Sterbehilfe für Todkranke ist seit Jahren ein Thema. Die für Verzweifelte ist ein Tabu. Trotzdem greifen immer wieder Rentner zu Scheren und Plastiktüten.
Essen.
Lebensabend, das klingt nach einem erfüllten Dasein. Doch oft ist das eine Illusion. „Viele sind am Ende ihres Lebens extrem verzweifelt“, sagt Elke Baezner, Präsidentin der Deutschen Gesellschaft für humanes Sterben (DGHS). Sie kennt sie, die Situationen, in denen Menschen sich „eine Tüte über den Kopf ziehen“. Oder Familienmitglieder bitten, ihnen beim Freitod zu helfen. „Das ist doch eine entwürdigende Vorstellung.“
Nicht nur eine Vorstellung. Es passiert, dass Angehörige ihren Partner umbringen – weil sie Mitleid haben. In einer Gesellschaft, in der die alten Menschen oft keine Ansprechpartner finden, müssten sich die Gerichte verstärkt mit solch dramatischen Fällen befassen, so Baezner.
Er wollte sich auch selbst töten, doch…
Am Donnerstag hat der Bundesgerichtshof entschieden, dass das Verfahren gegen einen Mann, der seine Frau erschossen hat, neu aufgerollt werden muss. Ein 75-Jähriger aus Niedersachsen hatte
seine Frau im Juni 2009 mit einem Revolverschuss in den Kopf getötet. Er wollte sich auch selbst töten – doch es misslang. . .
Wegen Tötung auf Verlangen war er zu zweieinhalb Jahren Haft verurteilt worden. Die Richter in Verden waren sicher, dass die Frau den Wunsch geäußert hatte, sterben zu wollen. Ob es stimmt? Eine Angehörige bezweifelte das. Die Staatsanwaltschaft erhob Mordanklage. Die Frau, 53 Jahre alt, hatte zwar einen Tumor. Aber die Obduktion ergab, dass er gutartig war.
Orchideen und ein Brief zum Abschied
Egal wie das Verfahren ausgeht, es sagt nicht viel aus über die Verzweiflung, die hinter dieser Tat stand. Vielleicht war es ja auch hier der Versuch eines Gnadenaktes. Wie in der Geschichte der Dame (80) aus Fürth: Sie musste 4000 Euro an eine gemeinnützige Einrichtung zahlen, weil sie zugegeben hatte, ihrem krebskranken Mann beim Suizid geholfen zu haben.
Sie habe ihrem Mann, als er die Schlaftabletten genommen hatte, wie verabredet eine Plastiktüte über den Kopf gezogen. Um zu überprüfen, ob der Tod eintritt, setzte sie sich auf seinen Brustkorb. Um zu testen, ob er wirklich tot war, stach sie ihm mit einer Schere in den Hals. Bevor sie ging, legte sie Orchideen auf den Leichnam und einen Brief: Sie schrieb, dass sie es aus Liebe tat. Dann stieg sie in die Badewanne, um dort ihrem Leben ein Ende zu setzen. Doch sie stürzte. Erst vier Tage später fand sie der Sohn.
Unendliche Lebensmüdigkeit
Solche Momente seien ein Armutszeugnis der Gesellschaft, sagt Elke Baezner. „Rechtlich ist es ja geregelt, dass schwer kranke Patienten selbst bestimmen können, ob die Behandlung fortgesetzt wird.“ Doch erstens hätte sich das noch längst nicht bei allen Medizinern herumgesprochen. Zweitens gehe es bei vielen Menschen gar nicht um das Abbrechen einer Behandlung, „sondern um einen Zustand einer unendlichen Lebensmüdigkeit“. Wer nur alt ist und das Gefühl habe, sein Leben gelebt zu haben, könne nicht auf Erlösung hoffen. „Viele sind das Leben unendlich leid. Sie wissen, besser wird es nicht mehr.“ Sie wollen in Würde sterben.
Diese Menschen bräuchten zunächst Gesprächspartner. Ärzte, die zuhören, die Mut machen. Oder sogar den Wunsch zu sterben akzeptierten. „In der Schweiz gibt es die Möglichkeit, dass auch bei diesen Menschen Hilfen zum Beenden des Lebens toleriert werden. Ich kämpfe dafür, dass das auch in Deutschland mit allen erdenklichen Sorgfalts-Vorkehrungen möglich wird“, so Baezner.