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Ein echter Marc auf der Alm

Ein echter Marc auf der Alm

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Foto: MSG

Malerische Natur begeisterte schon die „Blauen Reiter”. Neues Museum in Kochel, Kandinsky-Jubiläum in Murnau.

An manchen Sommertagen wär’s Gerti Brey am liebsten, wenn niemand wüsste, dass sich auf einer unscheinbaren Hütte hoch über Kochel ein echter Marc verbirgt. „Das ist manchmal schon ein Problem”. Denn die Leute, die das Hirsch-Fresko von Franz Marc sehen wollen, stehen direkt im Schlafzimmer der Sennerin, die übrigens Schreinerin von Beruf ist und sich für ihre Arbeit auf der Staffelalm freistellen lässt.

Fast wär’s gar nicht zum Stau in Gertis Ein-Zimmer-Apartment mit Bett, Tisch, Bauernschrank und Holzofen, aber ohne Strom und Badezimmer droben auf der Alm gekommen. „Denn die Wände in der Hütte – und damit das Fresko – sind mindestens zehnmal überpinselt worden. Die Sennerinnen wollten’s halt schön ordentlich haben, Kunst spielte keine Rolle.

Als die Orterers, die die Staffelalm unterhalb des Rabenkopfs seit 160 Jahren bewirtschaften, vor ein paar Jahren über eine Holzvertäfelung nachdachten, erinnerte sich Altbauer Kaspar Orterer an besagtes Bild am Abgang zum Keller, dort wo früher der Käse gelagert wurde und heute die Apfelschorle für die Touristen. Der Landeskonservator in München wurde eingeschaltet, ein Denkmalpfleger legte das Fresko – ein kapitaler Hirsch samt Hirschkuh – zwei Sommer lang Schicht für Schicht frei. Es muss 1902 oder wenig später entstanden sein, als der junge, als eigenbrötlerisch beschriebene Maler Franz Marc noch gegenständlich gemalt hat.

Marc, 1880 in München geboren, hat den Kochelsee schon als Kind kennengelernt. Ihm sagte die stille Natur dort viel mehr zu als das Stadtleben, hier draußen fand er seine Motive: Rehe, Pferde und Kühe – Vorlagen u. a. für das Springende Pferd, eines der Hauptwerke des neuen Franz-Marc-Museums, in Kochel.

Bauer Orterer kann sich mit der kubistischen Form des Neubaus nicht so recht anfreunden. International findet das mit hellem Muschelkalk verkleidete Gebäude viel Anerkennung. Der Schweizer Architekt Alois Diethlem musste nicht nur einen modernen Museumsbau mit ausgeklügelter Klima- und Sicherungstechnik schaffen, sondern auch noch die Verbindung zur Jahrhundertwende-Villa, in der das alte Marc-Museum untergebracht war.

Und das ist ihm durch die klare Linienführung, die Verwendung warmer Naturmaterialien wie Stein und Holz gelungen. Der Neubau drängt sich nicht auf, vom See kommend sieht man ihn sogar zunächst gar nicht, obwohl die Ausstellungsfläche (700 qm) dreimal so groß wie bisher.„Das alte Museum war heimelig”, so Wilhelm Großmann, der Museums-Geschäftsführer. Das neue Haus soll – und wird sicher auch – überregionale Bedeutung erlangen. Schließlich wird die bisher 160 Werke umfassende Sammlung um 2000 Exponate aus der Sammlung von Etta und Otto Stangl erweitert.

Es werden Werke des Blauen Reiters – Kandinsky, Macke, Jawlensky und natürlich Marc – sowie der Brücke-Maler Nolde, Pechstein oder Heckel zu sehen sein, und ebenso Künstler, die nach dem Zweiten Weltkrieg aktiv waren wie Baumeister oder Winter. „Diese Arbeiten sind Marksteine der Kunstgeschichte. Sie dokumentieren die Weiterentwicklung derIdeen der blauen Reiter, der Abstraktion”, so Großmann.

Schließlich waren die Stangls vom Fach, Galeristen aus München. Zudem brachte Etta Stangl, die Tochter des Wuppertaler Pianofabrikanten Ibach, die bedeutende Sammlung ihres Vaters, darunter zahlreiche Werke von Klee, ein. Der Blick auf den Kochelsee vom großzügigen „Aussichtsraum” im Museum ist ein Gedicht, mindestens genauso sehenswert wie die Gemälde.

Und ins alte, frisch renovierte Marc-Museum zieht ein Restaurant ein, das nicht nur deutlich mehr als eine Cafeteria, sondern ebenfalls einen fantastischen Seeblick zu bieten hat. In den oberen Geschossen befinden sich Büros und die Wohnung von Wilhelm Großmann. Der Mann, der aus Berlin in die oberbayerische Idylle zog, sieht jetzt mitunter morgens vom Frühstückstisch Rehe mit Kunstkennerblick.

Zur Eröffnung des Museums wird in Kochel ein Themenweg eingeweiht. Er führt zu Motiven, die Marc einst gemalt hat. Fotos der Bilder hängen an den entsprechenden Stellen, sodass der Betrachter den Blickwinkel des Malers einnehmen kann. Auf das Gasthaus „Grauer Bär” direkt am Kochelsee oder das Bauernhaus im Fischerviertel, wo dieFlatternde Wäsche” hängt – am morgigen Sonntag natürlich nicht. „Die Motive aus der Frühzeit erkennt ein Blinder.

Später wird’s kniffelig”, erzählt Fritz Walter Schmidt, der seit über 20 Jahren Interessierte „auf den Spuren des Blauen Reiters” durch Murnau führt. Wir stehen im üppig blühenden Bauerngarten des Münterhauses, wo Wassily Kandinsky und Gabriele Münter die Sommer 1909-14 verbrachten, und schauen in Richtung Kirche – ein Motiv, das auf dem 1910 entstandenen Bild „Murnau mit Kirche II.” deutlich zu erkennen ist. Auf der drei Jahre später gemalten „Landschaft mit roten Flecken II”, in der Kandinsky den Gegenstand auf flächige Kompositionen reduzierte, ist das Motiv allenfalls zu erahnen.

Die Künstler hatten Murnau auf einem Ausflug von München aus entdeckt und waren von der Natur hier begeistert. Besonders von dem Licht, das die Landschaft, das Moor, den See und die Berge zur blauen Stunde umhüllt. Nachdem die Jury Kandinskys abstrakte Komposition „V“ abgelehnt hatte, trat der 1866 in Moskau geborene Jurist und Maler aus der Münchener Künstlervereinigung aus und gründete 1911 mit Marc die Gruppe „Blaue Reiter”.

Den Namen tüffelten die beiden am Kaffeetisch im Marcs Garten in Sindelsdorf in der Nähe von Kochel aus. „Beiden liebten wir Blau, Marc Pferde, ich Reiter. So kam der Name von selbst.” Die zugereisten Maler wurden von der bäuerlichen Bevölkerung kritisch beäugt. Ebenso alles, was im Russenhaus, wie das Wohnhaus von Münter und Kandinsky allgemein genannt wurde, passierte.

Hier waren befreundete Künstler wie Jawlensky und Werefkin sowie Arnold Schönberg oft zu Gast. Die Bilder, die Gabriele Münter beim Bauern gegen Milch eintauschte, als sie knapp bei Kasse war, wurden achtlos zum alten Gerümpel auf den Speicher geschmissen, später verbrannt. Ein anderer Bauer lehnte das Portrait seiner Tochter ab. Die sei zwar keine Schönheit, aber so hässlich nun auch wieder nicht.

Kandinsky verließ Murnau mit Beginn des Ersten Weltkriegs, die Münter blieb. Im Keller ihres Hauses brachte sie 80 als entartet eingestufte Bilder Kandinskys und anderer durch den Zweiten Weltkrieg und schenkte sie 1957 dem Münchener Lenbachhaus. Als Fritz Walter Schmidt, damals Leiter des Tourismusamtes, 1980 Material über die Blauen Reiter sammelte, stieß er auf Desinteresse.

Das hat sich geändert. Seit zehn Jahren vermarkten sich Murnau und die anderen Gemeinden am Staffelsee mit dem Markenzeichen „Blaues Land”. Und in diesem Jahr wird die Ankunft von Kandinsky und Münter in Murnau groß gefeiert. Mit einer Sonderausstellung vom 11. Juli bis 9. November im Schloßmuseum, das seit 1993 u. a. über 70 Werke Gabriele Münters zeigt, mit Museumstouren und Malkursen. Hans Neuner, Malschüler und ehemaliger Bankangestellter, ist nach einigen Kursstunden im Murnauer Moos baff erstaunt: „Ich habe festgestellt, was ich bisher alles nicht gesehen habe”.