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1500 Helfer für arme Kinder stehen vor dem Aus

1500 Helfer für arme Kinder stehen vor dem Aus

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Wie Sozialarbeiterin Sonja Sowada zum Dreh- und Angelpunkt einer Schule wurde: Seit zwei Jahren arbeitet sie an einer Grundschule in Oberhausen. Gerade hat sie ein Netzwerk aufgebaut, da bricht die Finanzierung weg. Wie ihr ergeht es rund 1500 weiteren Helfern. Leidtragende sind die Kinder.

Oberhausen. 

Die Kinder wissen noch von nichts. Sonja Sowada hat sich noch nicht getraut, ihnen etwas zu sagen. Dass der 20. Dezember ihr letzter Arbeitstag ist. Dass sie dann nicht mehr mit Ferdi, dem kleinen grünen Stoffchamäleon vor den Kindern der Klasse 1a steht und mit ihnen redet. Über Regeln auf dem Schulhof. Nicht schubsen, nicht prügeln. Den anderen ausreden lassen. „Und dass man zum Beispiel Mädchen nicht küssen darf, wenn die das nicht wollen“, sagt David.

„Augen auf, Ohren auf – das ist der Chamäleonbrauch.“

Soziales Kompetenztraining heißt so was im Pädagogendeutsch. Für die Kinder ist es eine Stunde mit Sonja und Ferdi. Sie reden die Frau, die eben keine Lehrerin ist, mit Vornamen an. Auch, wenn sie am Ende der Stunde Sternchen vergibt. Für Elvis, weil er so viele Beiträge liefert. Für Oliwia, weil sie so aufmerksam ist, für Samanta, weil sie ruhig gemalt hat. Für Sera, weil sie mal nicht dauernd aufgesprungen ist. Jetzt dürfen sie alle noch einmal aufspringen. „Augen auf, Ohren auf – das ist der Chamäleonbrauch.“ Dann reißen sie die Arme in die Höhe und rufen „Hey!“

Heute sind es 15 Kinder im bunten Klassenraum, manche sind krank, andere gerade beim Sprachtest. Kinder, die seit gut drei Monaten zur Schule gehen und bei denen die nächsten Jahre vieles entscheiden. Haben sie Erfolgserlebnisse? Bekommen sie Lust aufs Lernen? Bleibt ihre Neugier erhalten? Werden sie fröhlich und selbstbewusst bleiben wie Lara, die sofort fragt, ob sie Ferdi nicht mal streicheln darf?

„Gerade die guten Leute orientieren sich frühzeitig woanders hin“

Später, oben im Besprechungsraum bei Schulleiterin Roswitha Spitzley, sitzt auch Sonjas Chef: Stephan Lensing, Teamleiter Schule bei der Caritas, die in Oberhausen 26 Schulsozialarbeiter in die Klassen schickt. Sechseinhalb können 2014 erstmal noch bleiben, ein bisschen Geld ist noch im Topf. „Gerade die guten Leute orientieren sich frühzeitig woanders hin“, sagt Lensing. Sonja Sowada ist noch da. Auch, weil Schulleiterin Roswitha Spitzley ihr noch eine halbe Stelle in der Ganztagsbetreuung verschafft hat. Für den Übergang, aus dem ein Weggang werden könnte. „Dass wir Sonja Sowada haben, ist ein Segen“, sagt Schulleiterin Roswitha Spitzley. Sie spricht im Präsens. Sie will nicht, dass aus Sonja Sowada Vergangenheit wird. „Sie hat hier in den zwei Jahren so viele Verbindungen aufgebaut und Vertrauen geschaffen“, sagt sie. 1500 Stellen für Menschen wie Sonja Sowada droht zum Jahresende das Aus. Vielleicht können reiche Städte noch was finanzieren, vielleicht gibt es noch Restmittel. Vielleicht geschieht noch ein Wunder. Vielleicht.

Als Nicht-Lehrerin, Nicht-Behörde, Nicht-Eltern ist Sonja Sowada aus der Position zwischen allen Stühlen zum Dreh- und Angelpunkt geworden. „Sie muss die Kinder nicht unter Leistungsgesichtspunkten sehen“, sagt die Schulleiterin. Der Sonja vertrauen sich die Eltern an, die Alleinerziehenden, die Ausländer. Sie ist ja keine Lehrerin, kein Jugendamt, das immer noch diffuse Ängste auslöst, es könne die Kinder wegnehmen.

Eine bunte Oase in den oft grauen Stadtquadraten

Die 32-Jährige kommt aus Oberhausen, kennt das Viertel, kennt die Kinder, hat Sozialarbeit studiert, hat in der Betreuung im Offenen Ganztag ihr Praktikum gemacht – und konnte dann bleiben. Dank des Geldes vom Bund. Schon Anfang 2012 war klar: Das ist eine Anschubfinanzierung für zwei Jahre. Zwei gute Jahre für die kleine bunte Schule in Oberhausen, die von außen wie eine bunte Oase wirkt in den oft grauen Stadtquadraten. Gelb und rot gestrichen, in den Fenstern aus farbigem Papier ausgeschnittene Adventskerzen, in der ehemaligen Hausmeisterwohnung Platz fürs Mittagessen und die Hausaufgabenbetreuung.

„Gerade die Ganztagssituation ermöglicht es, den Kindern noch einmal ganz anders zu begegnen“, sagt Sonja Sowada. Gemeinsam essen, spielen und reden. Und manchmal Dinge erfahren, die ein Leben retten können. Wenn ein Kind plötzlich, fast wie nebenbei erzählt, dass es nachts immer gegen seinen Willen zum Papa ins Bett muss. Ist hier in dieser bunten Oase passiert. Und die Mitbewohner der Oase haben Hilfe organisiert. Wie das kleine Leben ohne Sonjas offene Ohren verlaufen wäre, weiß niemand. Sicher ist: Künftig fehlt dieses Paar Ohren.

Sonja Sowada kann man gewiss auch woanders brauchen. Hier aber wird sie unbedingt gebraucht. Dass Sonja trotzdem weg muss, wissen die Kinder noch nicht. Sie wollen lieber das Stoffchamäleon streicheln. Es kann nicht die Farbe wechseln. Es bleibt grün. Wie die Hoffnung.