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Selbstversuch – was passiert, wenn man Rheinwasser trinkt

Selbstversuch – was passiert, wenn man Rheinwasser trinkt

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Journalist Oliver Kühn testet die Wasserqualität des Rheins am eigenen Leib. Umweltexperten raten ab, aber er hat es der Redaktion versprochen... Foto: Olaf Fuhrmann / Funke Foto Services
Was passiert, wenn man Rheinwasser trinkt? Journalist Oliver Kühn macht den Selbsttest. Vorher befragte er die Experten vom Laborschiff Max Prüss.

Am Rhein. 

„Wir sollten mal den Rhein schmecken“, sagt der Chef in der Redaktionskonferenz. Wer traut sich? Schweigen in der Runde. Bis sich NRZ-Volontär Oliver Kühn meldet. Er will das Wasser schlucken. Und die Erfahrung so aufschreiben, dass die Kollegen und die Leser ahnen, wie es schmeckt.

Multimedia-SpezialWarum das alles? Schuld ist der Maifisch. Er ist zurück und hat sich, genauso wie der Lachs, wieder im Rhein angesiedelt. „Die Wasserqualität des Rheins hat sich seit den 60er und 70er Jahren kontinuierlich verbessert“, begründet das Landesamt für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz (Lanuv) diese Rückkehr. Inzwischen kommen im Rhein, so ein Behördensprecher, wieder 39 heimische und ehemals heimische Fischarten vor.

Diese neue Wasserqualität soll der Volontär jetzt am eigenen Leib ausprobieren. Die Frage: Was passiert einem Menschen eigentlich, wenn er Rheinwasser trinkt? Bekommt er Magenkrämpfe? Wird ihm übel? Vergiftet er sich? Wächst ihm ein drittes Auge? Um das zu erfahren, nimmt Kühn aber nicht sofort einen Schluck, sondern befragt vorher Experten. Sicher ist sicher.

Über Wasserqualität wissen die Fachleute vom Lanuv bestens Bescheid. Sie überprüfen jeden Tag die Flüsse von Nordrhein-Westfalen. Einige arbeiten dafür auf dem bundesweit einmaligen Laborschiff Max Prüss. Also auf nach Duisburg.

Schwimmendes Hightechlabor

Das schwimmende Labor sticht zwischen den zahlreichen anderen Schiffen im Hafenbecken heraus. Am Bug prangt das Landeswappen – grün, weiß und rot. Außen ist das Schiff gut in Schuss, innen ist es fast steril. Ein mobiles Hightechlabor, um das Nordrhein-Westfalen in ganz Deutschland beneidet wird: moderne Sensoren, Photometer, ein Gas-Chromatograph; damit entlocken die Wissenschaftler dem Rhein viele Geheimnisse. Die Analysen auf dem Schiff sind allerdings nur Voruntersuchungen, für Detailanalysen werden die Wasserproben an größere Labore geschickt.

Aber was passiert denn nun, wenn der Volontär Rheinwasser trinkt? „Dann ist erstmal der Durst gelöscht“, sagt Harald Rahm vom Lanuv. „Er hat einen winzigen Krümel einer Herztablette eingenommen, einmal an einer Tube Salbe geleckt, die man normalerweise aufs Knie schmiert, wenn’s weh tut. Wenn er Pech hat, kriegt er zwei Tage später Durchfall, weil die Kläranlagen in Duisburg, Moers, Rees und Emmerich in den Rhein einleiten.“

Metalle, Pestizide und Süßstoffe aus der Cola sind im Rhein

Der Rhein sei nun mal kein Trinkwasser und nicht zum Baden. Diesen Anspruch habe der Fluss aber auch nicht. Also ist ein Schluck aus dem Rhein harmlos? Nein, antwortet Rahm sofort. Der Fluss sei zwar nicht giftig und deutlich sauberer als noch vor einigen Jahrzehnten, doch wer regelmäßig Rheinwasser trinkt, werde dadurch höchstwahrscheinlich krank. Schließlich finden sich darin noch immer Metalle, Pestizide und Süßstoffe aus der Cola.

Die alleine gefährden in ihrer geringen Konzentration den Rhein allerdings nicht. Wenn die Max Prüss Alarm schlägt, dann nicht wegen einer Limonade. Dann fließen Öl, Chemikalien oder Pflanzenschutzmittel in den Rhein, weil vielleicht ein Tanker Probleme hat oder eine Fabrik am Ufer brennt. Das Lanuv informiert in solchen Fällen sofort Behörden wie die Wasserschutzpolizei und das Umweltministerium, zudem Wasserwerke, die im Notfall abgeschaltet werden.

Verschmutzt der Rhein, rückt die Max Prüss sofort aus und eilt zur Problemquelle. Zwei leistungsfähige Dieselmotoren ermöglichen solch schnelle Einsätze.

„Tun Sie es nicht!“

Wegen eines Journalisten, der Wasser aus dem Rhein trinkt, verlässt das Laborschiff jedoch nicht seinen Heimathafen. Trotzdem warnen Harald Rahm und seine Mitarbeiter ausdrücklich: „Tun Sie es nicht!“ Also aufgeben, und damit ist die Reportage gestorben?

Nein!

Als die Max Prüss gerade den Hafen verlässt, läuft Oliver Kühn mit einem Kollegen zum Rheinufer. Gegenüber liegen der Hafenstadtteil Ruhrort und der Stahlkonzern Thyssen Krupp, flussaufwärts produziert das Chemieunternehmen Huntsman Weißpigmente. Nicht gerade die sauberste Stelle des Duisburger Rheins. Dennoch füllt Kühn seine Limoflasche und setzt zum Trinken an.

Hätte er mal aufs Lanuv gehört

„Halt“, ruft sein Kollege. „Das Wasser stinkt hier nach Urin und Chemie.“ Oliver Kühn hat’s nicht gerochen, er hat Schnupfen. Aufgeschoben ist aber nicht aufgehoben.

Den kräftigen Schluck nimmt er später, mit Rheinwasser zwischen den beiden Stadtteilen Homberg und Baerl. „Schmeckt wie muffiges Leitungswasser.“ Gar nicht so schlimm, denkt er.

Ein paar Tage später bekommt er heftiges Sodbrennen und Magenblubbern. Hätte er mal aufs Lanuv gehört. Naja, vielleicht lag’s ja gar nicht am Rhein, sondern am scharfen japanischen Mittagessen…

Interview: „Der Niederrhein ist keine Problemquelle“ 

Harald Rahm ist beim Landesamt für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz in NRW und der Leiter für Alarmbereitschaft. Er spricht mit den Volontären Oliver Kühn und Nils Balke darüber, wie die Landesbehörde den Rhein überwacht.

Herr Rahm, wie überwachen das Lanuv und die Max Prüss das Rheinwasser?
Harald Rahm:
Es gibt zwei Konzepte. Ein großes Monitoring für die gesamte Fläche und eine Alarmüberwachung, die schnell Ergebnisse liefern muss, wenn irgendwo was passiert.

Was war der letzte große Alarmfall oder Wasserskandal?

Im September haben die Analytiker an der gemeinsamen deutsch-niederländischen Messstation in Bimmen, einem Stadtteil von Kleve, eine neue Substanz gefunden. Die Chemikalie namens Pyrazol ist schlecht biologisch abbaubar, ihre Konzentration war hoch und ihre Quelle war unbekannt. Mit Hilfe des Laborschiffes Max Prüss und vieler Analysen im Labor wurde der Rhein abgesucht, bis die Quelle gefunden war: eine Firma. Kurzfristige Maßnahmen haben bereits messbare Effekte im Rheinwasser gezeigt. Derzeit sind die Firma, die Bezirksregierung Düsseldorf und das Ministerium auf der Suche nach der effektivsten Lösung.

Was war der spektakulärste Alarmfall am Niederrhein in den vergangenen Jahren?

Als 2014 die Schrottinsel in Duisburg gebrannt hat. Da war die Max Prüss vor Ort und hat überprüft, ob durch das Löschwasser, das eventuell in den Hafen läuft, irgendwas passiert. Das war allerdingds nicht der Fall.

Gibt es besonders belastete Stellen am Niederrhein, die regelmäßig negativ auffallen?
Es gibt am Niederrhein kein niederrheinspezifisches Problem. Aber in der Alarmüberwachung fallen die Mündungen der Emscher durch Industriechemikalien und der Lippe durch Pestizide immer mal wieder auf. In beiden Fällen sind die Konzentrationen im Rhein allerdings so gering, dass sie unterhalb der Messgrenze liegen.

Kann das Lanuv heute Rheinwasser besser analysieren als noch vor zehn Jahren?
Ja, wir haben große analytische Fortschritte gemacht. Wir finden viel, viel mehr Stoffe. Und wir finden diese Stoffe in viel geringeren Konzen­trationen. Wir finden sie viel eher und können viel mehr Informationen herausgeben, die unterhalb der Schwellen liegen, an denen sie relevant sind. Wir diskutieren momentan ganz viele Arzneistoffe, die wir vor zehn Jahren noch gar nicht messtechnisch erfassen konnten.

Inwiefern hat sich die Wasserqualität des Rheins in den vergangenen Jahren verbessert?
Die Wasserqualität ist viel besser geworden, was darauf zurückzuführen ist, dass moderne Filtertechniken an Kläranlagen und bei Industriebetrieben eingeführt worden sind. Dieser Gesamteindruck verwischt manchmal aber, weil wir, wie schon gesagt, mehr Stoffe in empfindlicheren Konzentrationen finden.