Bittere Story: Dieser Bergmann muss sechs Jahre länger arbeiten, weil er 27 Tage zu spät auf die Welt kam
Bergleute der RAG können mit 49 Jahren in den Vorruhestand
Orhan Karakas ist dafür allerdings zum Ende des Bergbaus 27 Tage zu jung
Der Kumpel muss noch mindestens sechs Jahre weiter arbeiten
Das gilt auch für Bergleute von Fremdfirmen
Bottrop.
Vor 27 Jahren begann Orhan Karakas (45) seine Ausbildung als Bergmann. Damals ahnte der Mann aus Moers noch nicht, dass er wegen seines ungünstig gelegenen Geburtstags deutlich länger malochen werden muss als viele seiner Kollegen.
Orhan Karakas kam am 27. Januar 1973 auf die Welt. Und damit 27 Tage zu spät. „Auch wenn meine Mutter nichts dafür kann: Ich habe es ihr schon oft vorgehalten“, gibt Karakas zu. Wäre er vor dem Jahreswechsel geboren, könnte er zum Ende der Nachbergbau-Arbeiten auf der Zeche Prosper-Haniel im Jahr 2021 in den Vorruhestand gehen.
Vorruhestand: „Wer unter Tage war, meckert nicht über die Regelung“
Denn für Bergmänner der RAG gilt eine besondere Regelung. Wer das Alter von 49 Jahren erreicht hat und 20 Jahre Grubenarbeit geleistet hat, kann vorzeitig in den Ruhestand. Im Vorruhestand haben ehemalige Bergmänner der RAG Anspruch auf etwa 70 Prozent ihres vorherigen Einkommens.
Häufig steht die Regelung zum sozialverträglichen Personalabbau bei der RAG in der Kritik. „Wer einmal bei einer Besucher-Grubenfahrt dabei war, meckert darüber nicht mehr“, berichtet RAG-Sprecher Ramazan Atli. Die Arbeitsbedingungen unter Tage – Hitze, Staub, Lärm, Enge und Dunkelheit – sie hinterlassen Eindruck.
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Auf Kohle geboren ist der Titel unseres Specials zum Ende der Steinkohle-Ära im Ruhrgebiet. Bis zur Schließung der letzten Zeche Ende Dezember berichten wir wöchentlich über alles rund um den Abschied der Bergleute aus dem Revier. Echte Typen, ganz viel Tradition und noch mehr Herz – hier findest du alle Glückauf-Themen in der Übersicht.
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Bitter: Kumpel verpasst den Stichtag um 27 Tage
Für Orhan Karakas gilt die Vorruhestands-Regelung allerdings nicht. Weil er zum Zeitpunkt der endgültigen Abwicklung der Zeche Prosper-Haniel erst 48 Jahre und 338 Tage alt sein wird. Der Moerser ist unglücklicherweise 27 Tage nach dem gesetzten Stichtag geboren.
Bis zuletzt hat er gehofft, dass es für ihn bei der RAG weitergeht. „Erst hieß es, der Bergbau bleibt bis 2023. Das hätte ja genau gepasst“, klagt Karakas. Angebotene Abfindungen durch die RAG habe er deshalb ausgeschlagen.
Schlimmster Fall: Rente mit 63
Nun muss sich Orhan Karakas einen neuen Job suchen. Möglichst in einem knappschaftlichen Betrieb. Dann hätte er mit 55 Jahren Anspruch auf die so genannten Knappschaftsausgleichsleistungen. Das Problem. In NRW gibt es nur noch wenige dieser Stellen im Bergbau.
Nach einer Absage vom Salzbergwerk Borth im Kreis Wesel, liegt das nächste Bergwerk in der Nähe von Braunschweig in Niedersachsen. Ein weiter Weg für Karakas‘ Familie, die sich über Jahrzehnte in Moers etwas aufgebaut hat. „Würde es um zwei bis drei Jahre gehen, würde ich sagen: Arschlecken, das zieh ich irgendwie durch. Aber bis 2027? Das ist schon eine lange Zeit“, so der 45-Jährige.
Sollte er nicht in einem knappschaftlichen Betrieb unterkommen, könnte erst zu seinem 63. Geburtstag in Rente gehen. Das bestätigte die Deutsche Rentenversicherung gegenüber DER WESTEN.
So wie Orhan Karakas geht es noch etwa 350 anderen Bergleuten der RAG. Die meisten der verbliebenen 4.400 Kumpel gehen in den Vorruhestand. Andere arbeiten demnächst bei der Feuerwehr, als Sicherheitspersonal oder lassen sich zum Pfleger umschulen. Hier machen viele Abstriche beim Gehalt.
Kumpel aus anderen Firmen teilen das gleiche Schicksal wie Orhan Karakas. Für sie gibt es keinen Vorruhestand mit 49 Jahren.
Kumpel aus Fremdfirmen fürchten um ihre Jobs
Einer von ihnen ist Ertan Kanoglu (45). Der 45-Jährige ist beim Mülheimer Konzern Thyssen Schachtbau angestellt. Wie es für ihn weitergeht, entscheidet sich erst im Laufe der nächsten Monate. „Ich hab immer gesagt: Hauptsache unter Tage arbeiten. Jetzt hoffe ich, dass es für mich im Konzern überhaupt weitergeht“, sagt er.
„Eine solche Kameradschaft gibt es nur hier“
Das Ende des Steinkohle-Bergbaus schmerzt für alle Beteiligten. Für Ertan Kanoglu bedeutete die Maloche unter Tage trotz der schweren Anstrengung pure Freiheit: „Eine solche Kameradschaft gibt es nur hier“, findet er.
Seinen Kindern hätte er gegönnt, das alles kennenzulernen. Doch stattdessen heißt es nun Abschied nehmen: „Es tut schon weh zu sehen, wenn die Fördertürme fallen“, sagt Kanoglu. Ein Trost bleibt dem 45-Jährigen: Durch seine Anstellung bei Thyssen Schachtbau ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass ihm ein alternativer Job in der Region angeboten wird.