien gescheitert – und auch nach dem Koalitionsbruch bleibt der Paragraf 218 im Strafgesetzbuch (StGB) bestehen.
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Bislang sind Abtreibungen bis zur zwölften Woche nicht legal, aber straffrei – solange sie vor der zwölften Woche durchgeführt werden, die Schwangere ein Beratungsgespräch durchläuft und danach eine dreitägige Frist abwartet. Die Legalisierung ist nun vorerst gescheitert, denn der Rechtsausschuss des Bundestags hat sich gegen eine Zulassung der Abstimmung im Bundestag entschieden. Nach den Neuwahlen kann erneut über einen Gesetzesentwurf abgestimmt werden – wenn die Parteien das wollen. Das ist allerdings keineswegs sicher, liest man die Wahlprogramme.
Mediziner schlagen Alarm: „Wir fühlen uns wie Verbrecher!“
Die 328 Abgeordneten von SPD, Linken und Grünen wollten Schwangerschaftsabbrüche bis zur zwölften Woche außerhalb des Strafgesetzbuches regeln. Eine Expertenkommission verschiedener Expertinnen hatte im April eine entsprechende Empfehlung abgegeben. Doch was würde eine Legalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen für die Frauen konkret bedeuten? Darüber hat unsere Redaktion mit Prof. Mandy Mangler, Chefärztin in der Klinik für Geburtsmedizin im Vivantes Klinikum in Berlin, gesprochen.
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Sie findet die aktuelle gesetzliche Regelung alles andere als zeitgemäß. „Der Paragraf 218 stammt von 1871, als Deutschland noch ein Kaiserreich war. So richtig weiterentwickelt haben wir uns seitdem aber nicht.“ Die Platzierung des Gesetzes im Strafgesetzbuch belaste viele Betroffene und auch Mediziner stark. Man fühle sich, als ob man etwas Unrechtmäßiges tue, „etwas wie Diebstahl oder Körperverletzung. Das macht ein ungutes Gefühl“, beschreibt die Gynäkologin die Situation, die täglich hunderte Frauen und ihre Ärzte erleben.
Verschiedene Studien kommen zu dem Ergebnis, dass betroffene Frauen sich oft schuldig fühlen, wenn sie den Wunsch nach einem Schwangerschaftsabbruch haben. „Nicht aus sich selbst heraus, es wird vielmehr von außen durch Aspekte wie dieses Gesetz an sie herangetragen.“ Und auch Gynäkologen hätten Probleme. Denn im Moment seien die Kriterien, unter denen eine Abtreibung straffrei ist, „bewusst schwammig gehalten“.
„Ich als Ärztin weiß zum Beispiel nicht, was mit den drei Tagen im Gesetz gemeint ist. Sind das drei Arbeitstage, sind das 72 Stunden oder geht es um Kalendertage?“ Man habe deshalb als Medizinerin bei so einem Eingriff immer das Gefühl, „mit einem Bein im Gefängnis zu stehen“. Viele bieten den Eingriff deshalb gar nicht erst an. „Das hängt auch damit zusammen, dass Praxen, die offiziell melden, dass sie Schwangerschaftsabbrüche durchführen, direkt von Abtreibungsgegnern belagert und beschimpft werden.“
Abtreibung bleibt Straftat: So läuft es mit dem Gesetz von 1871
Laut dem Statistischen Bundesamt hat sich die Zahl der Praxen und Krankenhäuser, die den Eingriff anbieten, zwischen 2003 und 2021 fast halbiert. Gab es Anfang der 2000er bundesweit noch 2.030 Einrichtungen, die die Leistung anboten, waren es 2021 nur noch 1.092.
Doch das Abschaffen des Abtreibungsverbots gäbe allen Beteiligten mehr Sicherheit, so Mangler. „Schwangerschaftsabbrüche würden von etwas Illegalem zu einer medizinischen Leistung werden. Es würde den Vorgang normalisieren“, so die Chefärztin aus Berlin. Damit würde nicht nur die Anzahl der Arztpraxen wieder steigen, sondern viele Frauen und Ärzte würden aus der „Schmuddelecke“ herauskommen. Man könnte das gesellschaftliche Stigma auf diese Art und Weise brechen.
Zusätzlich würde die finanzielle Belastung sinken. Eine Abtreibung kostet im Schnitt ungefähr 600 Euro. Durch eine Legalisierung könnte es zu einer Kostenübernahme durch die Krankenkassen kommen. So „würde die Barriere für Menschen, die nicht viel Geld haben, sinken.“
Zur Regelung in Deutschland sagt die Ärztin: „Das ist Mittelalter.“ Im Vergleich zu anderen europäischen Ländern wie Frankreich, wo das Recht mittlerweile im Grundgesetz steht, bleibe Deutschland mit der aktuellen Regelung weit hinter seinen Möglichkeiten.
Mangler fordert: „Ich erwarte von der nächsten Bundesregierung, dass sie endlich die These aufgreift, dass Frauen auch Menschen sind und sie damit ein Recht auf Selbstbestimmung über ihren Körper haben.“ Zusätzlich möchte sie, „dass die wahnwitzige Idee abgeschafft wird, dass politisch reglementiert wird, wie ich mit meiner ungeplanten Schwangerschaft und meiner Gebärmutter umgehe.“
Abtreibungen legalisieren? Das steht in den Wahlprogrammen
Ob die Legalisierung stattfindet, wird die Zusammensetzung des neuen Bundestages nach den Neuwahlen zeigen. Ein Blick in die Parteiprogramme verrät: Das könnte in die Binsen gehen. Dass der Gesetzesentwurf, der von SPD, Grünen und Linken gestützt wurde, nicht zur Abstimmung freigegeben wird, liegt daran, dass eine Sondersitzung des Ausschusses nötig gewesen wäre. Für diese gab es unter anderem wegen Union und FDP keine Mehrheit.
Der CDU-Rechtspolitiker Günter Krings nannte den Entwurf zur Legalisierung von Abtreibungen „unvereinbar mit den Maßstäben, die das Bundesverfassungsgericht für eine Regelung des Schwangerschaftsabbruchs festgelegt hat“. Ähnlich klingt das aus dem CDU-Wahlprogramm. Laut diesem will die Union an der aktuellen Rechtslage zum Schwangerschaftsabbruch gemäß § 218 des StGB festhalten.
Diese Regelung stellt aus Sicht der CDU/CSU einen gesellschaftlichen Kompromiss dar, der sowohl das Selbstbestimmungsrecht der Frau als auch den Schutz des ungeborenen Lebens berücksichtigt. Die Basis der Christdemokraten, die traditionell näher an der katholischen Kirche steht, sieht eine liberale Handhabung der Abtreibungsgesetze eher kritisch. Dabei äußerten sich laut einer Umfrage von RTL und ntv 62 Prozent der Katholiken positiv über eine Legalisierung – bei den Protestanten sogar 75 Prozent.
AfD: Frauen sollen gezwungen werden, Bilder des Fötus anzusehen
Doch auch die AfD ist laut Wahlprogramm entschieden gegen eine Legalisierung. Sie findet sogar, der Zugang sollte nur im Falle von kriminologischer oder medizinischer Indikation möglich sein. Außerdem findet die Weidel-Partei, dass zu viele Abtreibungen vorgenommen würden, und fordert, dass bei Beratungsgesprächen mehr Augenmerk auf den Fötus gelegt werden solle.
Im AfD-Wahlprogramm heißt es dazu: „Die verpflichtende Schwangerschaftskonfliktberatung ist in vielen Fällen zu einem formalen Verwaltungsakt verkümmert und befördert eine Bagatellisierung dieses schwerwiegenden Eingriffs. Sie muss stattdessen dem Schutz des ungeborenen Lebens dienen.“
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Zu diesem Zweck will die AfD die Frauen während der Beratungsgespräche zwingen, sich Ultraschallbilder der Föten anzusehen.
Anders sehen das SPD, Grüne und Linke, die den nun gescheiterten Gesetzentwurf bereits im Herbst 2024 als Gruppenantrag eingereicht hatten. Im Grünen Wahlprogramm wird zusätzlich gefordert, dass die Kosten für den Eingriff von der Krankenkasse übernommen werden sollen. Außerdem fordern sie im Wahlprogramm – wie auch SPD und Linke –, die Versorgungslage zu verbessern, indem mehr in entsprechende Einrichtungen investiert werden soll. Die 12-Wochen-Fristenregelung, wie sie im Moment besteht, stellt keine der Parteien in Frage.