Veröffentlicht inRegion

Flüchtlingszentren schlagen im Ruhrgebiet Alarm – „Angebot nicht ausreichend“

Werden psychisch kranke Flüchtlinge im Ruhrgebiet alleine gelassen? Psychosoziale Zentren schlagen Alarm und sehen großen Bedarf.

Ruhrgebiet Flüchtling Symbolbild
© IMAGO / Sven Simon

Tod und Trauer: Hier kannst du dir helfen lassen

Im Schöntal-Park mitten im bayrischen Aschaffenburg kam es am 22. Januar zu einem brutalen Messerangriff auf eine Kindergartengruppe. Die Polizei konnte kurz nach der Horrortat einen Verdächtigen schnappen, doch ein 2-jähriges Kind und ein Mann, der den Kindern wohl helfen wollte, wurden getötet.

Inzwischen ist bekannt, dass es sich bei dem mutmaßlichen Täter um einen 28-jährigen Afghanen handelt. Der bereits polizeibekannte und psychisch auffällige Asylbewerber hätte das Land längst verlassen sollen. Der Angreifer kam auf Erlass des Amtsgerichts Aschaffenburg in eine Psychiatrie.

Viele fragen sich, ob der schreckliche Angriff hätte verhindert werden können. Eine nicht unerheblich Zahl Geflüchteter hat auf ihrem Weg nach Deutschland traumatische Erlebnisse gemacht. Doch die psychologische Behandlung weist massive Lücken auf. Auch im Ruhrgebiet schlagen die Psychosozialen Zentren für Flüchtlinge und Folteropfer (PSZ) gegenüber DER WESTEN Alarm. Doch offenbar stoßen sie seit Jahren auf taube Ohren in der Politik.

Ruhrgebiet: Härtere Asylpolitik die richtige Maßnahme?

Zunächst einmal geht nicht von jedem psychisch kranken Mensch – sei es ein Geflüchteter oder nicht – direkt eine Gefahr für die Allgemeinheit aus. Dennoch ist der Vorfall in Aschaffenburg leider kein Einzelfall. Erst im Sommer 2024 hatte der Messer-Anschlag von Solingen für Entsetzen gesorgt (mehr dazu hier >>>).

Kurz vor der Bundestagswahl machen sich die Parteichefs gegenseitig große Vorwürfe. Ministerpräsident Markus Söder (CSU) erklärte, dass derartige Vorfälle „die Folge einer Kette einer jahrelangen falschen Migrationspolitik“ der Bundesregierung seien. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) kritisiert dagegen „Vollzugsdefizite […] bei den bayerischen Behörden“.

Söder sowie auch Unions-Kanzlerkandidat Friedrich Merz (CDU und CSU) sind sich einig, dass es massive Verschärfungen bei der Asylpolitik geben muss. Sollte er als Regierungschef eingesetzt werden, wolle Merz alle Grenzen dauerhaft kontrollieren lassen und alle illegalen Einreisen zurückzuweisen. AfD-Chefin Alice Weidel forderte Merz indes öffentlich auf, bei der Migrationspolitik eng mit ihrer Partei zusammenzuarbeiten. Ende Januar will die Unionsfraktion Anträge zur Migrationspolitik vorbringen. CDU und CSU setzen auf eine Mehrheit, notfalls auch mithilfe der Stimmen der AfD.

Während sich die Politiker also abermals bei der Schuldfrage den Ball hin- und herschieben, schlugen entsprechende Psychosoziale Zentren bereits vor Jahren Alarm. 2018 veröffentlichte das NRW-Netzwerk Psychosozialen Zentren für Flüchtlinge und Folteropfer (PSZ) eine Stellungnahme – mehr noch einen Hilferuf an die Politik. Schon da wurden Forderungen für „eine frühzeitige Identifizierung der besonders Schutzbedürftigen“ laut.

Psychotherapeuten in NRW mit klaren Forderungen

Doch darauf warten die Psychotherapeuten in NRW offenbar noch immer vergebens. „Es gibt nach wie vor keine systematische und zuverlässige Identifizierung von besonderen Schutzbedarfen, obwohl wir seit 2013 europarechtliche Auflagen haben, die das verpflichtend erforderlich machen. Wir waren dazu in einem gemeinsamen Prozess mit der Landesregierung, aber seit einigen Monaten scheint das Ministerium das Interesse an einer Umsetzung verloren zu haben“, wird Eike Leidgens, der Psychotherapeutische Leiter der Medizinischen Flüchtlingshilfe in Bochum auf Nachfrage von DER WESTEN deutlich.

Mit ihren Maßnahmen in den letzten Jahren habe die Politik eine Versorgung eher schwieriger als leichter gemacht. NRW-Flüchtlingsministerin Josefine Paul (Grüne) verwies im WDR darauf, dass in den Erstaufnahmeeinrichtungen für Flüchtlinge eine psychosoziale Erstberatung angeboten werde. Gewaltschutz- und Präventionsbeauftragte seien vor Ort, um frühzeitig bei Radikalisierungen oder psychischen Auffälligkeiten Betroffenen psychische Beratungsangebote zu vermitteln. Doch die Realität sieht laut den Verantwortlichen in den Einrichtungen offenbar anders aus.


Weitere Meldungen:


„Allgemein ist das Angebot für psychisch kranke Menschen aktuell überhaupt nicht ausreichend. Es mangelt an freien Plätzen für Psychotherapie. Dabei gibt es Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten, die sofort mit der Versorgung beginnen könnten. Aber die Anzahl der Kassensitze ist zu knapp bemessen“, kritisiert Leidgens. Andreas Pichler, Präsident der Psychotherapeutenkammer Nordrhein-Westfalen teilt diese Einschätzung. „Das Ruhrgebiet ist wegen der noch schlechteren Versorgung im Bereich Psychotherapie dann doppelt gebeutelt.“ Er sieht die Problematik vor allem bei der „fehlenden Sprach- und Kulturmittlung“.

Von einer „‚Sündenbockpolitik‘ auf Kosten Schutzsuchender“ hält weder Birgit Naujoks vom Flüchtlingsrat NRW etwas, noch die Verantwortlichen in den Psychosozialen Zentren in NRW. „Maßnahmen zur Migrationsabwehr, mehr Druck zu Abschiebungen und dergleichen sind hier extrem kontraproduktiv, da sie den Stress erhöhen“, betont Leidgens. Stattdessen müsse Geflüchteten geholfen werden, sodass der Zugang zu psychologischen und psychotherapeutischen Angeboten erleichtert werde. Dafür sei eine frühe Diagnose einer psychischen Erkrankung maßgebend und dafür brauche es unter anderem „höhere Förderungen“.