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Graffiti im Pott: Zwischen Job und illegaler Leidenschaft

Graffiti im Pott: Zwischen Job und illegaler Leidenschaft

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Grafitti in der Innenstadt , in Gladbeck Foto: Luitz von Staegman / WAZ Fotopool
Geboren in Dortmund. Legal entfaltet in Bochum. Heute in Mitte der Gesellschaft angekommen? Begegnungen mit der hiesigen Graffiti-Szene.

Ruhrgebiet. 

„In den Zeitungen erscheinen wutentbrannte Leserbriefe, deren radikaler Inhalt wohl größeren Schaden anrichtet als ein paar bemalte Stromkästen.“

So schreibt es Dortmunder Graffiti-Urgestein „Zodiak“ 1986 verärgert an die örtliche Presse. Ist Graffiti bloß Reviermarkierung wildgewordener Adrenalin-Junkies? Oder künstlerischer Ausdruck wahrer Kreativköpfe? Mitte der Achtziger, als Graffiti von Dortmund ausgehend die Stadtbilder im Ruhrpott komplett verändern sollte, polarisierte die Straßenmalerei bereits gehörig. Auch heute streiten sich Bürger („Vandalismus!“) und Sprayer („Macht die Stadt schöner!“) noch reichlich, aber die Töne sind weicher geworden. Graffiti kommt der gesellschaftlichen Mitte immer näher – gerade im Ruhrgebiet.

Freiflächen im Ruhrgebiet

Fast jede Stadt im Revier kann von Kooperationen mit Sprayern berichten, bei denen öffentliche Flächen professionell gestaltet wurden. In Jugendzentren wie dem „Trafo“ in Castrop-Rauxel sind Sprayer-Aktionen im Sommerferienprogramm Tradition, in Witten stellen Privatleute unter dem Motto „Witten wird bunt“ Wandflächen zur Verfügung. Und in einigen Ruhrgebietsstädten setzt man gar auf öffentliche Plätze, die jederzeit von jedem besprüht werden dürfen: Den „Halls of Fame“ (zu Deutsch: „Ruhmeshallen“).

Allein in Bochum gibt es 22 solcher Flächen, in Essen über zehn. In Marl darf man legal das Rathaus besprühen, in Wetter und Kamen sind die Skateparks auch Treffpunkte für Sprühdosen-Süchtige. „Essen und Bochum haben besonders viele legale Flächen in Deutschland“, sagt Sozialarbeiter und Szenekenner Jürgen Kotbusch vom Bochumer Jugendamt. Vergleichbar viele gebe es nur in Karlsruhe. Nicht in Berlin. Nicht in Hamburg. Ohnehin: Die Metropolen in Deutschland sind zwar von Sprühfarben bedeckt, aber das heißt nicht, dass Graffitikünstler dort auch viele legale Schaffensorte bereit gestellt bekommen. Eine lockere Graffiti-Politik wie in Bochum und Essen ist in vielen Städten weiterhin recht unpopulär – trotz des offensichtlichen Rückgangs illegaler Malereien.

Zahlen sprechen für sich

In Bochum gab es vergangenes Jahr 398 Fälle von Sachbeschädigung durch Graffiti, in Dortmund dagegen 1002. In der Geburtstadt der hiesigen Writer-Szene setzt man weiterhin auf bloße Bekämpfung statt Teil-Legalisierung. „Dabei sollten sich Jugendliche ausdrücken dürfen. Man kann keine Freizeithäuser, Fußballplätze, Skateanlagen bauen, aber bestimmte Subkulturen ignorieren“, so Jürgen Kotbusch. Als Kotbusch 1998 Besuch von Sprayern beim Jugendamt bekam, konnte er ihr Anliegen deswegen gut nachvollziehen: Die Writer hatten den Stress mit der Polizei satt und wünschten sich legale Wände in ihrer City.

Der Wunsch wurde im Jugendhilfeauschuss diskutiert und fand dort viele Befürworter. Drei Jahre später war Bochum die Hochburg für legales Sprühen, besonders die „Hall of Fame“ an der Ruhr-Universität wurde zu einem Magneten, für die nationale und internationale Szene. Kotbusch beschreibt die Flächen als „selbstregulierende, öffentliche Ateliers“ – meist gibt es keine Öffnungszeiten, keine Aufsicht, keine Kontrollen, nur ein paar Regeln: „Man sollte nur das übersprühen, was man auch selbst hinbekommen könnte“, erklärt der Gladbecker Graffitikünstler Maurizio „Anteiichi“ Bet. Zwar könne es trotzdem passieren, das aufwendig gemalte Bilder nach einem Tag wieder überstrichen werden. „Aber daran gewöhnt man sich“, so Bet. „Man malt hier eben für das Foto.“

Karriere als Writer

Oder um Kunden zu umwerben: Wenn „Anteiichi“ in den „Halls of Fame“ mit der Sprühdose zaubert, kommen nicht selten interessierte Passanten auf ihn zu. „Früher hat mich keiner angequatscht. Heute wollen die Leute, dass ich ihnen einen Leuchtturm auf die Hauswand male.“ Bet hat zwei Sprühdosen auf einer Wade tätowiert: sie sind nicht nur Ausdruck seiner größten Leidenschaft, sie demonstrieren auch die volle Hingabe zu seinem Job. Bet hat aus dem wachsenden Interesse an Graffiti in der Gesellschaft eine Karriere gezimmert. Der 30-Jährige ist freischaffender Writer, seine Miete bezahlt er mit Aufträgen und mit Workshops.

„Dürft ihr das überhaupt?“- Das Leben als Legaler 

Graffitikünstler: eine weiterhin ungewöhnliche, aber nicht undenkbare Berufswahl. Zahlreiche Writer, die sich früher die Nächte beim „Trainbombing“ (Züge bemalen) um die Ohren geschlagen haben, erwirtschaften heute ihr gesamtes Einkommen mit Graffiti oder bessern ihr Taschengeld damit auf.

So auch Manuel Meller aus Bochum – das erste mal mit elf Jahren eine Sprühdose in der Hand, heute beruflich Rapper und Writer. Er betreut einige „Halls of Fame“ im Ruhrgebiet und ist in Schulen und Jugendhäusern ein gern gesehener Gast. In Kursen lehrt er Kids das Writer-ABC – von B wie Blackbook (Skizzenbuch) bis T wie Tag (Signatur). Oder er zeigt ihnen, wie sich die Caps (Sprühköpfe) in Sprühstärke- und verhalten unterscheiden. Das Lehrbuch bei den Kursen: „Subway Art“, die „Graffiti-Bibel“, wie Meller sie nennt.

„Den öffentlichen Raum mitgestalten“

Dass immer mehr Schulen Workshops mit Writern anbieten und Städte Graffiti-Projekte finanzieren, empfindet der 30-Jährige als guten Ansatz. „Aber es könnte noch viel mehr passieren“. Denn viele Leute hätten noch nicht verstanden, worum es beim Graffiti gehe und welche Chancen die Kunst biete. „In Graffiti ist der Gedanke verankert, dass jeder an der Gestaltung des öffentlichen Raums teilhaben kann“, erklärt Meller. „Der urbane Raum untersteht wirtschaftlichen Zwängen, die Flächen dienen Industrie und Infrastruktur. Durch Graffiti haben die Leute die Möglichkeit, sich etwas von diesem Raum zurückzunehmen.“

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Bei der Planung neuer Lärmschutzwände, Mauern oder Brücken sollte deswegen direkt erwogen werden, die Bauten kurz nach Fertigstellung professionell bemalen zu lassen. So sehen das zumindest die Essener Writer-Größen David „The Top Notch“ Hufschmidt (35) und Ingo „Demon“ Ahlborn (42). Neue Lärmschutzvorrichtungen etwa sind ein gefundenes Fressen für illegale Sprüher. „Die stehen ein Tag und sind schon vollgemalt“, sagt Hufschmidt.

„Wenn man sie direkt von Profis bemalen lassen würde, wäre das ein Gewinn für alle“, findet er. Straßen NRW etwa sei solchen Ideen gegenüber sogar sehr offen. „Nur denkt bei der Planung eben keiner direkt an Graffiti. Viele Leute erschrecken erst einmal, wenn sie eine Sprühdose sehen und fragen sich gleich: Dürft ihr das überhaupt? Wenn wir einen Pinsel in der Hand hätten, wäre das etwas ganz anderes.“

Kunst aus dem Bauch

„Top Notch“ und „Demon“ missionieren täglich dafür, dass es in den Köpfen vieler Leute noch Klick macht. Gerade „Demon“ ist einer der ganz alten Hasen der Szene, 1987 malte er sein erstes Bild, inspiriert von den Tags der Pioniere „Magic“ und „Chintz“. Heute sind „Demon“ und „Top Notch“ für die Szene so unentbehrlich wie früher ihre Idole. Weil sie die „Halls of Fame“ in Essen ehrenamtlich betreuen und einen guten Draht zur Stadtverwaltung haben. Weil sie das große Essener Graffiti-Festival „Hafendampf“ organisieren. Und weil sie ein viel beachtetes Werk nach dem nächsten malen.

Mit ihren zahlreichen Aufträgen versuchen die beiden Berufsmaler ihre Kunst auf das nächste Level zu hieven. „Wir wollen uns durch unsere Bildsprache erkennbar machen, nicht mehr alleine durch unsere gesprühten Namen“, sagt „Top Notch“, der hauptberuflich als Webdesigner arbeitet. Was sie malen, entsteht ohne Konzept, es kommt einfach aus dem Bauch heraus – typisch für eine Kunstform, bei der stets die Angst mitschwang, vor dem nächsten Streifenwagen wegrennen zu müssen.

Writer erzählt von seiner wilden Zeit: „Es war eine Sucht“ 

Für „Bres Art“ war die Angst vor der nächsten Polizeisirene, was für andere der Nervenkitzel bei einer Achterbahnfahrt ist: „Das Katz- und Maus-Spiel mit der Polizei wird zu einer Sucht. Das ist genau das, was einen dazu bringt, immer weiter zu machen“. Der Essener Writer will seinen echten Namen lieber verbergen. Sein Leben als illegaler Sprayer, er liebte es – damit in Verbindung gebracht werden, will er aber nicht mehr.

Angefangen hat er 1992. „Ein Kollege wollte einfach mal etwas Neues ausprobieren, da bin ich mitgekommen“, erinnert er sich. Sein erstes Bild: Die Signatur „Point“, versteckt hinter einem Busch auf dem Schulhof. „Das war so schlecht, da habe ich mir schnell einen anderen Namen gesucht“. „Bres“ grinst, gute Erinnerungen.

Sprayen als Ausgleich

Er übte mehr auf abgelegenen Wänden, wurde immer besser. Dann fand er Kontakt zu anderen Sprayern, lernte bekannte Crews aus Essen kennen. „Sie gucken, was um dich herum passiert, wo du hingehst. Du musst dir den Respekt verdienen, an krasse Stellen gehen. Und wenn sie merken, dass sie dir vertrauen können und du keine Eintagsfliege bist, dann öffnen sie sich dir“.

Sprayer“Bres“ war keine Eintagsfliege. Er ging fast jeden Abend raus und „verschmolz mit der Nacht“, wie er sagt. Das Malen war für ihn Katharsis. Er war das Sorgenkind in der Schule, in seiner Familie ging es drunter und drüber, durch das Sprayen aber bekam er Anerkennung. „Das war mein Ausgleich. Es hat mir ein ganz besonderes Gefühl gegeben. Ein Gefühl, das man nur haben kann, wenn man malen geht.“

Das Hobby an den Nagel gehangen

Der Polizei konnte er trotzdem nicht immer entwischen. Die Strafzahlungen für die Sachbeschädigung rückten sein Konto ins Dispo. Beiträge, die seine damlige Freundin für Familie, Eigenheim und Urlaube zurücklegen wollte. Sie sehnte sich nach Ruhe, also hing „Bres“ aus Liebe zu ihr das Hobby an den Nagel. „Es war als würde sich ein Leistungssportler nicht mehr bewegen dürfen.“

Aber das realisierte er erst später. Bei seinem Job als Verkäufer hing er sich voll rein. Er machte viele Fortbildungen, arbeitete sich hoch. Und dann kam das Aus der Beziehung.

Das Hobby war zurück auf der Bildfläche, aber nicht illegal. „Bres“ lernte einen Maler kennen, der ihm eine legale Wand in Essen zeigte. „Trotzdem habe ich vielleicht nur ein bis zwei Bilder im Jahr gemalt.“ Der Job schluckte zu viel Zeit. „Aber die Zeit zum Malen hätte ich mir nehmen sollen.“ h

Film brachte alte Leidenschaft zurück

Erst 2012 merkte „Bres“ wirklich, was ihm lange fehlte. Seine damalige Freundin wollte wissen, was ein „Wholetrain“ ist. Statt es ihr zu erklären, zeigte er ihr Bilder im Internet und stieß auf den gleichnamigen Graffiti-Film. Er warf sich auf die Couch, machte den Film an und fühlte die alte Leidenschaft in sich hochbrodeln. Am nächsten Morgen besorgte er sich einen Krankenschein, kaufte mehrere Dosen und malte an der „Hall of Fame“ unter der A40.

„Seitdem male ich mindestens einmal die Woche“, erzählt er. Nur legal, der Stress von früher muss nicht mehr sein. Mal wird er für Aufträge gebucht, meist tobt er sich an den Freiflächen aus. Gekonnte Tags auf Stromkästen lassen ihn trotzdem strahlen. Bahnhofshallen, Brücken, Betonwände ohne Tags und Pieces sind für ihn nicht vorstellbar – Graffiti in der Mitte der Gesellschaft? „Es wird nie gesellschaftsfähig sein. Graffiti ist auf der Straße geboren und da wird es auch für immer bleiben.“