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NRW: Drohen bald Engpässe? Lkw-Fahrer spricht Klartext – „Klatschen bringt keinen weiter“

NRW: Drohen bald Engpässe? Lkw-Fahrer spricht Klartext – „Klatschen bringt keinen weiter“

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Jörg Schwerdtfeger aus Herford (NRW) war 17 Jahre lang Lkw-Fahrer und setzt sich auch heute noch für das Image seiner Branche ein. Foto: privat

Der Mangel an Lkw-Fahrern wird aktuell in Großbritannien besonders bemerkbar: die Regale sind leer, das Benzin genügt nicht. Doch auch in Deutschland warnen Experten vor einem „Versorgungskollaps“. Dass es jedoch nicht erst seit dem Brexit und der dadurch ausgelösten Lkw-Krise „5 vor 12“ ist, erkennt Jörg Schwerdtfeger (55) aus Detmold (NRW). Er war jahrelang als Fernfahrer tätig und sagt: „Der Lkw-Fahrermangel in Deutschland ist selbstgemacht!“

Doch solange die Regale in den Supermärkten nicht leer sind, beschwert sich keiner. Kurz vor Weihnachten und wegen der Corona-Pandemie gibt es momentan auch in Deutschland Lieferengpässe. Der Bundesverband Güterkraftverkehr Logistik und Entsorgung (BGL) warnt eindringlich vor einem Lkw-Fahrer-Mangel. Wir haben mit Jörg Schwerdtfeger aus NRW über die Probleme in seiner Branche geredet – über wenig Wertschätzung und den fehlende Gemeinschaft zwischen Lkw-Fahrern.

Herr Schwerdtfeger, Sie haben vor wenigen Jahren bei Facebook die Seite „Ich bin Berufskraftfahrer/in und habe Respekt verdient“ gegründet. Ihnen folgen rund 50.000 Nutzer. Wie sind Sie auf die Idee dazu gekommen?

Schwerdtfeger: „Ich war 17 Jahre lang selbst Lkw-Fahrer und weiß genau, wovon ich spreche. Der Beruf war immer meine Leidenschaft. Seit 13 Jahren arbeite ich nun als Personalscout in einer Spedition in NRW, suche nach Nachwuchskräften. Mir ist es wichtig, dass der Zusammenhalt gestärkt wird. Ich kämpfe für die Wertschätzung des Berufes. Diese ist leider schon vor Jahren verlorengegangen.“

Inwiefern hat die Wertschätzung nachgelassen?

„Seit fast 40 Jahren ist der Respekt abhandengekommen. Die Menschen müssen endlich verstehen, dass die 1000 Lkw auf den Autobahnen nicht den Verkehr behindern, sondern ihren Job machen. Wir Fahrer sind ein wichtiges Bindeglied in der Versorgung der Gesellschaft. Das gerät leider in Vergessenheit. Dass die Regale voll sind und dass Rohstoffe geliefert werden, wird als verständlich angesehen. Es ist sehr ironisch, wenn dann – wie jüngst in der Corona-Pandemie – geklatscht wird. Auch für das Pflegepersonal. Verstehen Sie mich nicht falsch, Lkw-Fahrer sind keine Helden, aber Klatschen bringt keinen wirklich weiter. Es muss sich was tun.“

Ganz offensichtlich fehlen Fachkräfte im Fernverkehr in Großbritannien. Auch in Deutschland hört man immer wieder, dass der Fahrermangel immens ist. Wie beurteilen Sie das?

„Die Situation in England dürfte gar nicht als Vergleich herangezogen werden. Da ist aktuell ein Hotspot aufgrund des Brexits. Lkw-Fahrer aus anderen Ländern dürfen nicht mehr im Vereinigten Königreich arbeiten, müssen in ihre Ursprungsstaaten zurück. Doch bei uns herrscht schon lange Fahrermangel und er verstärkt sich immer mehr. Da viele Fahrer aus Osteuropa kommen und zu Dumpinglöhnen arbeiten, ist die Lage prekär. Denn ausländische Fahrer aus Polen oder Rumänien bekommen 400 bis 700 Euro brutto! Hinzu kommen noch Spesen. Aber das ist hier nicht haltbar. Aber auch im Ausland wird es zunehmend schwieriger an geeignete Fahrer zu kommen. Wo soll der Nachwuchs bald noch herkommen?“

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Was sind weitere Gründe dafür, warum es in Deutschland so schwierig ist, der Jugend den Beruf des Lkw-Fahrers näherzubringen?

„Ich engagiere mich ehrenamtlich und bin unter anderem auf Ausbildungsmessen unterwegs. Offen und ehrlich erkläre ich den jungen Leuten, dass der Job kein Honigtopf ist. Man muss dafür geboren sein. Es ist ein sehr einsamer Beruf. Man ist viele Abende nicht zuhause, vielfach im Ausland und der Respekt fehlt oft. Auch der Zugang zum Beruf hat sich erschwert. Die Bundeswehr-Quelle ist versiegt.“

Können Sie das näher erläutern?

„Jeder Dritte hat beim Bund damals seinen CE-Führerschein (Anm. d. Redaktion: Lkw-Führerschein) gemacht. Das war kostenlos. Wer heutzutage keine dreijährige Ausbildung machen will, kann eine beschleunigte Grundqualifikation abschließen. Nur die kostet 3000 Euro. Obendrauf kommen noch etwa 6000 bis 7000 Euro für den Führerschein. Das ist ein enormer Kostenfaktor.“

Wie machen Sie den Beruf denn schmackhaft?

„Ich bin dafür geboren, hatte damals Fernweh und den Beruf geliebt. Man ist sein eigener Herr und muss sich nicht rechtfertigen. Auch hat sich die Technik in den vergangenen Jahren enorm verbessert. So ein Lastwagen fährt schon fast von ganz allein. Aber natürlich gibt es auch die negativen Seiten, die will ich gar nicht kleinreden.“

Erwarten Sie denn, dass es in naher Zukunft weiter zu Engpässen kommen wird?

„Die gibt es ja jetzt schon. Auslieferungen werden verschoben, viele Rohstoffe wie Halbleiter sind nicht lieferbar. Wir werden in gewissen Sparten sicher bald Mangel haben. Die Haupterntezeit beim Obst und Gemüse aus Südeuropa ist vorbei. Wer weiß, da könnte es vielleicht einen Engpass bei der Lieferung geben. Und wenn man den Gerüchten Glauben schenken mag, soll AdBlue an der Tankstelle auch knapp werden. Sollte sich das bewahrheiten, dann bleiben die Lkw stehen.“

Was ist ihre Prognose für die Zukunft? Was muss sich ändern?

„Lkw-Fahrer brauchen eine Lobby. Eine Person alleine kann es nicht richten. Die Unternehmer und die Politik müssen aufgeweckt werden. Da reicht es nicht, einfach Containertoiletten aufzustellen. Die Missstände sind tiefgreifender. (Anm.d.Red.: im Lockdown mussten Raststätten-Toiletten geschlossen bleiben, für Lkw-Fahrer gab es keine Möglichkeit, um auf der Durchreise zur Toilette zu gehen).

Die viel diskutierten Beiträge auf der Facebook-Seite „Ich bin Berufskraftfaher/in und habe Respekt verdient“ findest du hier>>>