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Warum ich nicht mehr über Reichsbürger lache

Warum ich nicht mehr über Reichsbürger lache

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  • Die Verschwörungstheoretiker werden immer aggressiver
  • Behörden klagen über „neue Form der Bedrohung“
  • Polizisten erhalten spezielle Anleitung zum Umgang mit Reichsbürgern
  • Ein Psychologe warnt: „Das ist Rechtsterrorismus“

Essen. 

Eigentlich wollte ich mit einem Witz einsteigen. Über die Reichsbürger. Irgendein Vergleich mit Herpesbläschen oder so: Die nerven zwar, sind aber meist harmlos.

Ja, die Meldungen über die Leute waren oft ganz witzig: Wenn wieder einer dieser Typen mit selbstgebasteltem Ausweis vom „Freistaat Preußen“ in der Polizeikontrolle auftaucht. Oder wenn ein Reichsbürger immer sein Autokennzeichen umdreht, um dem bösen Staat und Angela Merkel und überhaupt allen eins auszuwischen (wie auch immer das funktionieren soll).

Aber die Zeiten, in denen wir herzhaft über die lustigen Reichsbürger gelacht haben, sind vorbei. Spätestens seit dem 19. Oktober. Da hat einer von ihnen einen Polizisten erschossen.

„Als Gerichtsvollzieher ist man Beschimpfungen gewohnt“

„Das sind keine harmlosen Spinner“, sagt Frank Neuhaus. Er ist Vorsitzender des Deutschen Gerichtsvollzieher-Bundes NRW.

In seinem Job hat er immer wieder mit Reichsbürgern zu tun. Weil sie ihre Handyrechnungen nicht bezahlt haben. Oder mit den Raten für den Fernseher hinterherhängen.

„Als Gerichtsvollzieher ist man Beschimpfungen gewohnt“, erzählt Neuhaus. „Aber die Reichsbürger drohen uns massiv.“

Wir sind in seinem Haus in Arnsberg. Vor ihm auf dem Tisch liegen Berge von Akten. Darin: Hunderte Briefe von Reichsbürgern. Viele sind in altertümlicher Frakturschrift gedruckt und voller Rechtschreibfehler. Die Reichsbürger drohen mit Anzeigen, verlangen lächerlich hohe Geldsummen von den Beamten.

„Jetzt hat es den ersten Toten gegeben“

Im Kern geht es immer um dasselbe: Die Anhänger der Bewegung glauben, dass die Bundesrepublik Deutschland gar nicht existiert, sondern nur Teil einer großen Verschwörung ist. Sie glauben, dass das Deutsche Reich immer noch existiert, und Deutschland nur eine Firma ist. Viele drucken ihre eigenen Ausweise und geben sich als Bewohner eines erfundenen „Freistaats Preußen“ aus. Den Staat und alle seine Organe lehnen sie ab.

„Die Leute wurden zu lange unterschätzt“, glaubt Neuhaus. „Jetzt hat es den ersten Toten gegeben.“

Auch Sebastian Bartoschek hat öfter mit Reichsbürgern zu tun. Der Herner Psychologe forscht zu Verschwörungstheorien und hat Bücher über die Bewegung geschrieben. Er sagt: „Wir haben die Tendenz, über die Ideen dieser Leute zu lachen. Aber dahinter steckt knallharter Rechtsterrorismus.“

„Der Judenbengel gehört ins Brausebad“

Durch seine Veröffentlichungen hat er sich Feinde unter den Reichsbürgern gemacht. „Einige von denen brüsten sich damit, etwas aufgedeckt zu haben. Angeblich werde ich nämlich vom israelischen Geheimdienst Mossad unterstützt“, erzählt Bartoschek.

So abstrus und lächerlich das klingt: Zum Lachen ist das nicht. In Online-Foren hetzen Reichsbürger gegen den Herner. Auf widerlichste Weise: „Der Judenbengel gehört ins Brausebad“, hat neulich einer geschrieben.

Woher kommt der Hass?

Woher kommt dieser Hass? Wieso glauben Menschen solche Verschwörungstheorien? „Oft sind das Menschen, die in ihrem Leben einen Bruch erlebt haben“, erklärt Psychologe Bartoschek.

Sie haben Angst davor, nicht mehr selbst bestimmen zu können und haben das diffuse Gefühl, dass irgendetwas grundsätzlich schief läuft. „Vielleicht hatten sie mal Ärger mit der Justiz oder sind verschuldet. Dann ist es reizvoll zu sagen: Ich kann da nichts für, dahinter steckt eigentlich eine Verschwörung.“

Die logische Konsequenz aus Sicht der Reichsbürger: Sie müssen sich wehren.

Auf Facebook rufen Reichsbürger zum Kampf auf

In Facebook-Gruppen und auf Foren finden sie Bestätigung, treffen auf Gleichgesinnte, die ihrerseits zum Kampf aufrufen.

Ich habe mir solche Gruppen und Foren mal angeschaut. Krude Theorien sind da im Umlauf. Immer wieder taucht da die Geschichte von der „Firma BRD“ auf:

Ich kann mir vorstellen, dass man sich in diesen Theorien vollends verlieren kann, wenn man ein wenig labil ist. Irgendwann sitzt man halt in seiner Filterblase, und kommt da nicht mehr raus.

Und irgendwann helfen dann auch keine Gegenargumente mehr. Wer in solchen Foren oder in Facebookgruppen Zweifel an den Reichsbürgern hat, wird sofort digital niedergeschrien. Mit vielen Ausrufungszeichen. Denn aus Sicht der Reichsbürger sind alle, die ihren Theorien nicht folgen, entweder Teil der Verschwörung oder dummes Wahlvieh.

Diskutieren hilft nicht viel, weiß auch Sebastian Bartoschek. „Über Gesetze mit diesen Leuten zu sprechen, bringt nichts. Da verliert man. Die einzig sinnvolle Frage, die man einem Reichsbürger stellen kann, ist: Wie sieht denn der Staat aus, den du möchtest? Und dann wird schnell klar, dass es ihm nicht um Demokratie geht, sondern um wirren Nationalismus. Die meisten dieser Leute sind Antidemokraten und Anitsemiten.“

Sammelbecken für Rechtsextremisten

Auch der NRW-Verfassungsschutz beobachtet die Reichsbürger mittlerweile intensiv. „Das ist ein heterogenes Sammelbecken für Rechtsextremisten und Verschwörungstheoretiker“, sagt ein Sprecher.

Für Polizisten und andere Beamte hat der Verfassungsschutz sogar eine Broschüre herausgegeben. Darin sind Tipps für den Umgang mit Reichsbürgern. „Zum Beispiel sollten sich Polizisten nie auf rechtliche Diskussionen einlassen, damit da keine Missverständnisse entstehen“, so der Sprecher.

„In NRW dürfte es Tausende geben“

300 Reichsbürger soll es in der NRW-Szene geben, schätzt der Verfassungsschutz. „Es sind viel mehr“, glaubt hingegen Gerichtsvollzieher Frank Neuhaus. „In unserer letzten Konferenz war das ein großes Thema. 70 Kollegen waren da. Und jeder von denen kennt mindestens zehn Reichsbürger in seinem Bezirk. Und das sind nur die, die wegen Schulden mit uns zu tun haben. Allein in NRW dürfte es Tausende geben.“

Der Vergleich mit den Herpesbläschen war wirklich lächerlich. Diese Bewegung ist vielmehr ein Krebsgeschwür.

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