Geheimer Chat geknackt: So läuft ein Treffen von Reichsbürgern und Rechtsextremen ab
Aktivisten waren bei Reichsbürger-Treffen und haben Geheim-Protokoll geknackt – und DER WESTEN zugespielt
Darin geht es um skurrile Toiletten-Regeln und „Heil Hitler“-Rufe
Doch es geht auch um Schießübungen und den Tag, an dem „es knallt“
Essen.
Der Flyer liest sich beinahe wie die Einladung zu einem Kegelclub-Ausflug. In biederem Ton werden darin Regeln für ein Treffen aufgelistet, das am vergangenen Wochenende auf einem Bauernhof in Niedersachsen stattfand, nur wenige Kilometer nördlich der Grenze zu NRW.
„Grillzeug, Beilagen u.a. zur Nahrungsaufnahme ist eigenverantwortlich zu organisieren“, steht da etwa.
„Es achte jeder darauf, die Toilette einwandfrei zu hinterlassen“
Weiter geht es mit völlig skurrilen Anweisungen. Beim letzten Treffen hatten einige Teilnehmer offenbar Probleme mit der Toilettenbenutzung, wie aus dem Schreiben hervorgeht. Wegen der Erfahrungen „vom letzten Treffen“ betont der Autor: „Es achte jeder darauf, daß die Toilette in einwandfreiem Zustand hinterlassen wird“.
„30 Euerlinge“ kostet der Spaß pro Nase, dafür wird für das leibliche Wohl mit Brötchen und Aufschnitt gesorgt.
Doch es ist kein harmloser Kegelclub, der am Wochenende eine Fahrt ins Grüne unternommen hat. Es sind Reichsbürger und Rechtsextreme.
Diesmal bitte keine „Heil Hitler“-Rufe
Wie die Adressaten des Schreibens ticken, wird am „Wort zum Schluss“ deutlich. Dort heißt es: „Der Eigentümer möchte auch weiterhin mit den Nachbarn auskommen. (…) „Heil Hitler“-Rufe o.Ä. sind zu jeder Tageszeit nicht erwünscht (…) NS-Symbole haben hier ebenfalls nichts zu suchen.“
Hinter der Veranstaltung steckt eine Reichsbürger-Gruppe, die sich selbst „Gelber Schein“ nennt und unter anderem die Webseite gelberschein.org betreibt. Auf der Seite sind stundenlange (!) Videos zu finden, die vermeintlich darüber aufklären, dass die Bundesrepublik Deutschland eigentlich gar nicht existiert.
Die Anhänger organisieren sich in lokalen Stammtischen, viele von ihnen in NRW, etwa in Essen oder Wuppertal.
„Alle behalten ihr Wissen für sich“
In einen Teamspeak-Chatroom, der auf der Seite verlinkt ist, können sich die Anhänger austauschen. Über einen solchen Chat wurde auch das Treffen am Wochenende organisiert – daher stammt auch das Schreiben.
Eigentlich sollte das alles streng geheim bleiben. „Alle (…) behalten ihr Wissen für sich (…). Es sollen keinerlei Infos in sozialen Netzwerken auftauchen“, heißt es im Regelwerk.
Das Ziel: Aktionen der Reichsbürger sabotieren
Und in den Chat kommen nur zugelassene Mitglieder. Aber Aktivisten vom sogenannten „Sonnenstaatland“ haben sich in den Teamspeaker-Server eingeschlichen und mitgehört – und die Ergebnisse DER WESTEN zugespielt.
Der Name Sonnenstaatland ist eine Verballhornung von Bezeichnungen, die Reichsbürger bisweilen ihren selbst gegründeten Staaten geben.
Dahinter steckt eine lose Gruppierung von Menschen aus ganz Deutschland, die das Ziel haben, Aktionen von Reichsbürgern zu sabotieren und über deren krude Theorien aufzuklären.
„Wenn die unsere Identität kennen, stalken sie uns“
Eine von ihnen ist Mandy, die eigentlich anders heißt, aber unerkannt bleiben möchte. „Einige von den Reichsbürgern sind extrem gut organisiert. Wenn die unsere Identitäten haben, fangen die an, uns zu stalken und uns bei unseren Arbeitgebern schlecht zu machen. Das ist dann unangenehm“, sagt Mandy.
Wochenlang haben sie und die anderen Sonnenstaatler den geheimen Chat mitgelesen. Die Inhalte sind erschütternd.
Profilbild mit Adolf Hitler
Einige Chat-Mitglieder haben Profilfotos mit klarer Nazi-Symbolik. Ein gewisser Tobias hat einen Stern mit dem Namen Adolf Hitler als Profilbild, ein Nutzer namens „Zerberus“ ein Bild mit dem Schriftzug „88 Zone“. In der Szene steht die Zahl 88 als Symbol für die Buchstaben HH und verweist auf „Heil Hitler“.
„Im Chat geht es immer wieder auch um Schießübungen und Waffen“, erzählt Mandy. Die Mitglieder bereiten sich auf eine Zeit vor, „wenn’s hier richtig knallt“ – was immer das heißen soll.
Die Veranstaltung am Wochenende hat das Sonnenstaatland „geprankt“, wie Mandy sagt. „Wir waren vor Ort, um zu zeigen: Wir beobachten euch“. Auf das Ortseingangsschild in der Nähe des Hofes haben sie einen Aufkleber mit dem Wappen des Sonnenstaatlandes geklebt.
„Das war schon ein Riesen-Spaß“, sagt Mandy. Doch es gehe nicht nur um die Sabotage und das Bloßstellen.
Viele aus der Szene haben ernste Probleme
„Die richtigen Reichsbürger sind schon verloren. Aber Menschen, die gerade erst anfangen, sich mit der Ideologie auseinanderzusetzen, können wir noch erreichen und ihnen vielleicht zeigen, dass das der falsche Weg ist.“
Denn viele aus der Szene hätten ernsthafte Probleme, seien verschuldet.
Immer wieder haben Angehörige der Szene Probleme mit Behörden, sind verschuldet. Das spiegelt sich auch in dem geheimen Chat wider. „Es geht oft um Ärger mit Ämtern. Die Tonangeber der Gruppen trichtern den Mitgliedern ein, dass sie nur Geduld haben müssen und nichts zahlen sollen. Die Gemeinschaft würde ihnen da schon raushelfen.“
Nur: Das passiert nie, am Ende hat der Staat, den die Reichsbürger ablehnen, dann doch den längeren Atem. (pen)
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