Die Malediven – mehr als Luxus und Cocktailschirmchen
Die Malediven sind bekannt für traumhafte Sandstrände und Sterneresorts. Aber auch abseits des Luxus‘ können Besucher viel entdecken und erleben.
Essen.
Mit einem leichten Ruck legt das Boot an der Kaimauer an. Das Besucher-Grüppchen springt vom Bug in den feinen Sand, der sofort in die Flipflops rieselt und zwischen den Zehen kitzelt. Die Sonne scheint vom blauen Himmel, es weht kaum ein Lüftchen. „Herzlich willkommen auf Holhudhoo“, sagt Hussain Jauzee. Mit einem Lächeln begrüßt der 26-Jährige die Gäste auf „seiner“ Insel. Sie gehört zu den Malediven, dem Paradies im Indischen Ozean.
Die Malediven – rund 1200 Inseln, umrandet von türkisblauem Meer, Sehnsuchtsziel vieler Touristen. Sie sind bekannt für paradiesische Traumstrände, eine bunte Unterwasserwelt, Exklusivität und Luxus der Sterneresorts. Doch genau diesen Luxus lassen die Touristen heute für einen halben Tag hinter sich. Keine Massage im Spa, kein romantisches Champagner-Dinner im Jacuzzi mit Meerblick, kein frisches Sushi an der Strandbar. Die Gäste des Resorts Sun Siyam auf der Insel Iru Fushi verzichten heute auf bunte Cocktail-Schirmchen und flauschige Kissen in Hängematten.
Mit dem Motorboot geht es auf die Nachbarinsel Holhudhoo. Das Leben der Einheimischen kennenzulernen gehört seit einiger Zeit zum Angebot des Resorts. Die Ausflüge werden immer beliebter.
Mit an Bord ist Jauzee. Heute umsorgt er nicht wie sonst als Butler die Gäste der Anlage, sondern ist Fremdenführer. Wer wäre besser geeignet? Der 26-Jährige ist auf der kleinen Insel geboren und aufgewachsen. Er genießt mit seinen Gästen die rasante Fahrt über die Wellen, die Sonne, die kühlende Gischt.
Schultern der Urlauber sollten bedeckt sein
Es ist Mittagszeit auf Holhudhoo. Kinder spielen Fangen, Frauen sitzen im Schatten von Palmen und Brotfruchtbäumen. Fremde begrüßen sie mit einem offenen Lächeln, die Kinder blicken den Touristen neugierig hinterher. Die Frauen tragen Kopftuch und ein langes Gewand. Gäste sollten sich aus Respekt vor dem muslimischen Glauben der Malediver an eine gewisse Kleiderordnung halten, wenn sie die Einheimischen-Inseln besuchen: Der Bikini bleibt im Resort, Schultern sollten bedeckt, Hosen und Röcke knielang sein.
Jauzee führt die Besucher die sandige Straße entlang. Vorbei geht’s am bunt geschmückten Sportplatz – der Fußballmeister des Atolls wird dieser Tage gesucht. Jauzee ist großer Fußballfan. Früher hat er selbst gespielt, doch dafür fehlt ihm mittlerweile die Zeit. Aber bei großen Spielen, wenn die Fans der Nachbarinseln mit dem Boot kommen, um ihre Teams anzufeuern, dann ist auch Jauzee als Zuschauer dabei.
Eintauchen in eine andere Welt
Einige Meter vom Sportplatz entfernt rattern die zwei Generatoren, die die Inselbewohner mit Strom versorgen. „Ausfälle gibt es oft“, sagt Jauzee. Ganz anders als im nur wenige Kilometer entfernten Resort. Hier laufen die Klimaanlagen oft nächtelang durch. In jeder Strandvilla und jedem Stelzen-Bungalow steht ein Flachbildfernseher – wenn man mal keine Lust auf Privatpool, Strandspaziergang oder Schnorchelkurs hat. Und dank drahtloser Internetverbindung können die Gäste jederzeit Erinnerungsfotos ihres Luxusurlaubs von Iru Fushi aus ins weltweite Netz senden.
Luxus, den sich die meisten Einheimischen wohl niemals werden leisten können. Im Schnitt rund 250 US-Dollar verdient ein Malediver im Monat. Angestellte der mehr als 100 Resorts des Inselstaates bekommen deutlich mehr. Bei Männern in Jauzees Stellung können das bis zu 450 Dollar im Monat sein.
Von dem Geld, das der 26-Jährige verdient, lebt nicht nur er: Seine Familie ist auf die finanzielle Unterstützung des jungen Mannes angewiesen. Jauzees Mutter, die drei Schwestern und deren sechs Kinder wohnen in einem Häuschen auf Holhudhoo. Die Männer der Familie arbeiten auf der rund 300 Kilometer entfernten Hauptinsel Malé.
Die nackten, grün gestrichenen Betonwände des Wohnzimmers halten den Raum schön kühl. Die Schwüle der vergangenen Tage bleibt auf der Schwelle des Hauses zurück, wo die zehn Paar Flipflops der Familie im Sand liegen.Es gibt vier Schlafzimmer, wenig Platz also für eine zehnköpfige Familie. „Aber das macht uns nichts, die Insel bietet genug Platz zum Spielen für die Kinder“, sagt Jauzee und steigt über den roten Spielzeugbagger seines Neffen.
Der Heimat etwas zurückgeben
Der Kindergarten der Insel steht dem auf der Insel Iru Fushi, wo die jungen Gäste des Sun Siyam betreut werden, nicht nach. Bunte Schaukelpferde stehen im Schatten des bunt angestrichenen Gebäudes, daneben liegt Spielzeug zum Buddeln und Sandburgen bauen. Die Ähnlichkeit kommt nicht von ungefähr: Stifter des neuen Kindergartens der Insel ist der Resort-Chef höchstpersönlich: Ahmed Siyam Mohamed, einer der wenigen einheimischen Resort-Betreiber. Der Großteil der Anlagen ist in ausländischer Hand.
Als geborener Malediver möchte er seiner Heimat etwas zurückgeben, wie es im Werbematerial des Fünf-Sterne-Resorts heißt. Er beschäftigt viele Landsleute. Und er bemüht sich um mehr weibliche Arbeitskräfte. Denn Erwerbstätigkeit ist auf den Malediven Männersache. Diese Tradition möchte der Geschäftsmann aufweichen. Erster Erfolg: Ein Mal in der Woche kommen Frauen der umliegenden Inseln nach Iru Fushi, um den Gästen maledivische Gerichte zu kochen. So steht eines der insgesamt elf Restaurants der Insel regelmäßig im Zeichen der einheimischen Küche. Es gibt viele verschiedene Currys mit gebackenen Teigfladen, Teigtaschen und Fischsuppe.
Auch auf Holhudhoo schmeckt es. Im Straßencafé, bei scharfen Fischfrikadellen, die im Gaumen ein angenehm-prickelndes Gefühl zurücklassen, und frischem Kokoswasser endet der Ausflug für die Besucher. Das Motorboot bringt sie zurück nach Iru Fushi – noch ein paar Tage das süße Nichtstun genießen, bevor es von der Hauptinsel Malé in rund zehn Stunden Flugzeit wieder nach Hause geht.