In NRW sind die Arztpraxen am Limit ihrer Kapazitätsmöglichkeiten. Die Medizinier werden dem großen Andrang an Patienten einfach nicht mehr gerecht. Doch das Problem betrifft im Grunde alle Bundesländer.
Deshalb hat Gesundheitsminister Karl Lauterbach weitreichende Versprechungen vor allem für Kinder- und Jugendärzte gemacht, um für eine Entlastung zu sorgen. Axel Gerschlauer ist Kinderarzt in Bonn und Sprecher des Berufsverbandes der Kinder und Jugendärzte (BVKJ) Nordrhein und traut den Worten nicht.
NRW: Kinderärzte müssen Patienten ablehnen – „Tut weh“
„Wir lehnen jede Woche Leute ab. Ich arbeite schon 50 Stunden die Woche, mehr geht nicht. Wir nehmen einen gewissen Anteil an Neugeborenen auf und ich versuche die Kriegsflüchtlinge unterzubringen. Aber Wechsler oder Zugezogene haben auch bei uns keine Chance. Es tut einem im Herzen weh, Kinder abzulehnen“, erklärt Gerschlauer gegenüber DER WESTEN. Verantwortlich macht der Kinderarzt dafür die Politik.
„Eines der großen Themen ist hier Bürokratie-Abbau. Von den 50 Stunden, bin ich mindestens 15 Stunden nicht am Patienten. Zum Beispiel das Thema Kinderkrankschreibung. Durch Corona dürfen Praxen bis zum 31. März 2023 Eltern Pflegetage ausstellen, ohne dass die Kinder vorstellig wurden – das ist super. Wird aber mit Sicherheit nicht länger durchgehen, weil da werden die Krankenkassen streiken. In NRW haben wir gerade durchgesetzt, dass wir z.B. bei krankheitsbedingten Fehltagen keine Schüler-Atteste mehr schreiben müssen.“
Zudem könne das Problem der überfüllten Praxen und überlasteten Ärzte nur gelöst werden, wenn mehr Medizin-Studienplätze sowie eine bessere Ausbildung der Assistenzärzte gegeben wäre.
Gesundheitsminister macht große Versprechen
Inzwischen ist der Hilferuf auch beim Gesundheitsminister Karl Lauterbach angekommen. Am 4. Januar setzte sich der Politiker und Mitglieder des BVKJ für ein klärendes Gespräch zusammen. Dabei habe Lauterbach zugesichert, „dass in den nächsten Monaten ein Gesetzentwurf zur Entbudgetierung der pädiatrischen Versorgung folgen werde. Weiterhin kündigte er an, verschiedene Maßnahmen zur Entbürokratisierung in den Gesetzgebungsprozess einfließen zu lassen“, wie es in einer Mitteilung heißt.
Auch Karl Lauterbach bestätigte das kurze Zeit später auf Twitter mit den Worten: „Besprechung mit Kinder- und Jugendärzten. Die Maßnahmen: raus aus Hamsterrad DRGs, keine Budgets für Kinderpraxis, Entbürokratisierung, Lieferbarkeit Kinderarznei. Alle Gesetze schon durch oder in Arbeit. Kindermedizin ist 10 Jahre zu kurz gekommen. Das ändert sich jetzt.“ Auf dem Neujahrsempfang der deutschen Ärzteschaft in Berlin am Donnerstag (19. Januar) wiederholte er sein Versprechen vor mehreren Hundert Gästen.
„Wir werden die Praxen in der Kinder- und Jugendmedizin komplett entbudgetieren“, wird der 59-Jährige vom „Ärzteblatt“ zitiert. Man werde die Versorgung der Kinder im Krankenhaus, in der ambulanten Versorgung und auch in der Arzneimittelversorgung „deutlich entökonomisieren“, heißt es. Auch für die Schaffung weiterer Medizinplätze habe sich Lauterbach erneut ausgesprochen. Doch Problem sei die Finanzierung, die die Bundesländer „zum jetzigen Zeitpunkt nicht bereit“ seien zu tragen.
Kinderarzt will Taten sehen
Der Bonner Kinderarzt Gerschlauer ist allerdings auch gegenüber den Worten des Gesundheitsministers skeptisch. „Herr Lauterbach hat Null Interesse an ambulanter Medizin. Erst wenn sich wirklich was in Form eines Gesetzes verändert hat, dann glaube ich ihm. Mein Beruf liegt mir total am Herzen, aber ich sehe ihn leider den Bach runtergehen“, wird er deutlich. Schließlich habe Lauterbach schon im Dezember große Versprechungen gemacht, und noch am selben Tag in einem Brief an die Kassenärztliche Bundesvereinigung und den Bund der Krankenkassen einen Rückzieher gemacht.
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DER WESTEN wollte es konkret wissen, und hat beim Bundesgesundheitsministerium nachgefragt, ab wann mit einem Gesetzesentwurf zu rechnen ist. Einen genauen Zeitplan könne uns die Sprecherin noch nicht nennen. Sie betonte jedoch: „Minister Lauterbach hat in den vergangenen Wochen eine Reihe kurzfristiger Maßnahmen auf den Weg gebracht, um die zwischenzeitig sehr angespannte Situation in der Kinder- und Jugendmedizin zu entlasten.“ Beispielsweise sollten Kinderkliniken Honorarkräfte in der Pflege anwerben können und Eltern sei es erlaubt, bestimmte Vorsorgeuntersuchungen für ihre Kinder vorübergehend zu verschieben. Vom BVJK hagelte es jedoch erneut Kritik.
In der Stellungnahme heißt es, dass diese Maßnahmen nur zur „kurz- und mittelfristigen Überbrückung, bis strukturelle Reformmaßnahmen wirksam werden können“, dienten. Und weiter: „Das Bundesgesundheitsministerium bereitet derzeit ein neues Arzneimittelgesetz vor. Darüber hinaus beobachten wir die Lage aufmerksam und stimmen uns mit unseren internationalen Partnern ab.“
Festzuhalten ist, dass es wohl noch einige Zeit dauern wird, bis die Entlastung bei den Ärzten und ihren kleinen Patienten ankommt.