Immer wieder sorgen türkische Politiker wie zuletzt in Neuss und Veranstaltungen der rechtsextremen „Grauen Wölfe“ wie in Dortmund für Unruhe in Deutschland. Gerade im Hinblick auf die türkischen Präsidentschaftswahlen im Frühsommer scheint Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan (68) und sein rechtsextremer Koalitionspartner MHP immer mehr Einfluss auf Türkeistämmige in Deutschland haben zu wollen.
Im Exklusiv-Interview mit DER WESTEN warnt Türkei-Experte Prof. Dr. Burak Copur vor dem wachsenden Einfluss Erdogans insbesondere in NRW und der lange Arm des türkische Regimes in Deutschland!
DER WESTEN: Herr Copur, was macht die „Grauen Wölfe“ in Deutschland so gefährlich?
Burak Copur: Laut Verfassungsschutz haben sie 11.000 Anhänger. Damit wäre sie die stärkste rechtsextremistische Bewegung Deutschlands. Die ‚Grauen Wölfe‘ haben viele Mord- und Gewalttaten in der Türkei, aber auch in Deutschland und Europa verübt. Die Bewegung ist eindeutig gewalttätig, antisemitisch, rassistisch und minderheitenfeindlich insbesondere gegenüber Kurden und Armeniern – auch hierzulande werden diese Bevölkerungsgruppen als ‚Feinde des Türkentums‘ angegriffen. Nicht ohne Grund ist die Bewegung in Frankreich und Österreich verboten und auch der Bundestag hat 2020 einen Prüfantrag für ein Verbot verabschiedet.
Wie bewerten Sie diese Art der Veranstaltung wie zuletzt in Dortmund in den Fredenbaumhallen, insbesondere, wenn Kinder involviert sind?
Diese und ähnliche Veranstaltungen dienen zur Mobilisierung der eigenen Bewegung, hier wird offen türkischer Nationalismus und Militarismus propagiert und das Türkentum verherrlicht. Besorgniserregend ist natürlich, dass diese Bewegung in diesen Veranstaltungen, Vereinen, Fußball- und Boxclubs und Moscheen Kinder und Jugendliche rekrutieren und mobilisieren. Wer einmal mit dem ‚türkischen Nationalismus‘ in Berührung kommt, dreht oft auch Deutschland den Rücken zu, hat Probleme, sich zu integrieren und radikalisiert sich auch beispielsweise in türkischen Rockervereinigungen wie der verbotenen ‚Osmanen Germania‘ oder der aufgelösten ‚Turkos MC‘. Insofern sind diese Veranstaltungen integrationsfeindlich, Gift für das friedliche Zusammenleben hierzulande und gefährden die öffentliche Ordnung. Deswegen sollte auch unbedingt der ‚Dortmunder Aktionsplan gegen Rechtsextremismus‘ angepasst und erweitert werden.
Die Stadt Dortmund hat auf DER WESTEN-Anfrage geantwortet: ‚Ja, die Stadt hat Kenntnis davon, dass gelegentlich Veranstaltungen dieser Art in privat geführten Hallen stattfinden und hat so weit es geht einen Blick auf die Szene.‘ Wie interpretieren Sie die Antwort der Stadt Dortmund?
Ich finde diese Antwort ehrlich gesagt höchst dilettantisch und sie wird der Problematik auch nicht gerecht. Könnte sich die Öffentlichkeit eine solche abwimmelnde oberflächliche Antwort eines Oberbürgermeisters einer Großstadt mit Blick auf Veranstaltungen der Rechtextremistenszene vorstellen? Wohl kaum. Warum orientieren wir uns nicht an Städten wie München, die eine Handreichung entwickelt haben („Anmietungen durch Rechtsextreme – Schutz für Kommunen und Vermieter“), wie man mit solchen öffentlichen oder privaten Vermietungen an Rechtsextremisten umgehen sollte. Ex-OB Christian Ude hatte gezielt einzelne Gewerbetreibende freundlich angeschrieben und sie über entsprechende deutsche rechtsextremistischen Gruppen informiert. Viele Betreiber dieser Immobilien sagten daraufhin die Veranstaltungen ab. Diese Handreichung könnte man auch für den politisch-religiösen Extremismus unter Migranten weiterentwickeln, denn München zeigt, welche positive Wirkung und Symbolkraft städtisches Bemühen im Kampf gegen menschenfeindliche Ideologien haben kann.
Was fordern Sie vom Bund und der NRW-Landesregierung?
Ich schlage eine Doppelstrategie von Repression und Prävention vor. Unser freiheitlich-demokratischer Rechtsstaat sollte hier ein deutliches Zeichen setzen und endlich die Vereine der ‚Grauen Wölfe‘ verbieten und das gesamte politische Netzwerk von Erdogan hierzulande zerschlagen. Dazu zählen auch die DITIB und die AKP-Lobbyorganisation UID. Das wäre ein klares Signal auch für die Bundesländer und Kommunen, dass die Bundesregierung die Gefahr des Extremismus in Migranten-Communities nicht unterschätzt und wirklich ernst nimmt. Durch ein Verbot werden sich aber die ‚Grauen Wölfe‘ und die Erdogan-Fanklubs nicht plötzlich in Luft auflösen, daher bedarf es zusätzlich eines Katalogs von präventiven Maßnahmen, um der nationalistischen Gehirnwäsche in einigen türkeistämmigen Familien oder dem Einfluss der Medien aus der Türkei etwas entgegensetzen. Konkret also Stärkung der Stadtteilarbeit, der politischen Bildung in Schulen, der Schul- und Jugendarbeit und Erhöhung der Investitionen in den sozialen Brennpunkten Deutschlands.
Die Hass-Rede des AKP-Abgeordneten Mustafa Acikgöz in einer Neusser Moschee hat bundesweit für Entsetzen gesorgt. Wie bewerten Sie die Reaktion der Stadt (Zusammenarbeit mit Moschee-Trägerverein beendet) und des NRW-Innenministeriums (Sicherheitsbehörden prüfen Strafbarkeit von Aussagen)?
Besser spät als nie, mit solchen Vereinen die Zusammenarbeit zu beenden. Doch diesen Moscheeverein der ‚Grauen Wölfe‘ gibt es nicht erst seit ein paar Wochen in Neuss, sondern dies hätte alles viel früher passieren können. Die Gefahr, die vom türkischen Rechtsextremismus ausgeht, wird allerdings hierzulande immer noch sehr unterschätzt. Ich bin gespannt, wie die Stadt Köln, Polizei und Politik mit der nächsten Veranstaltung der ‚Grauen Wölfe‘ am Sonntag (22. Januar) umgehen wird. Was die Sicherheitsbehörden zum Vorfall in Neuss angeht, ist es lobenswert, dass die Polizei Köln öffentlich auf meinen Tweet zu diesem AKP-Auftritt reagiert und signalisiert hat, sich der Sache anzunehmen. Daraufhin kamen ja so einige Ereignisse ins Rollen, die bis zu einer diplomatischen Reaktion Berlins geführt haben. Die Einleitung von Ermittlungen durch die Staatsanwaltschaft ist genauso wichtig, wenngleich der Abgeordnete Immunität genießt und eine Strafverfolgung schwierig sein wird. Zudem ist er mittlerweile über alle Berge und wieder in der Türkei.
Was erwarten Sie in den nächsten Monaten bis zur türkischen Präsidentschaftswahl im Sommer – insbesondere in Deutschland?
Klar ist, dass bis zur Wahl, die vermutlich am 14. Mai 2023 stattfinden wird, die Lage in der Türkei höchst angespannt, konfrontativ und explosiv sein wird. Wie sehr das alles nach Deutschland überschwappt, hängt auch davon ab, wie die Politik mit solchen geplanten Besuchen, wie die des Staatspräsidenten Erdogans nach Deutschland Ende Januar umgehen wird. Die Bundesregierung sollte sich davor hüten, wie die Vorgängerregierung Erdogan mit militärischen Ehren zu hofieren und zu chauffieren. Berlin sollte einem Diktator keine Bühne zur Verbreitung des Hasses und der Hetze geben. Eine Großveranstaltung Erdogans in Deutschland müsste zudem mit Blick auf die Sicherheit und öffentliche Ordnung Deutschlands unbedingt untersagt werden.
Wird hier verstärkt Wahlkampf betrieben werden, eventuell heimlich?
Die AKP hat bisher versucht, die Wahlkampfveranstaltungen seit September 2022 nur im kleinen Rahmen in Deutschland durchzuführen, ohne sie als Wahlkampfveranstaltung zu bewerben. Mit diesem Vorgehen umging sie geschickt die deutschen Auflagen und Regeln, die die vorherige Bundesregierung zu ausländischen Wahlkampfveranstaltungen in Deutschland beschloss. Sollte es bei dem anvisierten Wahltag vom 14. Mai bleiben, dann dürften in Deutschland solche Veranstaltungen im Prinzip nur bis Mitte Februar 2023 genehmigt werden dürfen – also bis maximal drei Monate vor den Wahlen in der Türkei. Danach müssten wir in Deutschland – wenn nicht noch weitere innertürkischen Konflikte nach Deutschland getragen werden – weitestgehend Ruhe haben.
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Halten Sie die Reaktion des Bundesaußenministeriums für adäquat, als man die türkische Botschaft zum Gespräch „eingeladen“ hatte?
Das war ein sehr wichtiges, schnelles und klares Signal aus Berlin, dass Deutschland die Verbreitung von Hatespeech auf seinem Staatsgebiet nicht dulden wird. Auch die türkeistämmige Opposition in Deutschland und in der Türkei haben diesen Schritt der Bundesregierung sehr begrüßt. Gewünscht hätte ich mir natürlich ein konsequenteres Vorgehen gegen diesen AKP-Politiker, dass beispielsweise diese Person auch unverzüglich ein Einreiseverbot nach Deutschland ausgesprochen bekommt. Vielleicht könnte eine solche Maßnahme aus den Ermittlungen gegen den AKP-Abgeordneten als eine politische Konsequenz gezogen werden. Warten wir mal ab.